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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3 Klinik der Herz- und Kreislauferkrankungen
2.3.1    Das Versagen von Herz und Kreislauf (Herz- und Kreislaufinsuffizienz)
2.3.1.1 Herzinsuffizienz
 
2.3 Klinik der Herz- und Kreislauferkrankungen
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Ganz allgemein können folgende Symptome auf eine mögliche Herzerkrankung hinweisen:
  Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit,
  Luftnot,
  Zyanose,
  Herzklopfen,
  Schmerzanfälle in der Herzregion,
  Pulsunregelmäßigkeiten,
  Ödeme,
  Trommelschlägelfinger.
2.3.1 Das Versagen von Herz und Kreislauf (Herz- und Kreislaufinsuffizienz)
Die Aufgabe des Kreislaufs besteht in der Versorgung aller Organe mit Blut. Kann der Kreislauf diese Aufgabe nicht mehr ausreichend erfüllen, so liegt eine Kreislaufinsuffizienz vor (Insuffizienz = lat. ungenügende Leistung) Aufgabe des Kreislaufs
Sie kann folgende drei Ursachen haben:
  Das Herz als Motor des Kreislaufs versagt: Herzinsuffizienz.
  Es besteht ein Mangel an Blutvolumen: Volumeninsuffizienz.
  Die Blutgefäße sind abnorm weit, was einem relativen Volumenmangel entspricht: Gefäßinsuffizienz.
Ursachen der
Kreislaufinsuffizienz
Volumen- und Gefäßinsuffizienz sind meist eng miteinander verflochten und verlaufen klinisch häufig unter dem Bild des Kreislaufschocks. Aufgrund der verschiedenen Ursachen, Klinik und Behandlungsmöglichkeiten scheint es zweckvoll, Herzinsuffizienz und Kreislaufschock getrennt aufzuführen.
2.3.1.1 Herzinsuffizienz
Die Herzinsuffizienz ist dadurch gekennzeichnet, dass das Herz unfähig ist, den gesamten Organismus bedarfsgerecht mit Blut zu versorgen, obwohl das venöse Blutangebot in ausreichendem Maße vorhanden ist. Die Förderleistung des Herzens ist daher im Verhältnis zum jeweiligen Bedarf und zum diastolischen Blutangebot zu gering. Definition
Sind Symptome einer Herzinsuffizienz bereits in Ruhe vorhanden, so liegt eine manifeste Herzinsuffizienz vor. Die latente (verborgene) Herzinsuffizienz führt erst bei stärkerer körperlicher Belastung zu Beschwerden und einer Leistungseinschränkung (Belastungsinsuffizienz).
Manifeste und latente
Herzinsuffizienz
Der Schweregrad der Herzinsuffizienz wird seit 1942 nach der New York Heart Association (NYHA) in vier Grade eingeteilt.
Übersicht 7: Einteilung der Herzinsuffizienz in vier Schweregrade
Grad I:    völlige Beschwerdefreiheit bei normaler körperlicher Belastung;
Grad II:   Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit bei schwerer körperlicher Tätigkeit;
Grad III:  starke Einschränkung der Belastbarkeit schon bei leichter körperlicher Tätigkeit;
Grad IV: bei jeder körperlichen Tätigkeit Zunahme der - meist auch in Ruhe bestehenden - Insuffizienzzeichen.
Übersicht 7
Einer Herzinsuffizienz können im wesentlichen vier Ursachen zugrunde liegen (s. Abb. 8):
•  Der Herzmuskel selbst ist geschädigt, d.h. es liegt eine Herzmuskelinsuffizienz vor. Zu einer solchen Herzmuskelschädigung kann es durch Sauerstoffmangel (z.B. Koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt), Entzündungen (z.B. Myokarditis), Stoffwechselstörungen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen, Kalium- oder Vitamin-B1-Mangel, Alkoholismus), chronische Drucküberlastung des Herzens (Hypertonie) oder Pharmaka (Beta-Rezeptorenblocker, Narkosemittel) kommen.
•  Es liegt ein Herzklappenfehler vor. Dabei kann die Klappe verengt (stenotisch) oder schlussunfähig (insuffizient) sein. Stenose und Insuffizienz können gemeinsam als kombinierter Herzklappenfehler auftreten.
•  Das Herz weist Rhythmusstörungen auf. Bei Tachykardien, ausgeprägter Bradykardie, bei Unterbrechungen der Reizleitung (z.B. totaler AV-Block) oder als Extrem bei Kammertachykardien kann die Förderleistung des Herzens so stark absinken, dass eine schwere Herzinsuffizienz entsteht.
•  Die Bewegungsfreiheit des Herzmuskels ist mechanisch beeinträchtigt, z.B. durch einen Erguß im Herzbeutel (Perikarderguß) oder durch bindegewebige Verwachsungen des Herzbeutels (Pericarditis constrictiva).
Entstehungsursachen
Die mangelhafte Auswurfleistung des Herzens hat zwei Folgen:
•  Vor dem Herzen entsteht ein venöser Rückstau.
•  Das Herzminutenvolumen nimmt ab.
Folgen
Merke: Häufigste Ursachen der Herzinsuffizienz sind die Herzmuskelinsuffizienz und Herzklappenfehler.
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Abb. 8: Ursachen der Herzinsuffizienz
Abb. 8
Abb. 8
Die durch den venösen Rückstau bedingten Erscheinungen werden, da sie sich - gesehen in der Strömungsrichtung des Blutes - hinter dem Herzen entwickeln, als backward failure (engl. rückwärts, Versagen) bezeichnet. Ist das linke Herz isoliert insuffizient (Linksherzinsuffizienz), so kommt es zur Stauung im Lungenkreislauf. Bei der Rechtsherzinsuffizienz besteht ein Rückstau in die Venen des großen Kreislaufs. Der Venendruck in den gestauten Abschnitten ist erhöht. Sehr eindrucksvoll ist dies bei Patienten mit Rechtsherzinsuffizienz zu erkennen: Sie weisen häufig gestaute Halsvenen auf; dementsprechend ist der ZVD erhöht. Venöser Rückstau
Mit forward failure (engl. vorwärts, Versagen) bezeichnet man die Folgen des herabgesetzten Minutenvolumens. Durch die Verminderung der Nierendurchblutung wird zuwenig Salz (NaCl) ausgeschieden, was zu einer Natriumanhäufung (Natriumretention) im Organismus führt. Da jedes Natrium-Ion ein bestimmtes Quantum Wasser bindet, steigen die Plasmamenge und der Flüssigkeitsgehalt der Gewebe an. Dieser ungünstige Mechanismus wird darüber hinaus noch durch Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems hormonell gefördert. Es kommt zu einer vermehrten Bildung des Nebennierenrindenhormons Aldosteron, das seinerseits eine weitere Natrium- und damit auch Flüssigkeitsretention bewirkt (sog. Hyperaldosteronismus). Die Folgen sind Ödeme, d.h. Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe.
Vermindertes Herz-
minutenvolumen
Venöser Rückstau, Anhäufung von Natrium und eine vermehrte Aldosteronproduktion sind daher die wesentlichen Ursachen der Ödeme bei Herzinsuffizienz. Kommt es zur Dehnung von Vorhof und/oder Kammern, so wird vorwiegend aus den Vorhofzellen ein körpereigenes Hormon, das ANP (atriales natriuretisches Peptid) gebildet, das zu einer gesteigerten Wasser- und Natriumausscheidung führt. Dieser Mechanismus soll der Ödembildung bei Herzinsuffizienz entgegenwirken (daher stark erhöhte ANP-Blutspiegel bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz). Ursachen der Ödeme
Die Symptome der doppelseitigen chronischen Herzinsuffizienz sind in Übersicht 8 aufgeführt. Aus praktischen Gründen ist es jedoch sinnvoll, die Symptome der Links- und Rechtsherzinsuffizienz getrennt zu beschreiben. Klinisches Bild
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Übersicht 8: Symptome der globalen chronischen Herzinsuffizienz nach G. Rieker.
•  Herzvergrößerung,
  Leistungsminderung,
•  Symptome des Rückwärtsversagens:
Orthopnoe, Belastungsdyspnoe, 
Lungenödem, 
venöse Einflussstauung,
Lebervergrößerung,
Höhlenergüsse,
Ödeme.
  Symptome des Vorwärtsversagens:
Hypotonie,
Schwindel,
muskuläre Ermüdbarkeit,
Hirnleistungsstörungen.
Übersicht 8
Abb. 9: Symptome bei Herzinsuffizienz
Abb. 9 (klein)
Vergrößerung
Abb. 9
Die Linksherzinsuffizienz führt zu einer Stauung im Lungenkreislauf. Ihr Leitsymptom ist die Atemnot. Charakteristisch ist die Kurzatmigkeit in liegender Körperhaltung, die durch Aufrechtsitzen vermindert wird (Orthopnoe). Die Zahl der Kopfkissen, die der Patient benötigt, um besser atmen zu können, ist nahezu ein Gradmesser der Linksherzinsuffizienz. Durch die Lungenstauung treten kleine Flüssigkeitsmengen in die Lungenbläschen über. Sie führen zur Stauungsbronchitis, aber auch zu Störungen des Gasaustausches in der Lunge. Das Blut verlässt daher die Lungen, ohne, wie normalerweise, fast vollständig mit Sauerstoff beladen zu sein. Die Orthopnoe ist ein Zeichen der fortgeschrittenen Linksherzinsuffizienz. Ehe sie sich entwickelt, tritt eine Belastungsdyspnoe auf.
Symtome der
Linksherzinsuffizienz
Die Verlangsamung der Blutströmung in der Kreislaufperipherie bewirkt, dass aus der gleichen Blutmenge mehr Sauerstoff als sonst entnommen wird. Das Blut wird dadurch insgesamt sauerstoffärmer, die Patienten weisen eine bläuliche Hautfarbe, eine sog. Zyanose auf. Bei schwerer Lungenstauung kann blutiger Auswurf auftreten. Wird die Lungenstauung hochgradig, so kommt es zu einer regelrechten Überflutung der Lungenbläschen (Alveolen) mit Flüssigkeit. Höchste Atemnot und massiver schaumiger (wie geschlagenes Eiweiß), z. T. hellroter Auswurf sind die Charakteristika eines solchen Lungenödems. Da rasselnde Atemgeräusche beim Lungenödem bereits aus der Entfernung hörbar sind, spricht man von "Distanz-Rasseln". Der Patient "ertrinkt" sozusagen durch die massive Flüssigkeitsansammlung in den Lungenalveolen. Schließlich können, vor allem bei gleichzeitiger Rechtsherzinsuffizienz, Pleuraergüsse (Transsudate) bis zu mehreren Litern auftreten.
Symptome des akuten
Lungenödems
Fallbeispiel 1:
Der 72-jährige Rentner J. K. hat vor sechs Jahren einen Herzvorderwandinfarkt erlitten. Seit Jahren ist eine medikamentös nicht ausreichend behandelte arterielle Hypertonie mit durchschnittlichen RR-Werten um 170/105 mmHg bekannt. Das Gesamtcholesterin ist auf 295 mg/dl erhöht bei erniedrigter HDL-Fraktion. Am Nachmittag verrichtet der Patient "leichte Gartenarbeit", d.h. er gräbt ein Gemüsebeet um. Er schwitzt sehr stark und trinkt, weil er sehr durstig geworden ist, zum Abendessen zwei Flaschen Bier. Eine Stunde später entwickelt sich eine rasch zunehmende, schließlich hochgradige Atemnot. Der Patient ist unfähig, sich hinzulegen, er hustet schaumigen Auswurf ab und entwickelt eine röchelnde Atmung. Nach der notfallmäßigen Einweisung in die Klinik wird dort röntgenologisch ein vergrößertes Herz mit ausgeprägter Lungenstauung bei einem RR-Wert von 180/115 mmHg festgestellt. Die Behandlung mit Furosemid i.V., Nitro-Infusion, Digitalis i. v. und Sauerstoff führt innerhalb von zwei Stunden zu einem deutlichen Beschwerderückgang. Der Patient scheidet während dieser Zeit 2200 ml Urin aus.
Fallbeispiel 1
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Diagnose: akute Linksherzinsuffizienz mit Lungenödem bei arterieller Hypertonie und koronarer Herzkrankheit nach ungewohnter körperlicher Anstrengung.
Die Rechtsherzinsuffizienz bedingt eine Stauung im venösen Gebiet des großen Kreislaufs, die zu vielerlei Symptomen führt. Die Halsvenen sind gestaut, die Handvenen bleiben, anders als beim Gesunden, gefüllt, auch wenn der Arm über Herzhöhe gehalten wird. Die Leber ist durch Stauung vergrößert und oft recht druckschmerzhaft. Die Stauung im Gebiet der Pfortader führt zu einer Blutfülle in der Magen-Darm-Schleimhaut (sog. Stauungsgastroenteritis) mit Blähungen, Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Aufstoßen und Oberbauchdruck. Die Resorption aus dem Magen-Darm-Kanal, beispielsweise auch von Arzneimitteln, kann gestört sein. In schweren Fällen kann sich freie Flüssigkeit im Bauchraum, ein Aszites, ansammeln. Dazu kommen Ödeme an den abhängigen Körperpartien: bei Bettlägerigen am Rücken und Gesäß, sonst an den unteren Extremitäten. Ausgedehnte, stauungsbedingte Ödeme der Unterhaut nennt man Anasarka. Nachts, wenn das Herz sich erholt und Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn zurückströmt, nimmt die Harnproduktion zu; die Folge ist ein vermehrtes nächtliches Wasserlassen, die sog. Nykturie. Die Röntgenuntersuchung zeigt, dass praktisch bei jeder Herzmuskelinsuffizienz das Herz vergrößert und häufig auch typisch umgeformt ist.
Symptome der
Rechtsherzinsuffizenz
Gemeinsame Symptome der Links- und Rechtsherzinsuffizienz bestehen in eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Belastungsdyspnoe, Nykturie, Rhythmusstörungen, Tachykardie, Herzvergrößerung sowie Pleura- und/oder Perikardergüssen. Die genannten Symptome müssen keinesfalls alle gleichzeitig vorhanden sein; auch kann ihre Ausprägung stark wechseln. Die Zyanose ist bei der Rechtsherzinsuffizienz meist stärker als bei isolierter Linksherzinsuffizienz.
Gemeinsame Symptome 
der Links- und
Rechtsherzinsuffizienz
Die Umformung des Herzens kann zwei Ursachen haben:
•  Muss ein Herzabschnitt gegen einen sehr hohen Widerstand arbeiten, z.B. die linke Kammer gegen eine Verengung der Aortenklappe Blut in den Kreislauf pressen, so wird dies zu einer Dickenzunahme der Wand des Ventrikels führen, die als Hypertrophie bezeichnet wird. Diese Zunahme der Herzmuskelmasse bedingt zunächst einen Zuwachs an Kontraktionskraft. Überschreitet die Hypertrophie jedoch ein gewisses Ausmaß, so dass nunmehr die Blutversorgung für den hypertrophierten Herzabschnitt ungenügend wird (das sog. "kritische Herzgewicht" wird überschritten), leidet die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels, und die Leistungsfähigkeit des Myokards verschlechtert sich. Die Hypertrophie eines Herzabschnittes stellt folglich nur bis zu einem gewissen Grad einen Gewinn für die Herzarbeit dar, kann darüber hinaus aber pathologisch werden.
•  Muss ein Herzabschnitt größere Volumina als üblich auswerfen, so kann es zur Ausweitung, d.h. Dilatation einer Herzhöhle kommen. Die Dilatation ihrerseits bewirkt eine weitere Schädigung des Myokards.
Ursachen der Um-
formung des Herzens
Tab. 9: Links- und Rechtsherzinsuffizienz
 - Linksherzinsuffizienz Rechtsherzinsuffizienz
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Ursachen Hypertonie Bronchitis
Koronare Herzkrankheit  Emphysem
Herzklappenfehler Lungenfibrose
Kardiomyopathien Lungenembolie
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Zyanose mäßig ausgeprägt
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Orthopnoe häufig selten
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Polyglobulie selten ausgeprägt
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Stauungstyp Lunge (Lungenödem) Leber, Niere, Beinödeme, Aszites
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Wirkung von Sauerstoff, Morphin und  günstig ungünstig
Beruhigungsmitteln
Tab. 9
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