Das
Reich des Dottore Antoniniano deckte sich in seinen Grenzen mit dem Imperium
Romanum zur Zeit der Geburt Christi. Dies war unschwer an den kleinen
Fähnchen auf der Weltkarte in seinem Wartezimmer abzulesen. Jede der
kleinen Flaggen stand für eine gelungene künstliche Befruchtung.
Die meisten Fähnchen waren grasgrün. Dazwischen steckten immer
wieder blutrote Flaggen, Symbole für außerordentliche Siege,
die Dottore Antoniniano im Kampf gegen die Kinderlosigkeit errungen hatte.
Die roten Fähnchen waren den mamme-nonne über fünfzig
vorbehalten, denen er zur Seligkeit eines eigenen miracolo bambino
verholfen hatte.
Antoninianos Herrschaftsbereich
umfasste alle Mittelmeerländer und streckte seinen kräftigsten
Ausläufer vor bis zum Persischen Golf. Im Norden erstreckte es sich
bis England, nur Irland erreichte es - aus welchen Gründen auch immer
- nicht. Der südlichste vorgeschobene Posten seines italienischen
Mutterlandes war die winzige Isola di Pantelleria. An all den Einstichstellen
der Fähnchen wiegten verklärte Mütter die Frucht ihres Leibes
in den Armen, Geschöpfe, die ihr Dasein mindestens ebenso sehr den
trickreichen Künsten des Dottore Antoniniano verdankten wie den Geschlechtszellen
ihrer Eltern, deren erstes Rendezvous im Reagenzglas stattgefunden hatte.
Es war ein mysteriöses
Imperium, in dem der Dottore als Alleinherrscher regierte. Er hielt es
ohne weltliche Ordnungskräfte zusammen. Alle Barrieren der Sprachen
und Riten hatte es mühelos überwunden. Es vereinte die gegensätzlichsten
Klimata, die Sturmgefilde der Orkney Islands ebenso wie die Dürrezonen
der arabischen Wüstenregionen. Die einzig akzeptierte Währung
dieses Reiches stammte aus dem Fort Knox Antoninianos. Sie war unverwechselbar
und fälschungssicher, in keine andere Währung konvertierbar,
und das singuläre Resultat seiner alchimistischen Hände: das
befruchtete Ei. Die Münze des Lebens und dennoch sterblich.
In der Polarnacht seiner
Tiefkühltruhen hortete der Dottore die erstarrten Embryonen, Frostblumen
einer trügerischen Ewigkeit. Manche verloren, aufgegeben von flüchtenden
Vätern oder von verwirrten Müttern verstoßen. Auf ewig
verdammt in der entsetzlichsten aller Höllen, nicht in unauslöschlichen
Feuern, sondern in brennender Kälte ohne Ende. Im neunten Kreis waren
sie eingefroren im eisigen Fluss Cocytus, so wie ihr Barde Dante Alighieri
sie besungen hatte:
So staken blau
bis wo die Scham man sieht
Die schmerzensreichen
Schatten in dem Eise
Die Zähne klapperten
das Storchenlied.
»Sehen Sie dieses Ei?«
hatte Denis Diderot seinem d'Alembert zugerufen. »Damit können
alle theologischen Systeme und alle Tempel dieser Erde gestürzt werden!«
Antoninianos Reich war ein
Reich der Schläfer und Träumer. Eine Welt der Daumensauger und
Milchlutscher. Überlebende aus traumatischen Reisen durch Retorten
und Sonden, Pipetten und Nährlösungen. Das Opium der Schuldlosigkeit
und des Nicht-Wissens gluckerte in ihren warmen Eingeweiden.
Ob auch sie ursprünglich
im Schöpfungsplan Gottes aufgeführt waren, konnte niemand mit
Sicherheit sagen. Den Wissenschaftlern stellte sich die Frage nicht. Dottore
Antoniniano selbst war felsenfest überzeugt, nur Erfüllungsgehilfe
des großen Entwurfes zu sein, was ihm wiederum Ächtung und Bann
des Kardinalerzbischofs eintrug. Der Dottore hob seine behaarten Hände
in einer opfernden Geste:
»Seine Eminenz wirft
mir vor, ich fabriziere Kinder auf Bestellung wie Kälber, was ihn
allerdings nicht davon abhält, den neugeborenen Kleinen tausend
zärtlichste Grüße und Gottes überreichen Segen
zu übermitteln.«
»Vielleicht ist es
seine
Art, ihnen seine Liebe zu zeigen?« wandte ich tastend ein.
»Wie könnte er
sie lieben? Für ihn sind sie Homunkuli, seit Urzeiten in teuflischen
Phiolen schwelend. Und der Mensch maßt sich an, den Korken aus der
Öffnung zu ziehen. Sie sind eher Objekte des Exorzismus als der Liebe.
In keiner elterlichen Umarmung gezeugt, sind sie in seinen Augen dem Niemandsland
des Dämonischen entsprungen. Ja, er geht noch einen Schritt weiter.
Ungeborene seien diese Embryonen und niemand wisse, welche von ihnen je
geboren würden. Diese Ungeborenen aber seien die Unseligsten der Unseligen.
Da sie das Leben nicht erlangt hätten, müsse man sie zu den Toten
zählen, ungetaufte, tote Wesen. Seit Innozenz XII aber zählten
ohne Taufe gestorbene Kinder zu den ewig Verdammten, auch wenn der Kardinal
Coelestin Sfondrati ihnen in seinem postum Werk Nodus praedestinationis
dissolutus 1697 eine Art natürlicher Seligkeit habe zuerkennen
wollen.«
Eine Anwandlung theatralischer
Verzweiflung schien den Dottore zu überkommen:
»Ich habe gewagt, seine
Eminenz an Rahels flehenden Schrei zu erinnern, mit dem sie Jakob anfiel:
Verschaff
mir Söhne! Wenn nicht, sterbe ich! An die Magd Bilha, die sie
Jakob anträgt, die er schwängern und die auf ihren Knien gebären
soll. Und Bilha gebiert Jakob einen Sohn. Rahel sieht darin einen Akt göttlicher
Gerechtigkeit, weshalb das Kind Dan, der Richter, genannt wird. Der zweite
Sohn, den die Magd zur Welt bringt, wird Naftali, der Kämpfer, geheißen.
Es sind Rahels Siege im Gotteskampf. Aber nicht genug, Lea, Rahels Schwester,
wird von Eifersucht erfasst. Obwohl sie schon vier Söhne geboren hat
und unfruchtbar geworden ist, möchte sie es Rahel gleichtun und Jakob
weitere Söhne schenken. So führt sie Jakob ihre Magd Silpa zu,
die ihm noch die Söhne Gad und Ascher, das Glückskind, schenkt.
Ein Drittel der Stämme Israels ist also gewissermaßen durch
Leihmütter entstanden! Aber wie reagiert seine Eminenz? Als ob ich
ein Idiot wäre, belehrt er mich, sicher wisse ich doch, dies seien
Adoptionen gewesen, keine künstlichen Befruchtungen. Adoptionen stünde
der Heilige Stuhl aber bekanntlich durchaus wohlwollend gegenüber.«
Seine Verzweiflung verflog
so rasch, wie sie gekommen war. Er hätte süße Rache an
seiner Eminenz nehmen, ja ihm vielleicht sogar aufrichtigen Schmerz zufügen
können, gestand mir der Dottore mit einem Anflug von Belustigung.
Aber das liege nicht in seiner Natur. Warum auch solle er das Weltbild
des greisen Gottesmannes mit dem wohl begründeten Verdacht erschüttern,
dass die hurtige Schar studentischer Samenspender seines Institutes fast
überwiegend aus Adepten der verschiedenen Priesterseminare bestand?
Diese jungen Männer seien durch bestimmte Merkmale leicht zu identifizieren:
Meist gäben sie sich als Psychologiestudenten aus, ihre Blicke seien
fliehend, die Hände schweißig. Die überdurchschnittliche
Zügigkeit, mit der sie zum Erfolg kämen, lasse auf einen beträchtlichen
Trainingsvorsprung vor den anderen Studiosi schließen. Auch werde
gemunkelt, dass sie den Judaslohn der hunderttausend Lire meist in den
Opferstöcken von San Giovanni in Laterano oder San Paolo
Fuori le Mura verschwinden ließen. Nur besonders Mutige entledigten
sich des Geldes in der Petersbasilika. Das ganze sei, bemerkte der Dottore
abschließend, ein bewundernswertes Handlungsgeflecht aus fadenscheiniger
Rechtfertigung eines verbotenen Lustgewinnes und profaner Ablasszahlung.
Abgesehen davon, der Kardinalerzbischof sei als Realist bekannt. Insofern
sei nicht auszuschließen, dass diese Enthüllungen seine Weltsicht
eher bestätigen würden als an ihr zu kratzen. Wie auch immer,
die Handschellen des Zölibates, die er eines Tages jedem der jungen
Männer anlegen würde, seien auf alle Fälle sein letzter
Trumpf.
»Der Kardinalerzbischof
ist ein Greis,« versuchte ich zu vermitteln. »Der Starrsinn
des Alters verschont auch ihn nicht, selbst wenn es eine Enge des Geistes
auf ungewöhnlich hohem Niveau ist. Es bedarf schon einer beträchtlichen
Flexibilität zu akzeptieren, dass ein Kind heute bis zu fünf
Elternteile haben kann, darunter drei Mütter: den genetischen Vater
und die genetische Mutter, die Leihmutter, die Adoptivmutter und den Adoptivvater.«
Der Dottore war mit meinem
Einwand nur halbherzig einverstanden: »Seine Eminenz ist ein Greis,
sicherlich, aber ein erstaunlich wacher und belesener Greis. Noch erstaunlicher
die Lektüre, die er bevorzugt. Mitten in unserem Wortwechsel trippelte
er an ein Buchregal hinter seinem Stuhl - Thron wäre die zutreffendere
Beschreibung - und zog ein Lederbändchen heraus, eine bibliophile
Kostbarkeit, wie ich schon aus der Entfernung sehen konnte, vielleicht
eine Leihgabe der Vatikanischen Bibliothek, ein Glanzstück des Index
librorum prohibitorum, wahrscheinlich sogar sein eigener Besitz. Was
Marquis de Sade zu seiner Zeit als äußerste Ausschweifung beschrieben
habe, bedeutete mir seine Eminenz, sei ein harmloser Vorläufer dessen,
was heute im Namen der In-vitro-Befruchtungen inszeniert werde. Und dann,
lieber Kollege, begann er mir tatsächlich einen Abschnitt aus La
Philosophie dans le Boudoir vorzulesen. Seine Rezitation hat mich dermaßen
verblüfft, dass ich mir den Text besorgt habe.«
Er griff in die Schublade,
holte ein Bändchen, allerdings in schlichtem Leinen gebunden, heraus,
schlug es bei dem Lesezeichen auf und fuhr fort:
»In der Philosophie
im Boudoir lässt de Sade den Wüstling Dolmancé erzählen:
»Einer meiner Freunde lebte mit der Tochter, die er von seiner
eigenen Mutter bekommen hatte; erst vor acht Tagen hat er einen dreizehnjährigen
Knaben entjungfert, der die Frucht des Verkehrs mit dieser Tochter ist.
In ein paar Jahren wird dieser gleiche junge Mann seine Mutter ehelichen,
so hat mein Freund es gewünscht ...«
Er lehnte sich zurück
und wartete die Wirkung auf mich ab.
»Sie haben Recht, die
Belesenheit seiner Eminenz ist beeindruckend. Aber wirft er nicht einfach
die Dinge etwas durcheinander?«
Der Dottore zuckte die Achseln.
»Ich bin mir nicht
sicher. Vielleicht ist es Methode. Senile Konfusion - und in Wirklichkeit
eine dialektische Höchstleistung. Gut, wir wissen es nicht. Ich habe
seine Eminenz eingeladen, sich das Schauspiel der In-vitro-Fertilisation
in meinem Institut anzusehen, man könnte sagen zu genießen.
Denn für mich ist es bei aller Routine, die wir haben, jedes Mal ein
hoch-dramatischer Akt von hoher Schönheit und unglaublicher Spannung.
Er hat abgelehnt. Es könne gerechtfertigt sein, so seine Argumentation,
der Sünde ins Angesicht zu blicken, denn der Feind könne Aug
um Auge am besten vernichtet werden. Aber es gäbe Böses, dessen
Tücke darin bestünde, dass es sich durch Betrachtung vermehre
wie eine Hydra. Dazu zähle mein Handwerk. Hier gelte das Biblische:
Wenn
dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es
aus und wirf es weg!«
Eine Laborantin brachte dem
Dottore einen neuen Espresso. Es war der sechste im Verlaufe unseres Gesprächs,
wenn ich richtig gezählt hatte. Der Dottore war sozusagen ein Kettentrinker.
Vielleicht sog er aus diesen endlos servierten Surrogaten seine Lebenskraft,
er, der sich in die Dienste des Lebens gestellt hatte, ein Mann des
Lebens, wie er sich selbst bezeichnete. Vielleicht lag es an dem schwärzlichen
Gebräu, dass sein Zorn über den Kardinalerzbischof in einer zweiten
Eruption erneut aufflammte.
»Er selbst, scheint
mir, hat sich längst beide Augen herausgerissen, die Augen der Barmherzigkeit.
Denn er ist blind gegen das Leiden dieser Frauen, die mich nach Irrfahrten
und Erniedrigungen aufsuchen, von denen seine Eminenz keine Ahnung hat.
Ich habe versucht, ihm nur einen bescheidenen Überblick über
das Repertoire der hilflosen und unsinnigen Riten und Gebräuche zu
geben, denen sich diese Unfruchtbaren unterwerfen. Sie trinken totes
Wasser aus fauligen Teichen, weil es voller Lebenskeime sein soll.
Wenn ihre Regel zu schwach ist, legen sie rostige Nägel in verdünntes
Essigwasser und schlürfen die rötliche Brühe, um ihr Blut
anzuregen. In der Champagne schütteln sie in der Heiligen Nacht, nur
mit einem Hemdchen bekleidet, bestimmte Bäume, die Kindersegen verheißen,
und reden mit ihnen. Sie rutschen mit bloßem Hinterteil über
sogenannte Reibesteine, ein beliebter Brauch in den Vogesen, oder zwängen
ihre Finger in die Einkerbungen von Fruchtbarkeitssteinen. Sie trinken
Extrakte aus Artemisia, der Mutter aller Kräuter. Manche urinieren
auf die Wurzeln des Mönchspfeffers, der sie wie ein Glied befruchten
soll. Der Kardinalerzbischof blieb von alledem unbeeindruckt. Es seien
Irrwege, um nicht Versündigungen zu sagen, belehrte er mich. Es gäbe
nur einen wahren Weg. Gott sei ein Gott des Lebens und darum könne
der Wunsch nach Leben nur durch das Gebet erfüllt werden.«
Bevor er fortfuhr, zögerte
er für einen Moment. Sein Blick schien an mir hängen zu bleiben.
Er sah durch mich hindurch, Augen, die sehr viel gesehen hatten, ermüdet
vom unablässigen Schweifen an die Grenzen seines Reiches, ein Imperium,
auf dem die Stille fetaler Anschwellungen lastete. Tasteten sie in Gedanken
die äußersten Grenzziehungen ab, zu denen es ihn noch hinzog?
Gab es diese Grenzen überhaupt? Oder verfing er sich in den nostalgischen
Fallen seiner Assistentenjahre, die er als junger Geburtshelfer im stickigen
Kreißsaal des Ospedale in Sondrio verbracht hatte? In einer
Kette ohne Ende zog er stöhnenden Müttern ihre Kinder aus dem
Leib. So sehr er sich damals auch wusch, der animalische Geruch von Fruchtwasser
und warmem Gebärblut haftete seiner Haut an wie eine Imprägnierung,
ein Geruch, von dem er nie wusste, ob er ihn anwiderte oder ihn hörig
machte.
Hier in der Kapitale seiner
Macht gab es diesen Geruch nicht. Hier gab es überhaupt keinen Geruch.
Das Glas der Retorten und Schälchen war ohne Geruch, die Instrumente
aus Edelstahl, die Mikroskope. Die tiefgefrorenen Samen lagerten als geruchlose
Sorbets in den Fächern der Tiefkühltruhen und die Embryonen warteten
in arktischer Erstarrung wie winzige gefrostete Garnelen auf den Tag ihrer
Auferstehung, auch sie ohne Geruch. Manchmal allerdings glaubte der Dottore
einen salzigen Fischhauch zu verspüren, aber er wusste, es war eine
Täuschung. Nur in seinen seltenen Alpträumen lagerte der Brodem
des Gebärzimmers von Sondrio in den Fluren und Laboren seines Institutes
und
er begann sich wieder zu waschen. Das Imperium des Dottore Antoniniano,
war es am Ende nichts anderes als ein gigantisches Exil? Wie konnte es
da Grenzen haben?
Vielleicht hatte der Dottore
die gleichen Gedanken verfolgt, denn unvermittelt fragte er mich:
»Gleich werden Sie
mir die Lieblingsfrage stellen. Die Frage nach der Altersgrenze für
meine mamme-nonne. Ich will die Antwort vorwegnehmen. Ich habe viel
darüber nachgedacht. Man hat mir vorgeworfen, diese älteren Frauen
seien untaugliche Mütter. Ich frage Sie, wo ist ein bambino
besser aufgehoben, bei einer reifen Frau, deren Lebenswunsch sich damit
erfüllt hat, statt bei einem dieser siebzehnjährigen Flittchen,
für die es nur ein lästiger Betriebsunfall ist? Außerdem
treffe ich sehr sorgsam meine Auswahl. Die Mütter müssen aus
langlebigen Familien stammen, kerngesund sein, seelisch wie körperlich,
vor allem müssen sie sich nicht nur Kinder wünschen, sondern
sie inbrünstig lieben. Was, verehrter Kollege, spricht, wenn diese
Voraussetzungen gegeben sind, gegen die Erfüllung des Kinderwunsches
bei einer Siebzigjährigen?«
»Wenn das Kind dreißig
ist, ist seine Mutter hundert.«
»Wir sollten die großen
Zusammenhänge sehen! Alle biologischen Entwicklungen sind miteinander
verflochten. Die Menschen werden immer älter werden. Die natürliche
Lebensgrenze liegt bei hundertzehn, vielleicht sogar hundertzwanzig. Also
vierzig oder fünfzig gemeinsame Jahre für Mutter und Kind, das
ist doch immens.«
Ich war sicher, der Dottore
kannte alle Gegenargumente. Wie sollte ich ihn mit Szenarien von Müttern
irritieren können, die mit zwanzig und siebzig je eine Tochter bekämen?
Als Achtzigjährige hätten sie dann eine zehn- und eine sechzigjährige
Tochter, ein Schulkind und eine ältere Dame als Schwestern. Wieder
sah ich das Imperium des Dottore Antoniniano vor mir und ihn den Imperator
als ewigen Grenzgänger, ruhelos getrieben von dem feuchten Gebärdunst
des Ospedale in Sondrio, ein Herrscher, dessen Leben von Grenzverschiebungen
abhing.
Morgen um elf, ließ
er mich wissen, sei das nächste spettacolo geplant. Vielleicht
würde mich seine Erhabenheit beeindrucken, vielleicht sogar überzeugen.
Ich sagte zu.
Das Ereignis am anderen Morgen
fand auf zwei Bühnen gleichzeitig statt: dem Labor des Dottore Antoniniano
und dem angrenzenden Raum, in dem man die künftige Mutter auf ein
weißes Lager gebettet hatte, ein keimfreies Brautbett. Ihr Mann,
Olivenbauer aus der Provinz Teramo, das gegerbte Gesicht gerötet,
hielt ihre Hand. Ihre Blicke waren auf die Opaleszenz des Monitors gerichtet.
Zum vierten mal in einem Jahr verfolgten sie auf ihm das Hochamt, das der
Dottore im Namen des Lebens im Labor nebenan zelebrierte. Wie immer beteten
sie; diesmal zum Heiligen Antonius von Padua, dem verheißungsvollsten
Fürsprecher für rasche Empfängnis und sanfte Niederkunft,
da die Anrufungen der Margareta von Antiochia bisher buchstäblich
fruchtlos geblieben waren. Das wenigstens glaubten sie. In Wirklichkeit
aber beteten sie zu dem Gott auf der anderen Seite des Monitors.
Der hatte mittlerweile das
Ei mit einer Kanüle gefasst, ein Korn, winzig, das das Universum enthielt,
entsprungen aus dem Nichtseienden, eine Kugel schwebend in der Mitte des
Bildschirms, transparent, von einer filigranen Hülle umgeben, getaucht
in kosmisches Blau. Er, der Gott, hatte ihre Bahn in seine Sphäre
gelenkt. Ihre Schwerkraft band sie für alle Zeiten an ihn. Mit seiner
Rechten fing er den kräftigsten Samenfaden ein und saugte ihn in ein
gläsernes Röhrchen. Dann drang er damit in Mikrometerschritten
in die Kugel ein und entleerte das auserwählte Spermium in ihr Zentrum.
Ein Akt roher Penetration auf dem Bildschirm, von ihm ein Surrogat der
Liebe genannt.
Der Dottore lehnte sich zurück:
»Sie haben es gesehen.
Die Theaterbühne ist bekanntlich der gefährlichste Ort der Welt,
weil nirgendwo soviel gestorben wird. In unserem piccolo teatro
hingegen hat der Tod keine Macht. Hier regiert das Leben. Hier spielen
wir das Drama der Urzeugung!«
In Wirklichkeit sei es ein
piccolissimo
teatro, dozierte er. Das Ei, nur einen Zehntel Millimeter groß,
das Spermium die Hälfte, Winzlinge, die unter dem Mikromanipulator
vereinigt werden müssten. Den Vorgang Mikroinjektion zu bezeichnen,
sei fast schon eine Untertreibung. Das Ganze sei etwas für Equilibristen
der Biologie. Sonst nütze auch seine high-tech-macchina für
hundert Millionen Lire nichts. Man müsse verliebt sein in den Schöpfungsakt
und zugleich Ästhet. Seine Methode sei im übrigen die erste wirklich
künstliche Befruchtung.
»Eier und Spermien
in der Retorte zu mixen, das ist primitiv, das ist Steinzeit-Reproduktionsmedizin.
Aber dieses Ei mit diesem einen Samenfaden zu vereinigen,
das heißt, Schöpfung zu inszenieren.«
»Welches Prinzip wählt
unter natürlichen Bedingungen den einen Gewinner aus, der unter Millionen
Kombattanten ins Rennen geschickt wird?« wagte ich einzuwenden.
Der Dottore zog fragend die
Augenbrauen hoch.
»Wir können nur
Spekulationen anstellen. Natürlich fragen wir uns auch, ob bei den
unfruchtbaren Männern die Natur möglicherweise ihre Gründe
hat, ihre Spermien nicht zum Zuge kommen zu lassen. Aber welche Jury sollte
entscheiden können, welche Samenfäden die >besten< sind? Die
guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen? Das wäre
letztlich nur ein albernes Pokerspiel. Was wir immerhin wissen, ist, dass
unter den tausenden Kindern, die bis heute auf der Welt mit der Mikroinjektionsmethode
gezeugt wurden, nicht mehr Missbildungen aufgetreten sind als bei der natürlichen
Zeugung. Und unter uns, lieber Kollege, Paare, die alles das hinter sich
haben, wie meine Klientel, sie würden dem Heiligen Antonius die Füße
auch für Babies mit Teufelshörnern, Rabenschnäbeln und Ringelschwänzchen
küssen. Ich vermute, sogar doppelt so inbrünstig.«
Er machte eine unbestimmte
Geste in das Halbdunkel des Labors und ergriff den Espresso, den ihm eine
Hand aus dem Dämmer zureichte.
»Die Stärkung
für den zweiten Akt des spettacolo. Die Braut ist gerüstet.
Dem Bräutigam fällt zwar nur die Rolle des Voyeurs zu, aber er
kann sich zumindest sicher sein, dass die Frucht, die ich gleich in ihren
Schoß senken werde, zur Hälfte von ihm stammt. Nicht jeder Bräutigam
kann das von sich behaupten. Sie wissen vielleicht, dass mich manche der
Paare ihren padrino della sposa, ihren Brautvater, nennen. Schade,
dass Sie beim letzten Akt in neun Monaten nicht dabei sein werden. Dann
muss ich aus dem Mikrokosmos aufsteigen. Der uralte Makrokosmos ruft und
will seinen Tribut. Dort hat sich nichts verändert. Noch müssen
wir die Kleinen mit unseren Händen aus den Leibern der Mütter
ans Licht der Welt holen. Noch ist leider die Ektogenese, die Aufzucht
von Feten außerhalb eines menschlichen Körpers in einem künstlichen
Uterus, eine Utopie.«
Er brach unvermittelt ab.
Das Licht im Labor ging an. Seine geöffneten Hände staken in
einer abgebrochenen Geste in der Luft, wie in Gelatine konserviert. Seine
Erstarrung griff auf alle im Raum über und ließ sie in einer
grotesken Dornröschen-Szenerie verharren. Der Widerschein des Monitors
machte sein Gesicht zu Kitt. Eine winzige Veränderung begann sich
um seinen Mund auszubreiten. Eine Spur Ekel, ausgelöst durch den untilgbaren
Dunst aus Fruchtwasser und warmem Gebärblut, aufquellend aus dem stickigen
Kreißsaal des Ospedale in Sondrio. Wie ferngesteuert, erhob
sich der Dottore. Auf Schienen glitt er zum Waschbecken, zeitlupenhaft
drehte er die Hähne auf und begann seine Hände mechanisch zu
waschen.
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