Financial Times Deutschland,
6.12.2001
Online-Veröffentlichung
mit freundlicher Erlaubnis von Christian Herbst, Financial Times Deutschland
Gregory Stock beschäftigt sich
mit den Folgen der Gentechnik. Der Biophysiker von der University of California
stellt seine Thesen am Mittwoch, 12. Dezember, auf einer Tagung im Wissenschaftszentrum
Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf vor
Unvermeidbare Designer-Babys
Menschen werden ihr Erbgut künftig
manipulieren – die Gesellschaft muss dieser Entwicklung ins Auge sehen
Von Gregory Stock
Wir wissen, dass der Homo sapiens nicht
das Ende der Entwicklungsstufe bei Primaten ist. Aber nur wenigen scheint
bewusst, dass wir vor einem grundlegenden biologischen Wandel stehen und
dabei sind, uns und unser Wesen zu verändern – eine Reise zu neuen,
bislang unvorstellbaren Ufern.
Auf den ersten Blick scheint der Gedanke
absurd, wir könnten zu etwas werden, das mehr ist als "menschlich".
Schließlich sind wir in nahezu jeder Hinsicht biologisch mit unseren
entfernten Vorfahren identisch. Das muss aber nicht so bleiben. Schon bald
werden wir in der Lage sein, unser menschliches Erbgut so zu verändern,
dass wir in sinnvoller und vorhersagbarer Weise Einfluss auf unseren Körper
und unser Dasein nehmen können.
Wir betreten damit Neuland, das vielen
Menschen Angst macht und dessen Entdeckung manch einer ungeschehen machen
möchte. Die Veränderung und Weiterentwicklung unserer biologischen
Grundlagen führt uns jedoch in neue, unbekannte Welten, die schließlich
auch unsere Grundvorstellung davon in Frage stellen, was es heißt,
Mensch zu sein. Dabei ist es keine Frage, ob es passiert, sondern wann
und wie.
Es ist eine Sache, mal eben über
Designer-Babys zu reden und darüber, wie wir unseren Kindern Gene
mitgeben, die sie intelligenter, schöner oder sportlicher machen.
Eine andere Sache ist, dies dann auch zu tun. Das hieße, Gene im
menschlichen Embryo zu selektieren und sie womöglich zu verändern.
Schon heute werden Embryos in Labors
nach ihren Genen ausgewählt, eine rudimentäre Form der Genselektion.
So ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) bereits in einigen Ländern
gang und gäbe: Bei einer künstlichen Befruchtung wird eine einzelne
Zelle in der Glasschale dem Embryo entnommen und genetisch getestet. Die
Eltern können dann entscheiden, ob der Embryo in die Gebärmutter
gepflanzt werden soll. Seit dieses Verfahren 1991 in Großbritannien
eingeführt wurde, ist es bei Tausenden von Paaren angewendet worden,
bei denen die Gefahr besteht, dass sie Krankheiten vererben.
Derzeit kann mit der PID nur eine Hand
voll Krankheiten festgestellt werden. Aber das wird nicht so bleiben. Sobald
Forscher in den nächsten Jahren die Verbindung zwischen Gengruppen
und bestimmten menschlichen Eigenschaften entschlüsselt haben, werden
Eltern bestimmen können, welche Veranlagungen ihr Kind haben soll.
Es wird viele Gegner dieser Entwicklung
geben. Andererseits geht aus Umfragen im In- und Ausland hervor, dass ein
nicht geringer Teil der Bevölkerung bereit wäre, eine solche
Technik zu nutzen, um mehr als nur Krankheiten zu verhüten. Hinzu
kommt, dass so einfache Verfahren nahezu unmöglich zu kontrollieren
sind. Ein Verbot wird sie nicht aufhalten. Es wird sie allerdings nur den
Menschen zugänglich machen, die sich den Weg in liberalere Länder
leisten können.
Die PID könnte in den nächsten
Jahrzehnten unsere Bevölkerung verändern. Der direkte Eingriff
in die Gene eines Embryos aber wird sich als wirkungsvoller erweisen: Keimbahntherapie
ist heute bereits bei Tieren Routine. Beim Menschen gilt dieses Verfahren
jedoch als zu gefährlich und moralisch verwerflich.
Kritiker haben oft die altvertrauten
Techniken im Visier und denken nicht an fortschrittlichere Methoden der
Genmanipulation, die in einigen Jahrzehnten wahrscheinlich zur Verfügung
stehen. Die anstehenden Fortschritte werden aber nicht von einer Forschung
abhängen, die sich direkt mit der Manipulation der menschlichen Keimbahn
befasst. Vielmehr wird die moderne Keimbahntechnologie Nebenprodukt der
biomedizinischen Forschung sein, die allseits gutgeheißen wird.
Eine Möglichkeit, Embryos genetisch
zu verändern, könnte darin bestehen, künstliche Chromosomen
als eine Art Plattform zu verwenden, auf der Gene und ihre Steuerungselemente
platziert werden können. Einen Embryo mit künstlichen Chromosomen
auszustatten, klingt nach Science-Fiction. Aber so etwas gibt es bereits,
und in ein bis zwei Jahrzehnten könnte sich durchaus ein verlässliches
Verfahren entwickeln.
Je weiter die Keimbahnmanipulation
voranschreitet, umso mehr wird sich die Ethikdebatte hierüber verändern.
Aber einig werden wir darüber wohl nie. Manche werden die bevorstehenden
Möglichkeiten mit dem Vormarsch des Unmenschlichen gleichsetzen und
sie daher mit aller Macht bekämpfen. Andere wiederum werden den Eingriff
in das menschliche Erbgut als eine Weiterentwicklung der menschlichen Möglichkeiten
willkommen heißen.
Aber ganz gleich, wie der Einzelne
zu diesen Entwicklungen stehen mag, eines ist sicher: Ein Verständnis
über die mit dieser Technologie verbundenen Möglichkeiten ist
unerlässlich, um die vor uns liegenden Aufgaben zu erkennen.
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