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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.5 Angeborene Herzfehler
2.3.5.1 Allgemeines
2.3.5.2 Angeborene Herzfehler ohne Shunt
2.3.5.3 Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt
2.3.5.4 Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt
2.3.6 Kardiomyopathien
2.3.7 Cor pulmonale
2.3.5 Angeborene Herzfehler
_____
Von 1000 lebend geborenen Kindern weisen 8-10 einen angeborenen Herzfehler auf. Lebenserwartung und -qualität können bei ca. 90% der betroffenen Kinder vor allem durch herzchirurgische Maßnahmen deutlich verbessert werden. Häufigkeit
Tab. 14: Häufigkeitsverteilung wichtiger angeborener Herzfehler (Deutsches Herzzentrum München) nach G. Rieker
 1. Linksobstruktion 
 •  Aortenstenose 
 •  Aortenisthmusstenose
-
 7,2% 
 5,3%
 2. Rechtsobstruktion
 •  Pulmonalstenose 
 •  Fallottetralogie 
 •  Pulmonalatresie 
 •  Trikuspidalatresie
 •  Ebsteinanomalie
-
 10,6%
 5,3%
 1,0% 
 1,0% 
 0,5%
 3. Septumdefekte
 •  Ventrikelseptumdefekt
 •  Offener Ductus arteriosus Botalli
 •  Vorhofseptumdefekt
 •  AV-Septumdefekt
-
 31,8%
 8,0%
 7,5%
 4,8%
 4. Fehlabgänge großer Arterien
 •  Komplette Transposition
-
 3,8%
Tab. 14
2.3.5.1 Allgemeines
Der menschliche Fetus besitzt in den ersten Lebenswochen nur einen Vorhof, eine Herzkammer und einen herznahen Arterienstamm. Die Ausbildung von zwei Herzteilen und zwei Kreisläufen ist nur möglich, weil Scheidewände (Septen) die Herzhöhlen und die großen Gefäße unterteilen. Dazu kommen komplizierte Drehungsvorgänge. Störungen dieser fetalen Herzentwicklung sind die Ursache der angeborenen Herzfehler. Entstehung
Drei Grundstörungen können auftreten:
•  Es bestehen abnorme Verbindungen zwischen kleinem und großem Kreislauf (z.B. Vorhof- oder Kammerseptumdefekt, offener Ductus Botalli).
Es entstehen Stenosen (z.B. Pulmonalstenose, Aortenisthmusstenose).
Es liegt eine Transposition, d.h. eine Verlagerung der großen Gefäße vor (z.B. Abgang der Aorta aus der rechten, der Arteria pulmonalis aus der linken Herzkammer).
Besteht auf Grund einer solchen Fehlentwicklung eine Kurzschlussverbindung zwischen einzelnen Herz- oder Gefäßabschnitten, so spricht man von einem Shunt. Beim sogenannten Rechts-Links-Shunt wird venöses dem arteriellen, beim Links-Rechts-Shunt arterielles dem venösen Blut beigemischt. Die Prognose der Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt ist im allgemeinen wesentlich ungünstiger. Nicht selten treten angeborene Herzfehler im Rahmen anderer Missbildungen auf, z.B. beim Down-Syndrom.
Als Ursachen der genannten Entwicklungssstörungen kommen neben genetischen Faktoren vor allem schädigende Einflüsse während der Frühschwangerschaft (1. und 2. Schwangerschaftsmonat) in Frage. Am besten erforscht ist das sogenannte Gregg-Syndrom: Je nachdem, ob die Mutter im ersten, zweiten oder dritten Schwangerschaftsmonat an Röteln erkrankt, kommt es zu Augenmissbildungen, Herzmissbildungen bzw. Innenohrschäden.
Manche Herzfehler, besonders diejenigen mit großem Rechts-Links-Shunt, gehen bereits nach der Geburt mit einer schweren Zyanose einher, weil venöses Blut dem arteriellen beigemischt wird (sog. blue babies). Es besteht also eine Frühzyanose. Andere angeborene Herzfehler führen erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben zu einer meist auch schwächeren Zyanose (Spätzyanose). Schließlich gibt es eine Gruppe von angeborenen Herzfehlern, die zu keinem Zeitpunkt eine nennenswerte Zyanose entwickeln. Diese Einteilung in eine frühzyanotische und spätzyanotische Gruppe sowie in die Gruppe ohne Zyanose ist von praktischer Bedeutung.
Ursachen
Abb. 16: Angeborene Herzfehler
Abb. 16
Abb. 16
Die Zyanose ist ein wichtiges, aber keineswegs regelmäßiges oder von Anfang an bestehendes Symptom. Eine Polyglobulie sowie Trommelschlägelfinger und -zehen finden sich praktisch nur in der Gruppe der sog. blue babies. Die Kinder sind nicht selten unterentwickelt. Häufig besteht eine Neigung zu Bronchitiden. Typisch ist die Hockerstellung, das sog. Squatting der Kinder mit Fallotscher Tetralogie. Eine schwerwiegende, relativ häufige Komplikation stellt die Disposition für eine bakterielle Endokarditis an den missgebildeten Herz- und Gefäßabschnitten dar (s. Abb. 16). Klinisches Bild
Die meisten angeborenen Herzfehler müssen am eröffneten, blutleeren Herzen operativ angegangen werden (sog. offene Operationsmethode); Kreislauf und Atmung werden während dieser Phase von der Herz-Lungen-Maschine übernommen (sog. extrakorporaler Kreislauf). Therapie
2.3.5.2 Angeborene Herzfehler ohne Shunt
Definition: Die Aorta zeigt an der Stelle der früheren Einmündung des sog. Ductus Botalli, der in der Fetalzeit Arteria pulmonalis und Aorta verbindet, nach der Geburt jedoch verödet, eine hochgradige Einengung.
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Als Folge der Aortenisthmusstenose herrscht in den arteriellen Kreislaufabschnitten vor der Stenose ein sehr hoher, dahinter ein sehr niedriger Blutdruck. Die Patienten haben als Leitsymptom einen Bluthochdruck im Bereich der Arme und einen erniedrigten Blutdruck an den unteren Extremitäten.
Die Diagnose kann manchmal mit "zwei Fingern" gestellt werden: während der Arteria-radialis-Puls sehr kräftig schlägt, ist der Arteria-femoralis-Puls am Leistenband nur sehr schwach tastbar oder fehlt vollständig. Eine Diagnosesicherung ist durch Computer- und Kernspintomographie möglich.
Als Komplikation kann eine bakterielle Endokarditis hinzutreten. Todesursache ist die Linksherzinsuffizienz. Die Behandlungsmethode der Wahl ist die Operation.
Aortenisthmusstenose
(Erwachsenenform)
Definition: Bei der Pulmonalstenose handelt es sich in 90% der Fälle um eine Stenose der Pulmonalklappe, d.h. um eine valvuläre Stenose. Seltener liegt eine Stenosierung in dem darunter gelegenen Gefäßabschnitt, dem Infundibulum, vor (infundibuläre Stenose).
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Leitsymptom ist die in der Jugend zunehmende Atemnot, Todesursache das Rechtsherzversagen. Bei einem Druckgradienten über 50 mm Hg ist heute die perkutane Ballondilatation die Methode der Wahl. Pulmonalstenose
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2.3.5.3 Angeborene Herzfehler mit Links-Rechts-Shunt 
Vorhofseptumdefekt (ASD)
Definition: Die Vorhofscheidewand weist einen Defekt mit Links-Rechts-Shunt auf. 
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Der Vorhofseptumdefekt ist der häufigste angeborene Herzfehler. In der Kindheit und Jugend besteht eine Neigung zu Bronchitis und Lungenentzündung, später treten Atemnot und Zyanose hinzu. Eine aufgepfropfte bakterielle Endokarditis kann das Krankheitsbild komplizieren. Häufig besteht eine Kombination mit anderen Missbildungen (s. Fallotsche Erkrankung, S. 114 Link). Schließlich führt ein Rechtsherzversagen zum Tode. Bei großen Defekten mit einem Shuntvolumen von > 50 % ist eine möglichst frühzeitige Operation anzustreben. Vorhofseptumdefekt
(ASD)
Kammerseptumdefekt (VSD)
Definition: In der Kammerscheidewand findet sich ein Defekt, der zwischen 0,5 bis 5 cm2 groß sein kann.
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Es kommt nicht nur isoliert, sondern häufig kombiniert vor und ist daher bei 25% aller angeborenen Herzfehler nachweisbar. Auch hier findet sich eine Neigung zu Infekten der oberen Luftwege. Eine Zyanose tritt erst in den Spätstadien auf. Links- und Rechtsherzversagen führen schließlich (bei schweren Fällen bereits im ersten Lebensjahr) zum Tode. Operiert werden sollte bei mittlerem bis großem Defekt so früh wie möglich nach dem 3. Lebensjahr. Beim sog. Morbus Roger, d.h. einem kleinen Ventrikelseptumdefekt, ist eine Operation nicht erforderlich. Kammerseptumdefekt
(VSD)
Offener Ductus botalli
Definition: Offenbleiben des Ductus Botalli, der während der Fetalzeit Arteria pulmonalis und Aorta verbindet.
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Der offene Ductus Botalli kann eine sehr unterschiedliche Größe aufweisen. Es strömt Blut aus der Aorta ständig über die Arteria pulmonalis in den kleinen Kreislauf zurück (Links-Rechts-Shunt). Die Blutdruckamplitude wird dadurch, wie bei der Aorteninsuffizienz, sehr groß, der diastolische Blutdruck niedrig. In einem Drittel der Fälle besteht zunächst eine bakterielle Endokarditis. Die Operation, die in einer doppelten Unterbindung des Ductus Botalli besteht, sollte immer angestrebt werden. Offener Ductus botalli
2.3.5.4 Angeborene Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt
Leitsymptom ist die von Anfang an bestehende, ständig zunehmende Zyanose. Später tritt Atemnot hinzu, häufiger pfropft sich eine Endokarditis auf. Die wichtigsten angeborenen Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt wurden 1888 von dem französischen Arzt FALLOT ausführlich beschrieben, weshalb sie unter dem Sammelbegriff Fallot-Syndrom zusammengefaßt werden. Je nachdem, ob sich 3, 4 oder 5 Fehler kombinieren, spricht man von Fallotscher Trilogie, Tetralogie bzw. Pentalogie. Immer besteht eine infundibuläre Pulmonalstenose und eine Rechtsherzhypertrophie. Diese Fehler können kombiniert sein mit einem Vorhofseptumdefekt, einem Kammerseptumdefekt oder einer Aorta, die nach rechts verlagert ist, über dem Kammerseptum "reitet" (reitende Aorta) und daher Blut aus beiden Kammern bekommt (s. Abb. 16 auf S. 111 Link). Leitsymptome
 •  Fallotsche Trilogie  = Pulmonalstenose + Rechtshypertrophie + Vorhofseptumdefekt
 •  Fallotsche Tetralogie  = Pulmonalstenose + Rechtshypertrophie + reitende Aorta + Kammerseptumdefekt
 •  Fallotsche Pentalogie  = Fallotsche Tetralogie + Vorhofseptumdefekt
Einteilung
Die Lebenserwartung der Patienten ist erheblich reduziert, mit 20 Jahren sind nur noch 3-5% der Patienten ohne operative Korrektur am Leben. Prognose
2.3.6 Kardiomyopathien
Definition: Kardiomyopathien sind relativ seltene Herzmuskelerkrankungen, die nicht auf eine der üblichen Ursachen wie beispielsweise Hypertonie, koronare Herzkrankheit oder Herzklappenfehler zurückzuführen sind.
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Bei der hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM) liegt eine starke Hypertrophie der Kammermuskulatur des linken Ventrikels vor, so daß während der Systole der Auswurf des Blutes aus der Kammer behindert wird. Wahrscheinlich handelt es sich um eine vererbbare Erkrankung. Digitalis führt zu einer Verschlechterung der Symptome und ist daher kontraindiziert. Eine Besserung kann mit Beta-Rezeptorenblockern oder Calciumantagonisten (z.B. Isoptin®) erreicht werden. Gelegentlich kommt als großer operativer Eingriff die Entfernung der hypertrophierten Myokardanteile in Frage. HOCM
Bei der hypertrophen nicht obstruktiven Kardiomyopathie (HNOCM) ist der Blutauswurf aus der linken Kammer nicht behindert. HNOCM
Die kongestive oder auch dilatative Kardiomyopathie (CCM) ist durch eine erhebliche Erweiterung des Ventrikels gekennzeichnet. Sie kann unterschiedliche Ursachen haben:
 •  unerkannte Virusmyokarditis,
 •  chronischer Alkoholkonsum (Alkohol-Kardiomyopathie),
 •  Kollagenosen,
 •  Medikamente (z.B. Zytostatika wie Adriamycin, Cyclophosphamid u.a.).
CCM
Zur Behandlung werden dieselben therapeutischen Maßnahmen wie bei der Therapie der Herzinsuffizienz eingesetzt. Therapie
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2.3.7 Cor pulmonale
Definition: Hypertrophie oder Dilatation des rechten Herzens durch eine mit pulmonaler Hypertonie einhergehende Erkrankung.
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Das Cor pulmonale stellt daher eine spezielle Form der Überlastung des rechten Herzens dar. Wie der Name besagt (lat. pulmo = Lunge), spielt bei seiner Entstehung die Lunge eine wesentliche Rolle.
Wird aus irgendeinem Grund die Lungenstrombahn, d.h. der kleine Kreislauf, stärker eingeengt, so muß das rechte Herz das Blut gegen einen höheren Widerstand durch die Lungen treiben, was zu einem Druckanstieg im kleinen Kreislauf, d.h. zur pulmonalen Hypertonie führt. Diese Mehrbelastung löst zunächst eine Hypertrophie, später eine Dilatation des rechten Ventrikels aus. Ist die Einengung der Lungenstrombahn hochgradig oder besteht sie über lange Zeit, so kommt es schließlich zum Versagen, d.h. zur Insuffizienz des rechten Herzens. Entstehung
Werden plötzlich größere Lungengefäßabschnitte durch Thromben aus dem venösen Teil des großen Kreislaufs - z.B. aus den Beinvenen - verlegt, liegt also eine Lungenembolie vor, so entwickelt sich innerhalb kurzer Zeit eine akute Rechtsherzüberlastung, das akute Cor pulmonale. Ursachen
Wird die Lungenstrombahn allmählich durch eine chronische Lungenerkrankung wie z.B. ein Lungenemphysem, eine Lungenfibrose oder durch chronisch-rezidivierende Lungenembolien eingeengt, so kann im Laufe der Jahre ein chronisches Cor pulmonale entstehen. Häufigste Ursache eines chronischen Cor pulmonale sind die obstruktiven Atemwegserkrankungen.
Besteht aus unbekannten Gründen ein Hochdruck im Lungenkreislauf, so liegt eine primäre pulmonale Hypertonie vor. Diese sehr seltene Erkrankung entsteht möglicherweise auf der Grundlage einer angeborenen Strukturveränderung der Lungengefäße.
Das klinische Bild wird von der zugrunde liegenden Lungenerkrankung mitbestimmt. Beim chronischen Cor pulmonale besteht häufig eine ausgeprägte Zyanose, weil zum einen der Gasaustausch (Sauerstoff) in der erkrankten Lunge gestört ist und zum anderen eine Insuffizienz des rechten Herzens vorliegt. Meist bestehen zudem eine Dyspnoe, Trommelschlägelfinger und -zehen sowie eine Polyglobulie durch chronischen Sauerstoffmangel. Die Symptome des akuten Cor pulmonale werden bei der Lungenembolie geschildert (s. Kap. 5.4.9). Klinisches Bild
Das insuffiziente chronische Cor pulmonale wird wie jede Herzinsuffizienz mit Digitalis und Diuretika behandelt. Vor allem muss aber die broncho-pulmonale Grunderkrankung intensiv angegangen werden. Bei chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen wirkt die Sauerstoff-Langzeittherapie nachweislich lebensverlängernd.
Das Atemzentrum spricht bei vielen dieser Patienten nur noch auf den Sauerstoffmangelreiz an. Wird zuviel Sauerstoff gegeben, so entfällt der einzige Reiz für das Atemzentrum, und es entwickelt sich ebenfalls rasch eine Atemlähmung. Ebenso ist es gegen Opiate und Sedativa überempfindlich.
Therapie
Merke: Patienten mit chronischem Cor pulmonale dürfen ohne ausdrückliche ärztliche Anweisung weder Morphin, Morphinderivate, Schlaf- oder Beruhigungsmittel noch Sauerstoff gegeben werden.
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Die Prognose ist recht ungünstig, da die Ursache der Rechtsherzüberlastung meist nicht beseitigt werden kann. Zwei Jahre nach den ersten Insuffizienzzeichen des chronischen Cor pulmonale lebt nur noch knapp die Hälfte der Patienten. Prognose
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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