Prof. Dr. Linus Geisler
Arzt-Patient-Beziehung im Wandel - Stärkung
des dialogischen Prinzips
Der Wandel
Medizinverständnis und
Arzt-Patient-Beziehung befinden sich seit den 70er Jahren des zwanzigsten
Jahrhunderts im Wandel [1], wobei neben technologischen Errungenschaften
gesellschaftliche Einflüsse und ökonomische Rahmenbedingungen
als interferierende Elemente bedeutsam sind.
Dem tradierten, überwiegend
paternalistisch bestimmten Rollenverständnis von Arzt und Patient
[2 ]
treten kontrapunktische Entwicklungen entgegen, in denen der klassische
Heilauftrag (Heilen, Lindern, Vorbeugen) immer mehr zugunsten einer Kunden-Leistungserbringer-Konstellation
aufgeweicht wird. In Extremfällen ist ein "Patient" im engeren Sinne,
wie z.B. bei der Präimplantationsdiagnostik nicht mehr auszumachen
[3 ]
und ergo auch kein Heilauftrag gegeben [4 ].
Das alte Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient wird teilweise abgelöst von einem Vertragsverhältnis
mit genau definiertem Leistungsumfang. Der Patient wird zum Kunden, der
Arzt zum Dienstleister, Praxis und Krankenhaus zum "Profit-Center" [5 ].
Der Umgang miteinander entspricht dann häufig dem von misstrauischen
Geschäftspartnern.
Das Spannungsfeld zwischen
Kundendienst, Wissenschaftlichkeit und Kostendämpfung, in dem die
Medizin zunehmend agieren muss, erschwert die Identitätsfindung der
Beteiligten ("Trilemma der modernen Medizin" [6]).
Die geforderten Leistungen
sind nicht selten eher der Kategorie Lifestyle-Medizin zuzuordnen als dass
sie auf medizinische Probleme ausgerichtet sind. Der Gesundheitsbegriff
umfasst nunmehr auch Befindenskategorien wie "Beauty" und "Wellness". Neue
Leitbegriffe wie "Lebensqualität", "Normalität", und "Optimierung"
werden für Patientenansprüche und ärztliches Handeln zunehmend
mitbestimmend.
"Anthropotechniken" treten
an die Stelle eines angeblich ausgedienten Humanismus [7 ].
Manipulative Eingriffe in die Keimbahn werden von amerikanischen Wissenschaftlern
(Gregory Stock [8 ])
in imperativer Form gefordert, obwohl die propagierten Methoden (z.B. Einfügen
künstlicher Chromosomen) schon aus biologischen Gründen als problematisch
zu bewerten sind. [9 ]
Wie die augenblickliche biopolitische
Debatte zeigt, geraten gesellschaftlich akzeptierbare Begriffe von Gesundheit,
Krankheit und Behinderung in eine Art definitorischen Schwebezustand. Die
Subjektivität des Krankseins, das in hohem Maße von der "Selbstauslegung"
[10] des Patienten bestimmt wird, und immer auch eine Störung der
vertrauten Wirklichkeit zur Grundlage hat [11], gerät in Widerspruch
zu anderen Wirklichkeitskonstruktionen (Gesellschaft, Wissenschaft). [12]
Es finden sich simultan konkurrierende
Transfermethoden wissenschaftlicher Erkenntnisse in ärztliches Handeln,
wie zum Beispiel EBM [13], Metaanalysen [14], computerbasierte Entscheidungen
[15] oder Managed Care-Konzepte [16]. Sie erheben häufig den Anspruch,
einzige - auch rechtlich relevante - Richtschnur für ärztliches
Entscheiden und Handeln zu sein. Im außeruniversitären Bereich,
vor allem aber in der ärztlichen Praxis spielt jedoch weiterhin die
intuitive und erfahrungsgestützte Entscheidungsfindung eine beachtliche
Rolle. Der "klinische Blick", der überwiegend auf "weichen", nicht
quantifizierbaren Daten basiert, überspielt häufig den Einfluss
sog. "harter" Daten. Auch heute ist Medizin nach wie vor im Wesentlichen
eine Erfahrungswissenschaft.
Patientenentscheidungen ihrerseits
basieren keineswegs nur auf beratungsgestützten Einflüssen oder
sog. Aufklärungsgesprächen (informed-consent-Entscheidungen),
sondern in nicht unbeträchtlichem Maße auf außerrationalen
Urteilen. Aus diesem Beziehungsgeflecht zwischen Arzt und Patient resultieren
ärztliche Entscheidungen und Handlungen, die alles in allem weniger
auf rationalen Grundlagen beruhen, als allgemein angenommen. Sie sind das
Ergebnis zirkulärer Prozesse zwischen Arzt und Patient. Solche gegenseitigen
zirkulären Einflussnahmen sind im übrigen für die gesamte
Arzt-Patient-Beziehung bestimmend. Intendierte Änderungen dieser Beziehung
sind daher auch nur ausnahmsweise durch isolierte Einwirkungen auf der
einen oder anderen Seite zu erreichen. Im wesentlichen sind sie das Resultat
dialogischer Ansätze.
Paternalismus - Autonomie
- Neopaternalismus
Peter Kampits definiert die
Arzt-Patient-Beziehung als eine besondere, wenn nicht extreme Form der
zwischenmenschlichen Beziehung, in der nicht nur ein hohes Maß an
Intimität und Ausgesetztsein existieren, sondern mit der auch Eingriffe
und Veränderungen in die Existenz des Menschen verbunden sein können,
bei denen es im Extremfall buchstäblich um Leben und Tod geht. [17]
Diese Beziehung ist meist
in eine wechselnde Kontextualität eingebettet, so dass ein stabiles
Kräfteverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu erwarten
ist, sondern ein "Floaten", das kaum mit einer einzigen Modalität
des gegenseitigen Umgangs durchgängig bewältigt werden kann.
Eine einseitige Präferenz von Paternalismus bzw. Autonomie kann daher
keineswegs der jeweilige "Königsweg" in der Beziehung zwischen Arzt
und Patient sein.
Paternalismus wird allgemein
als Eingriff in die Freiheit des Patienten verstanden. Für G. Dworkin
ist Paternalismus eine "zwingende Einmischung in die Handlungsfreiheit
eines anderen, die sich ausschließlich auf das Gute für einen
anderen" [18] beruft. T. Pinkard versteht Paternalismus als "Eingriff in
die Freiheit der Person, der durch einen Appell an das Wohl der betreffenden
Person gerechtfertigt wird". [19]
Klaus Dörner beschreibt
die paternalistische Haltung mit den Worten: "Ich als Arzt-Subjekt unterwerfe
Dich mir und mache Dich zu meinem Patienten-Objekt, da Du auf diese Weise
am schnellsten wieder Subjekt werden kannst." [20]
Das Amerikanische bedient
sich gelegentlich der saloppen Formulierung der "father knows best"-Autorität.
Zwischen sogenanntem "starken" und "schwachen" Paternalismus liegt zweifelsohne
eine gewisse Grauzone. Auf weitere Unterscheidungen, wie zwischen aufgefordertem
und unaufgefordertem Paternalismus (sollicited und unsollicited paternalism),
soll hier nicht näher eingegangen werden.
Die Auffassung von Autonomie
als Selbstbestimmung des Menschen wurzelt in der Aufklärung. So wie
die politische Autonomie den Staat erst zum Staat macht, macht im Sinne
der Philosophie Immanuel Kants die Autonomie des Menschen als Willensfreiheit
diesen erst zur Person. Der autonome Wille steht dabei für die von
jeder äußeren und inneren Fremdbestimmung (Heteronomie) befreite
Vernunft. Kant erblickte in der Autonomie "den Grund der Würde der
menschlichen und jeder vernünftigen Natur". [21]
Die ins Extrem getriebene
Autonomie des Patienten findet ihre Grenze dort, wo sie jenseits aller
Vernunft nur noch um ihrer selbst willen agiert und zur Blockade jeglichen
ärztlichen Handelns wird. Sie führt in eine Situation der gegenseitigen
Isolation und bringt eine gewisse emotionale Kälte in die Beziehung
zwischen Arzt und Patient. Der umfassend aufgeklärte Patient sieht
sich schließlich in einer Situation der Einsamkeit, die durch seine
absolute Entscheidungsfreiheit nicht unbedingt aufgehoben wird. Der Arzt
wiederum gerät (ungewollt oder gewollt!) in eine Unterwerfungsrolle,
die sich am radikalsten in dem von Lévinas wiederholt verwendeten
Sprachbild: "Ich bin die Geisel des Anderen" [22] ausdrückt.
Der These, wonach die Autonomie
über das eigene Leben den zentralen Inhalt der Menschenwürde
ausmacht, stehen andere Werthaltungen gegenüber, nach denen Autonomie
und Würde des Menschen gerade erst durch die Fürsorge für
den anderen konstituiert werden. [23 ]
Am Beispiel von Patientenverfügungen wird deutlich, dass in dem Maß,
wie über den Arzt durch den Willen des Patienten rechtsverbindlich
verfügt wird, dessen Vorstellung von Therapieverzicht und Therapieabbruch
umzusetzen, die Arzt-Patient-Beziehung ausgehöhlt oder gar zerstört
wird. [24]
Im heutigen Verständnis
der Arzt-Patient-Beziehung verschiebt sich "Das Wohl des Kranken
als oberstes Gesetz" zum Prinzip "Der Wille des Patienten ist oberstes
Gesetz". [25 ]
Für diese Entwicklung ist auch die zunehmende Verrechtlichung der
modernen Medizin mitverantwortlich. Die Autonomie des Patienten gewinnt
Vorrang vor dem Prinzip der Fürsorge. Der frühere Paternalismus,
der dem Arzt die väterlich-bestimmende Rolle zumisst, erscheint als
überholt. Als Ideal gilt der "mündige" Patient, der aufgeklärt,
eigenverantwortlich und selbstbestimmt die Richtlinien seiner Behandlung
vorgibt. [26] Wobei freilich gilt, dass es den mündigen Patienten
nicht ohne den mündigen Arzt gibt (T. v. Uexküll). [27]
Aber wie belastungsfähig
und leistungsfähig sind Patientenautonomie und Mündigkeit im
Ernstfall wirklich? Ist ein Patient fähig mitzuentscheiden, welcher
Typus einer künstlichen Herzklappe oder eines Herzschrittmachers für
ihn der beste ist? Will der umfassend aufgeklärte Krebspatient bei
der Entscheidung zwischen Chemotherapie oder Bestrahlung tatsächlich
nur auf sich selbst gestellt sein? Erlebt er sich auch dann noch als "mündig"
oder zu allererst doch als krank? Wie rasch kann Selbstbestimmtheit in
Sich-Selbst-Überlassensein umschlagen? Schotsmans hat von der Fiktion
einer Art "olympischen Selbstkontrolle" gesprochen, zu der ein hinfälliger
Kranker kaum (mehr) fähig sein dürfte. [28]
Eine symmetrische Arzt-Patient-Beziehung,
die oft als idealtypisch angesehen wird, existiert realiter nur ausnahmsweise.
Die Analyse von Visitengesprächen lässt häufig eine überraschend
starke Asymmetrie erkennen. Diese kommt schon rein numerisch im Überwiegen
der Gesprächsanteile des Arztes (bis zu 80%) im Vergleich zu denen
der Patienten zum Ausdruck. [29] Bliesener und Köhle nannten die traditionelle
Visite schlichtweg einen "verhinderten Dialog". [30] Das Versagen des Visitengesprächs
hat selbst in die Belletristik (z.B. Thomas Bernhard [31]) Eingang gefunden.
Fraglich ist, ob eine Symmetrie
von Patientenseite überhaupt durchgängig erwünscht ist.
Die klinische Erfahrung zeigt, dass Arzt-Patient-Beziehungen fast immer
asymmetrisch sind. Nicht zwei Gleiche stehen sich gegenüber, sondern
ein hilfesuchender Mensch und einer, der kompetent ist, diese Hilfe zu
geben. [32 ]
Auf Diskrepanzen zwischen Patientenautonomie und Patientenwünschen
haben Eibach und Schaefer hingewiesen. [33] Die Selbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhältnis
ist angesichts der wachsenden Undurchschaubarkeit diagnostischer und therapeutischer
Eingriffe im Gefolge medizinischer Hochtechnologien und der daraus resultierenden
steigenden Entscheidungsbefugnis der Ärzte als Mythos bezeichnet und
mit dem Begriff des Neopaternalismus beschrieben worden. [34] Dass dieser
kein stolzes "Selbstbild" darstelle, sondern aus Strukturen entspringe,
an denen die Ärzte selber leiden, hat Christiane Grefe [35 ]
betont.
Die Anschauung französischer
Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts, wonach der ideale Arzt ein "père
maternel" sei, dem es gelingt, die Wesenszüge des lenkenden Vaters
und der verstehenden Mutter in sich zu vereinigen, scheint auch heute ihre
Gültigkeit nicht verloren zu haben, sondern im Zuge einer sich wandelnden
Medizin nach neuer Verwirklichung zu drängen.
Kommunikationsstörungen
und -defizite
Kommunikative Beziehungen
sind der Stoff aus dem die Arzt-Patient-Beziehung lebt und die ihren "Kammerton"
bestimmen. Es herrscht Einigkeit, dass in der Alltagspraxis erhebliche
kommunikative Defizite bestehen, die häufig von ärztlicher Seite
nicht wahrgenommen werden. [36 ]
Die Akademie für Technikfolgenabschätzung
in Baden-Württemberg hat unter anderen auf diesen Sachverhalt, insbesondere
auf Mängel in der Patienteninformation, vor kurzem hingewiesen. [37]
Obwohl der Wunsch nach umfassender und verständlicher Information
von 93% aller befragten Patienten als "sehr wichtig" eingestuft wird, nehmen
sogar nach eigener Einschätzung nur knapp 30 Prozent der Ärzte
den Wunsch der Patienten nach Information adäquat wahr.
Kommunikationsstörungen
und -defizite im Arzt-Patient-Gespräch führen nachweislich zu
einer Reihe unerwünschter Effekte, die durchweg die Arzt-Patient-Beziehung
direkt oder indirekt beeinflussen:
- Mangelhafte Compliance
[38]
- Gestörtes Vertrauensverhältnis
[39 ]
- Bruch der Arzt-Patient-Beziehung,
Arztwechsel [40 ]
Ein wesentlicher Grund für
die kommunikative Inkompetenz vieler Ärzte ist eine defizitäre
Ausbildung mit zunehmender Tendenz. Eine aktuelle Studie der Universität
Göttingen an 700 Studenten zeigt, dass es analog zur Zunahme an "biologischem
Wissen" im Verlauf des Studiums zu einem Verlust an kommunikativer und
psychosozialer Kompetenz kommt. [41 ]
Dieser Mangel wird häufig von den Studierenden selbst erkannt und
beklagt. [42 ]
Bestrebungen, die ärztliche
Ausbildung in Deutschland dem internationalen Standard anzugleichen, reichen
weit zurück. Eine von der Robert-Bosch-Stiftung ins Leben gerufene
"Arbeitsgruppe Medizinerausbildung (Murrhardter Kreis)" legte schon 1989
ein Buch über "Das Arztbild der Zukunft" [43] vor, in dem unter anderem
eine stärkere Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte von
Krankheit gefordert wurde.
Über ein Jahrzehnt lang
wurde in Deutschland über eine Änderung der Approbationsordnung
für Ärzte diskutiert. Zahlreiche Gremien und Organisationen wie
der Deutsche Ärztetag, der Medizinische Fakultätentag (MFT) oder
die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF)
befassten sich mit diesem Thema. Die jahrelange erfolglose Diskussion wurde
von vielen in der Lehre engagierten Hochschullehrer als enttäuschend
bewertet und die Einführung der "Modellklausel" 1999 als zu kleiner
Schritt angesehen [44]. Diskutiert wird auch, ob das geringe Interesse
an Ausbildungsfragen in der Medizin als "typisch deutsches" Phänomen
[45] zu bewerten ist.
Das dialogische Prinzip
- Überwindung der Alternative zwischen Paternalismus und Autonomie
Das dialogische Denken wurde
in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von den "Philosophen des
Dialogs" wie F. Ebner, M. Buber, F. Rosenzweig, G. Marcel und V. v. Weizsäcker
entwickelt, dem auch der Begriff der "sprechenden Medizin" zugeschrieben
wird. Von Emmanuel Lévinas wurde der Anspruch, durch den Anderen
für den Anderen einzustehen, in seine Stellvertretung (Substitution)
einzutreten oder die "Geisel des Anderen" zu sein, formuliert. [46] Von
dem österreichischen Philosophen Peter Kampits wird das dialogische
Prinzip in der Arzt-Patient-Beziehung als Überwindung der Alternative
zwischen Paternalismus und Autonomie verstanden. [47]
Kampits betont, dass das
dialogische Denken zwar in Nachbarschaft zum traditionellen, dem jüdisch-christlichen
Denken entstammenden Ansatz der Personalität oder Personenhaftigkeit
des Menschen steht, aber noch weiter geht, indem es im dialogischen Geschehen
aus der Begegnung und Beziehung zwischen zwei Menschen diese Personalität
gleichsam erst entstehen lässt. Dialogisches Denken ist von Anfang
an auf Gegenseitigkeit in der Beziehung begründet. Das für die
Arzt-Patient-Beziehung Wesentliche wurzelt in der im dialogischen Denken
geforderten Grundhaltung, die unter anderem Zuwendung, aktives Hören
und Gesprächsfähigkeit einschließt. Die Untrennbarkeit
von Vertrauen und Zuwendung zum Du wird als wesentliche Voraussetzung für
dialogisch motiviertes Handeln verstanden.
Ausbildungsziel: Stärkung
der dialogischen Kompetenz
Der Verwirklichung des dialogischen
Prinzips stehen allerdings bei realistischer Betrachtung Entwicklungen
entgegen, die für den Wandel der heutigen Medizin typisch und wesentlich
mitverantwortlich sind, wie beispielsweise ökonomische Zwänge,
Allokationsprobleme und Verrechtlichungstendenzen.
Noch bestimmt weiterhin die
vielfach beschworene "Silent World of Doctor and Patient", die der Psychoanalytiker
und Jurist Jay Katz [48] in dem gleichnamigen Werk bereits 1984 subtil
und sachkundig dargestellt hat, die Beziehung zwischen Arzt und Patient.
Andererseits liegt gerade
in der Stärkung des dialogischen Prinzips, in der Förderung kommunikativer
Kompetenzen durch Studium und Ausbildung, in der Höherbewertung sprachlicher
Fähigkeiten die Chance, diese Entwicklungen in Grenzen zu halten und
eine Neustrukturierung der Arzt-Patient-Beziehung einzuleiten. [49 ]
Es muss bedenklich stimmen,
dass aktuelle Analysen der Ausbildungsziele zum Arzt ("Wunschzettel für
die Reform") die Notwendigkeit einer guten Gesprächsführung zwar
bejahen, zugleich aber davon ausgehen, dass diese Fähigkeiten noch
am ehesten durch die Vorbildfunktion älterer Kollegen und Vorgesetzter
vermittelt werden könne (oder auch nicht) [50 ].
Eine strukturierte Ausbildung mit dem Ziel, die dialogischen Fähigkeiten
der angehenden Ärzte zu entwickeln und zu stärken, wird nicht
mit dem dringend notwendigen Nachdruck gefordert, obwohl hier eine Schlüsselfunktion
zur Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung liegt.
Die Stärkung der kommunikativen
und damit psychosozialen Kompetenz während des Medizinstudiums und
der ärztlichen Ausbildung stellt einen wesentlichen und unverzichtbaren
Ansatz zur Verbesserung des Arzt-Patient-Verhältnisses dar und sollte
durch berufliche Gremien, Politik und Gesetzgebung aktiv gefördert
werden. [51]
Ein Editorial des British
Medical Journals vom 6. April 2002 widmet sich dem weltweiten Phänomen
der unzufriedenen Ärzte ("unhappy doctors"). [52 ]
Arbeitslast und unzureichende Bezahlung scheinen, obwohl wichtige Faktoren,
das Problem nicht vollständig zu erklären. Als Schlüsselfaktor
wertet die Analyse einen Wandel in dem Verhältnis zwischen Beruf,
Patienten und der Gesellschaft, der ursächlich dafür verantwortlich
ist, dass der Beruf heute nicht mehr dem entspricht, was die Ärzte
sich ursprünglich erwartet hatten.
Ein Lösungsansatz
wird in einer neuen Berufsaufassung gesehen, in der eine ausgewogene Balance
zwischen Autonomie (des Patienten) und Verantwortlichkeit (des Arztes)
besteht. [53 ]
Zur Etablierung dieses Gleichgewichts, kann das dialogische Prinzip Wesentliches
beitragen.
Link:
Abschlussbericht der
Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom 14.05.2002
URL: http://dip.bundestag.de/btd/14/090/1409020.pdf
- Externer
Literatur:
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zit. n. Wittern, R. (1991) Kontinuität und Wandel des Arztbildes im
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[2] Geisler, L. S. (1993)
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URL: http://www.linus-geisler.de/monografien/monograf.html#ap - Interner
[3] Geisler, L. S. (2001a)
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- Interner
[4] Siehe C 1 Präimplantationsdiagnostik
des Abschlussberichtes der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen
Medizin".
URL: http://dip.bundestag.de/btd/14/090/1409020.pdf
- Externer
[5] Kloiber, O. (2001) Der
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Dialogveranstaltung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen
Medizin“ in Jena am 2. Juli 2001. URL: http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html
- [Broken Link/Link zerbrochen]
Aktualisierter
Link: http://www.bundestag.de/ftp/pdf_arch/med_kloi.pdf
- Externer Download
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und Kundendienst. In: Engelhardt, Dietrich von; Loewenich, Volker von;
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URL:
http://www.zeit.de/1999/38/199938_sloterdijk3.html - [Broken Link/Link
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Alternativer
Link z.B. unter: http://www.wlb-stuttgart.de/referate/philosoph/sloter.html
- Externer
[8] Stock, G. (2001) Unvermeidbare
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- Interner
[9] Geisler, L. S. (2001b)
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18. Dezember 2001 -
URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0112ftd.html
- Interner
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[11] Pflanz, E. (1993) Krankheit
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[18] zit. n. Kampits (1996).
[19] zit. n. Kampits (1996).
[20] Dörner, K. (2001)
Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung. Stuttgart/New
York, S. 71. Dörner fährt fort: "Da ich einen uneinholbaren Vorsprung
an Kompetenz, Wissen und Macht habe, ist es vernünftig, wenn Du Dich
mir aussetzt, Dich mir völlig anvertraust."
[21] Kant, I. (1980) Kritik
der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe.
Frankfurt a. M., Bd. VII.
[22] Lévinas, E. (1993)
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[23] Übersicht bei Dörner,
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Eine Aufwertung der Ethik der Autonomie des Einzelnen bedeutet eine Dominanz
des Stärkeren über die Ethik des Schwachen. Deutsches Ärzteblatt,
99(14), A-917. URL: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=31074
Externer
[24] Dörner (2001).
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[30] Bliesener, T. &
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[35] Grefe, C. (2000) "Wie
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unter URL: http://www.ta-akademie.de/deutsch/bestellungen/typDBAusg.asp?SID=1797767936-001524-04062002-1492252962&feld=Arbeitsberichte
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[38] Sakett, D. L., Hayner,
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Abstract-URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/htbin-post/Entrez/query_old?uid=11739343&form=6&db=m&Dopt=b
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[40] Keating N. L. et al.
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Abstract-URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/htbin-post/Entrez/query_old?uid=11903773&form=6&db=m&Dopt=b
- Externer
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URL: http://www.aerztezeitung.de/docs/2001/05/30/099a2004.asp?nproductid=1653&narticleid=162757
- Externer
[42] Andres, M.-S &
Gaide, P. (2001) Kein Fleisch, kein Blut. Medizinstudenten klagen über
zu wenig Praxis während der Ausbildung. Die Zeit, 52/2001, 19. Dezember
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- Externer
[43] Arnold, M. et al. (1995)
Das Arztbild der Zukunft, Analysen künftiger Anforderungen an den
Arzt, Konsequenzen für die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform, 3.
Auflage. Gerlingen.
[44] Pabst, R. (2000) Steigt
das Interesse an Studien zu Fragen der medizinischen Ausbildung in Deutschland?
Deutsche medizinische Wochenschrift, 125, S. 716. URL:http://www.thieme.de/dmw/inhalt/dmw2000/dmw0023/beitrag/ed185.htm
- [Broken Link/Link zerbrochen]
[45] Internationale Kongresse
wie die jährlichen Treffen der Association of Medical Education in
Europe (AMEE) mit mehreren hundert Teilnehmern aus aller Welt weisen eine
notorisch geringe deutsche Beteiligung auf. Bei der "Ottawa Conference
on Medical Education" im Februar 2000 waren unter über 800 Teilnehmern
nur 4 aus Deutschland (Angaben von Pabst 2000).
[46] Lévinas 1993.
[47] Kampits 1996.
[48] Katz, J. (1984) The
Silent World of Doctor and Patient. New York.
[49] Geisler, L. S. (2000)
"Die Liebe verkümmert". Wohin steuert die Hightech-Medizin? DER SPIEGEL,
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URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0004spiegel_interview.html
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[50] Jocham, D., Schulze,
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[51] Geisler, L. S. (2000);
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[52] Edwards, N. et al. (2002)
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[53] Ham, C. & Alberti,
K. G. (2002) The medical profession, the public, and the government. BMJ,
324, S. 838-842.
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/324/7341/838.pdf
- Externer
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Geisler, Linus: Arzt-Patient-Beziehung
im Wandel - Stärkung des dialogischen Prinzips. Beitrag im Abschlussbericht
der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom 14.05.2002,
S. 216-220 |
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2002/0514enquete-dialogisches.html |
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