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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.8 Koronare Herzkrankheit
2.3.8.1 Angina pectoris
 
2.3.8 Koronare Herzkrankheit
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Definition: Bei der koronaren Herzkrankheit (KHK) handelt es sich um eine oder mehrere Verengungen von Herzkranzgefäßen, die fast immer durch Arteriosklerose bedingt sind.
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Unter dem Begriff der koronaren Herzkrankheit werden folgende Krankheitsbilder und Zustände zusammengefaßt:
•  Koronarinsuffizienz (Angina pectoris): Sie liegt vor, wenn der Sauerstoffbedarf des Herzmuskels durch das Sauerstoffangebot nicht mehr gedeckt werden kann. Die Ursache der Koronarinsuffizienz ist fast immer eine Koronarsklerose.
•  Herzinfarkt: Man versteht darunter eine umschriebene Nekrose (Absterben von Gewebe) von Herzmuskelgewebe, ausgelöst durch eine akute Mangeldurchblutung des betroffenen Myokardbezirkes. 
•  Herzinfarktfolgen (Herzinsuffizienz, Herzwandaneurysma).
Zu den koronaren
Herzerkrankungen zählen
die Angina pectoris, 
der Herzinfarkt sowie
dessen Folgen
Die koronare Herzkrankheit äußert sich klinisch am häufigsten als Angina pectoris oder als Herzinfarkt. Gelegentlich macht sie sich ausschließlich durch Herzrhythmusstörungen, wie beispielsweise ventrikuläre Extrasystolen, Salven oder Kammertachykardien, bemerkbar. Ca. 90% aller sog. plötzlichen Todesfälle ("sudden death") sind auf eine koronare Herzkrankheit zurückzuführen, wobei als eigentliche Todesursache Kammerflimmern anzunehmen ist. Tödliches Kammerflimmern ist daher nicht selten die erste und letze Manifestation einer koronaren Herzkrankheit. Eine Herzinsuffizienz als Folge der insgesamt mangelhaften Sauerstoffversorgung des Herzens kann sich bei koronarer Herzkrankheit ohne anamnestische Hinweise auf eine Angina pectoris, Rhythmusstörungen oder einen umschriebenen Herzinfarkt entwickeln. Symptome
2.3.8.1 Angina pectoris
Definition: Als Angina pectoris werden anfallsartige, kurzdauernde (3-10 min.) Herzschmerzen bezeichnet, die durch eine Koronarinsuffizienz bedingt sind.
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Man unterscheidet folgende Formen der Angina pectoris:
•  Belastungs-Angina pectoris (häufigste Form),
•  Ruhe-Angina pectoris (häufig durch Koronarspasmen bedingt).
Einteilung
Nach dem Verlauf werden weiterhin unterschieden:
Die stabile Angina pectoris mit wiederkehrenden Anfällen, deren Häufigkeit, Dauer und Intensität sich nicht wesentlich ändert.
•  Die instabile Angina pectoris oder sog. Crescendoangina. Es kommt innerhalb weniger Tage zu einer Zunahme von Häufigkeit, Schwere und Dauer der Angina pectoris-Anfälle. Der Übergang in einen Status anginosus (Anfallsdauer länger als 20 Minuten) ist möglich. Da die instabile Angina pectoris in ca. 30% der Fälle in einen Herzinfarkt übergeht, wird sie auch als Präinfarkt-Angina bezeichnet. Sie stellt ein Alarm-Symptom dar und erfordert immer eine intensivmedizinische Überwachung und Behandlung des Patienten.
•  Die Prinzmetal-Angina pectoris; sie ist die seltenste Form einer Angina pectoris und tritt meist in Ruhe auf. Wahrscheinlich wird sie durch Koronarspasmen hervorgerufen und führt im EKG zu vorübergehenden Veränderungen wie bei einem frischen Herzinfarkt.
•  Die sog. stumme Myokardischämie geht ohne typische pektanginöse Beschwerden einher und ist wahrscheinlich häufiger, als früher angenommen. Sie kann beispielsweise im Langzeit-EKG erfasst werden, das - ohne klinische Beschwerden des Patienten - typische Veränderungen aufweist. Stumme Myokardischämien nach einem Herzinfarkt sind prognostisch besonders ungünstig. 
Verlaufsformen
Jeder Angina pectoris-Anfall beruht auf einem akuten Missverhältnis zwischen dem Sauerstoffbedarf des Herzens und dem zur Verfügung stehenden Sauerstoffangebot. Ursache dieses Missverhältnisses ist meistens eine stenosierende Koronarsklerose, seltener nur Spasmen der Herzkranzgefäße allein (Koronarspasmen). Koronarspasmen können bei einer bereits bestehenden Koronarsklerose zu einer zusätzlichen Verengung des Gefäßlumens führen. Bei einem akuten Herzinfarkt liegt der Unterbrechung der Koronardurchblutung meistens eine frische, das Lumen der Konorarie verschließende Thrombose zugrunde. Pathophysiologie
Eine klassische und noch heute gültige Beschreibung des Angina pectoris-Anfalls stammt aus dem Jahre 1768 von dem englischen Arzt HEBERDEN: Klinisches Bild
"Es gibt einen Brustschmerz, der wegen seiner nicht alltäglichen Beschaffenheit eine besondere Beschreibung verdient. Die Brust wird davon so beengt, daß er nicht mit Unrecht Angina pectoris genannt werden könnte. Die von dieser Krankheit Ergriffenen pflegen während des Gehens, besonders nach Besteigen einer Anhöhe, oder gleich nach dem Essen von einer höchst unangenehmen Brustbeklemmung befallen zu werden, die den nahen Tod droht, wenn sie sich vermehren oder lange dauern würde. Sobald der Kranke stillsteht, vergeht die Beklemmung in demselben Augenblick gänzlich. Der Schmerz zieht sehr oft von der Brust nach dem linken Ellenbogen. Männer, die über 50 Jahre alt sind, werden vorzüglich von dieser Krankheit ergriffen."
Übersicht 13: Charakteristische Symptome der echten Angina pectoris
•  Auslösung vorwiegend durch körperliche Belastung, aber auch durch seelische Erregung, Kälte oder reichliche Mahlzeiten.
•  Retrosternale Lokalisation mit Ausstrahlung zum linken (teilweise auch rechten) Arm, Rücken, Hals, Unterkiefer oder Oberbauch (s. Abb. 19, S. 124).
•  Dauer: zwischen 3 und 10 min.,
•  meist spontane Besserung auf Nitroglyzerin in Form von Spray oder als Zerbeißkapsel (nitropositiv).
Übersicht 13
Die Diagnose wird aus dem klinischen Bild, durch typische pathologische Veränderungen im Belastungs-EKG (ST-Streckensenkungen) und durch das Myokardszintigramm gestellt und letztlich durch die Koronarographie gesichert. Mit der Koronarographie können Lokalisation und Schwere der koronarsklerotischen Veränderungen und Stenosen sowie die Zahl der betroffenen Herzkranzgefäße exakt erfasst werden. Je nach Zahl der erkrankten Herzkranzgefäße spricht man von einer Ein-, Zwei- oder Dreigefäßerkrankung bzw. Mehrgefäßerkrankung. Diagnose
Der therapeutische Effekt aller bei Angina pectoris wirksamen Pharmaka beruht darauf, daß sie über verschiedene Mechanismen den Sauerstoffbedarf des Herzmuskels reduzieren und durch Reduktion des Missverhältnisses zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot das Ausmaß der Koronarinsuffizienz verringern. Therapiemaßnahmen
Das älteste und nach wie vor wirksamste Mittel im Angina pectoris-Anfall ist das ansonsten als Sprengstoff verwendete Nitroglyzerin als Nitroglyzerin-Spray oder Zerbeißkapsel (z.B. Adalat® 10 mg). Für die Dauerbehandlung eignen sich länger wirkende Nitroglyzerinabkömmlinge, die sog. Nitrate in einfacher oder retardierter Form, wie z. B. ISDN (Isosorbiddinitrat, z.B. Isoket®) oder Isosorbid 5-Mononitrat (z.B. Ismo®, Coleb® oder Mono Mack®). An zweiter Stelle stehen die Beta-Rezeptorenblocker, die durch Hemmung des sympathischen Nervensystems den Sauerstoffverbrauch des Myokards reduzieren (z.B. Dociton®, Beloc®, Visken®, Trasicor®, Tenormin® u.v.a.). Als dritte Substanzgruppe werden die Calciumantagonisten (z. B. Isoptin®, Adalat® oder Dilzem®) eingesetzt, die durch ihre gefäßerweiternde Wirkung besonders bei Koronarspasmen günstig sind. Medikamente
Die Behandlung der instabilen Angina pectoris besteht in sofortiger Ruhigstellung und intensivmedizinischer Behandlung des Patienten bei gleichzeitiger Gabe von Heparin und Nitraten intravenös, Betarezeptorenblockern und Acetylsalicylsäure (100 mg/die).
Koronarchirurgische Maßnahmen kommen vor allem bei Patienten mit Stenosen des Hauptstammes der linken Koronararterie und Mehrgefäßerkrankungen in Betracht, bei denen medikamentös keine Beschwerdefreiheit zu erzielen ist. Inwieweit durch koronarchirurgische Maßnahmen nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch eine Lebensverlängerung erzielt werden kann, ist noch Gegenstand der Diskussion. Bei einer Stenose des Hauptstammes der linken Koronararterie kann allerdings die hohe jährliche Mortalitätsrate von rund 30% durch eine Bypassoperation erheblich reduziert werden. Wahrscheinlich profitieren Patienten mit einer Dreigefäßerkrankung, die unter medikamentöser Therapie nicht beschwerdefrei werden, am ehesten von einer Bypassoperation. Bei der Bypassoperation wird der stenosierte Anteil des betroffenen Herzkranzgefäßes durch eine körpereigene Vene umgangen. Auch die Implantation einer Brustkorbarterie (Arteria mammaria interna) auf die betroffene Koronararterie distal der Stenose (sog. Vineberg-Operation) gewinnt wieder an Bedeutung. Dieser Bypass wird als Arteria-mammaria-interna-Bypass bezeichnet. Die Operation erfolgt unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine in Hypothermie bei ca. 28-32° C. Die Operationssterblichkeit liegt je nach Zahl der betroffenen Herzkranzgefäße sowie der Vorschädigung des Myokards zwischen 1-2%. Koronarchirurgische
Maßnahmen
Bei der perkutanen transluminalen Koronarangioplastie (PTCA oder Ballondilatation), die 1977 von GRÜNTZIG entwickelt wurde, handelt es sich um ein nichtoperatives Verfahren zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit. Im Rahmen einer Herzkatheterisierung wird ein Führungskatheter in die betroffene Koronararterie eingeführt. Danach wird ein Dilatationskatheter bis zur Stenose nachgeschoben. Der an der Spitze des Katheters sich befindende Ballon wird mit 5-12 Atmosphären Druck für die Dauer von 3-4 Sekunden aufgeblasen. Dadurch werden das atheromatöse Material in der Gefäßintima wandständig komprimiert und die Koronararterie erweitert. Eine Aufdehnung der Stenose mit Reduktion des Stenosedurchmessers unter 50% gelingt in ca. 90% der Fälle. Ernsthafte Komplikationen wie Einrisse der Gefäßwand, die eine Operation notwendig machen, oder ein akuter Myokardinfarkt sind in etwa 3% der Fälle zu erwarten. Die Mortalität der PTCA liegt bei etwa 1%, das Wiederauftreten von Stenosen innerhalb des ersten halben Jahres bei 15-30%. Am besten eignen sich proximale, konzentrische, kurzstreckige, nicht verkalkte Stenosen der Koronararterien (1-Gefäß-Erkrankung) zur Ballondilatation. Zunehmend werden aber auch 2-Gefäß-Erkrankungen dilatiert. Nach PTCA können auch sog. Stents aus Kunststoff oder Metall in das Koronargefäß eingebracht werden, um einer erneuten Stenosierung TMLR vorzubeugen.  PTCA
Als neues Verfahren zeichnet sich die transmyokardiale Laser-Revaskularisation (TMLR) ab. Mit einem Kohlendioxid-Laser werden am offenen Herzen etwa 1 mm dicke Kanäle in fast alle Herzabschnitte eingebracht, was zu einer verbesserten Durchblutung des Myokards führt. TMLR
Übersicht 14: Medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapiemöglichkeiten der KHK
Medikamente:
  Nitrate
  Betarezeptorenblocker
  Calciumantagonisten
  Acetylsalicylsäure
  Antikoagulantien

Nichtmedikamentöse Methoden:
  PTCA (ev. zusätzliche Stent-Implantation)
  Aortokoronorar Venen-Bypass (ACVB)
  A. mammaria interna-Implantation
  Transmyokardiale Laser-Revaskularisation (TMLR)

Übersicht 14
Die Prognose hängt von der Lokalisation der Stenose und der Zahl der erkrankten Herzgefäße ab. Die jährliche Mortalitätsrate beträgt bei 1-Gefäß-Erkrankungen 3-4%, bei 2-Gefäß-Erkrankungen 6-8% und bei 3-Gefäß-Erkrankungen 10-13%. Eine besonders ungünstige Prognose haben Stenosen des Hauptstammes der linken Koronararterie mit einer jährlichen Mortalitätsrate von ca. 30%. Prognose
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