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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Gespräche mit dem sogenannten "schwierigen Patienten"
Gespräche mit dem sogenannten "schwierigen Patienten"
"Alle Patienten sind gleich und sollten daher gleich behandelt werden." Dieser Idealforderung steht die Realität gegenüber, die zeigt, dass affektive Neutralität nur bedingt zu verwirklichen ist. Verschiedene Untersuchungen zeigen (J. M. GOTTHARDT, E. MORGAN, D. PETERSON, M. RITVO), dass Ärzte und Pflegepersonal sehr wohl zwischen "angenehmen" und "unangenehmen" bzw. "beliebten" und "unbeliebten" Patienten unterscheiden.

Der sogenannte "schwierige Patient" ist quasi der Extremfall des unangenehmen und unbeliebten Patienten. Er stellt das Negativ des "Idealpatienten" dar. Als Idealpatient (ROHDE, zit. n. GOTTHARDT) gilt, wer sich unter Aufgabe der eigenen Person den persönlichen, arbeitsspezifischen Bedürfnissen des Personals anpasst. Er erkennt dessen Autorität an und unterwirft sich widerstandslos allen Anordnungen und Maßnahmen. Er verzichtet auf alle störenden Eigenarten und Bedürfnisse, zeigt Vertrauen und Dankbarkeit, antwortet ehrlich, rückhaltlos und umfassend, wenn er gefragt wird, sagt selbst aber nichts, wenn er nicht gefragt wird, und ist mit dem Maß an Kommunikation zufrieden, das ihm zugebilligt wird.

Der "schwierige Patient" hingegen fragt "zu viel", er passt sich nicht an, lehnt Untersuchungen und Behandlungsvorschläge ab, zeichnet sich durch eine überkritische Haltung aus, reagiert nicht in üblicher Weise oder unerwartet, kritisiert Ärzte, Pflegepersonal, Krankenhaus und Praxis, erscheint misstrauisch und uneinsichtig, gebärdet sich aggressiv und ist undankbar. Weitere Charakteristika sind schlechte Motivierbarkeit und daher schlechte Compliance, ängstlich-hypochondrische Grundhaltung, Apathie und Indolenz, "Klebrigkeit", Neigung, zu hohe Anforderungen an die Zuwendung des Teams zu stellen. Kurzum: Der schwierige Patient löst innere Widerstände aus, hemmt den Betrieb, kostet viel Zeit und frustriert Ärzte und Pflegepersonal.

Gibt es prädisponierende Merkmale für den schwierigen Patienten? Geschlecht, Alter und Krankheit haben nach Untersuchungen von GOTTHARDT keine signifikanten Bedeutungen für die Entwicklung zum schwierigen Patienten. 

Lediglich eine längere Krankheits- und Hospitalisierungsdauer (im allgemeinen mehr als 3 Monate) scheint eine fördernde Rolle zu spielen. Interessant ist das Ergebnis einer Studie von MORGAN und CHEADLE (zit. n. GOTTHARDT), wonach sich beim Pflegeteam die Tendenz zeigt, Patienten des eigenen Geschlechts eher abzulehnen als Patienten des anderen Geschlechts.

Voraussetzungen für einen erfolgreichen Umgang mit schwierigen Patienten ist zunächst die Analyse der möglichen Gründe für das abweichende Verhalten. Am Anfang der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Patienten sollte die Frage stehen: Erlebe nur ich den Patienten als unbequem, schwierig oder problematisch, obwohl aus seiner Perspektive sein Verhalten durchaus verständlich und legitim ist? Besonders problematisch ist es, wenn ein Patient schon deshalb als schwierig eingestuft wird, weil er mit dem Etikett des schwierigen Patienten avisiert wurde.

Welche Gründe gibt es, die einen Patienten als schwierig und problematisch erscheinen lassen?

Die bequemste Interpretation ist die, dass es sich um eine primär psychopathologisch strukturierte Persönlichkeit handelt. Diese Erklärung trifft jedoch wahrscheinlich nur für die Minderzahl der sogenannten schwierigen Patienten wirklich zu. Ein gewisses Entscheidungskriterium kann die Fremdanamnese bieten, die Aufschlüsse darüber gibt, ob es sich um eine Persönlichkeit handelt, die nicht nur als Kranker Probleme bereitet, sondern auch im Alltagsleben allgemein als schwierig gilt.

Weitere Gründe können ein hohes, aber durchaus begründetes Informationsbedürfnis oder eine primär kritische Grundhaltung sein. Nicht selten ist der Patient erst im Laufe seiner "Krankenkarriere" in die Rolle des schwierigen Kranken hineingewachsen, weil die Summe seiner Erfahrungen schlecht oder enttäuschend war. Krankheitsspezifische Einflüsse spielen vor allem bei chronischen Krankheiten oder langdauernden Extremsituationen (Intensivstation) eine Rolle. Der Status des schwierigen Patienten kann ferner lediglich Maske anderer Störungen und Krankheitsbilder, wie depressiver Verstimmungszustände oder Drogen- und Alkoholabhängigkeit, sein. Natürlich können auch egoistische Momente und eine überzogene Anspruchshaltung der wahre Grund für schwieriges Verhalten sein.

Wichtig ist es jedoch, sich klarzumachen, dass ein Patient häufig nur deshalb als schwierig erlebt wird, weil er auf ein Behandlungsteam mit inadäquaten Erwartungen trifft.

Mit anderen Worten: Das Phänomen "schwieriger Patient" muss als Symptom und nicht als unliebsame Störung des klinischen Alltags verstanden werden, wenn es gelingen soll, auch solche Patienten durch Gespräche und andere Maßnahmen befriedigend zu führen.

GROVES (1978) hat die sog. schwierigen Patienten in 4 Gruppen eingeteilt:

  • die Abhängigen (dependent clingers),
  • die Forderer (entitled demanders),
  • die Ablehner (manipulative help rejectors) und
  • die Selbstdestruktiven (self-destructive deniers).
Die abhängigen Kranken äußern einen scheinbar unstillbaren Hunger nach Aufmerksamkeit, der bis zu den extremsten Bitten um Präsenz und Zuwendung reichen kann. In diese Gruppe zählen auch die sog. "Dauerredner". Hinter diesem Verhalten stehen oft lebensgeschichtlich begründete Vernachlässigungs- und Trennungsängste. Es empfiehlt sich daher nicht, diesen Kranken eine klare Grenze der ärztlichen Verfügbarkeit aufzuzeigen, weil es dadurch in der Art eines Circulus vitiosus zu einer weiteren Verstärkung der Ängste kommen kann. MEERWEIN empfiehlt, solchen Patienten einen genau reglementierten, für sie durchsichtigen Behandlungsrahmen anzubieten, den sie überblicken und an den sie sich halten können. Denn "eine solche sichernde, den Patienten miteinbeziehende und mitbeteiligende, immer wieder auch die Zukunftsabsichten des Behandlungsteams zum Ausdruck bringende Art der Patientenführung kann bei diesen Kranken oft genügen, um den unheilvollen Zirkel zwischen dem dependent clinging und der darauf antwortenden Abwehrreaktion des Behandlungsteams aufzubrechen".

Bei den Forderern handelt es sich um Patienten, die auf dem Standpunkt stehen, dass sie nicht die beste ihnen zustehende und dem Wert ihrer Persönlichkeit entsprechende Behandlung vom Arzt erhalten. Oft üben sie entsprechenden Druck durch Verleumdung, gerichtliche Androhungen oder Nichtbezahlen von Rechnungen aus, was verständlicherweise zu Gegenreaktionen beim Arzt führen kann. Hinter der Haltung dieser Patienten steht ebenfalls häufig Angst im Sinne einer Wertlosigkeitsangst. Ziel des ärztlichen Umgangs mit solchen Patienten muss es daher sein, ihr Selbstwertgefühl in jeder Form zu heben und auf die besondere Qualität der Diagnostik und Therapie, die man ihnen zukommen lässt, hinzuweisen.

Die Ablehner unter den Patienten konfrontieren ihren Arzt mit immer neuen Symptomen, sobald ein Symptom behandelt worden ist, so dass es zu einer nicht abreißenden Kette von Behandlungen, Operationen und Arztkontakten kommt. Dieses Verhalten ist nicht einfach unter den Begriff "Hypochondrie" zu subsumieren, weil es der Angst entspringt, den behandelnden Arzt, auf den diese Kranken sehr angewiesen und dem sie innerlich stark verbunden sind, zu verlieren. In der Lebensgeschichte solcher Patienten handelt es sich oft um Störungen der psychischen Entwicklung durch einen fortgesetzten Wechsel der Beziehungspersonen. Dieser Angst "vor der Brüchigkeit und Wechselhaftigkeit der mitmenschlichen Beziehungen" muss Rechnung getragen und ein häufiger Arztwechsel deshalb vermieden werden.

Die selbstdestruktiven Kranken haben meistens alle Hoffnung auf Erfüllung ihrer Lebenswünsche aufgegeben und sehen in der Selbstzerstörung den einzigen Weg zur Selbstbehauptung. Häufig handelt es sich um Menschen, die in der Kindheit oft misshandelt wurden. Sie projizieren ihre Vernichtungswünsche auf die Ärzte, lösen aggressive Reaktionen aus und erschweren die Behandlung oft ganz erheblich. In vielen Fällen ist nur eine psychiatrische Behandlung erfolgreich.

Was können Arzt und Behandlungsteam tun, damit schwierige Patienten nicht schwierig bleiben müssen?

Es gibt folgende Wege:

  1. Grundlage des Gesprächs und Umgangs ist das wertfreie Akzeptieren des sogenannten schwierigen Patienten. Dazu gehört auch, dass neue Patienten, die mit dem Etikett "schwierig" angekündigt werden, nicht automatisch in die Kategorie der problematischen Patienten eingereiht werden. Der innere Stoßseufzer ist ein schlechter Einstieg in das Gespräch mit dem schwierigen Patienten. 
  2. Es muss versucht werden, die Gründe zu analysieren, warum sich ein Patient (scheinbar) schwierig, problematisch oder auffällig verhält. Diese Gründe können, wie oben gezeigt, im Patienten selbst, in seiner Krankheit, im System und im Betreuungsteam liegen. Angst ist einer der häufigsten Gründe. 
  3. Gerade beim problematischen Patienten ist ein besonders zuvorkommender und höflicher Umgangston angebracht. Er wirkt der sich sonst leicht entwickelnden Verhärtung des Gesprächs entgegen. 
  4. Es ist wichtig, dem Patienten Empathie deutlich entgegenzubringen und ihn spüren zu lassen, dass er vorurteilslos angenommen wird. Aufgrund ihrer Krankenkarriere haben gerade schwierige Patienten ein gutes Gespür dafür, welche Grundeinstellung ihnen entgegengebracht wird. 
  5. Beim schwierigen Patienten kann es besonders lohnend sein, zu überprüfen, ob nicht das Phänomen unterschiedlicher Wirklichkeiten eigentlich die Schwierigkeiten ausmacht. 
  6. Gespräche mit schwierigen Patienten sind häufig durch eine angespannte Atmosphäre gekennzeichnet. Daher können Entspannungstechniken, die zu einer Auflockerung des Gesprächs führen und den Patienten zugänglicher machen, nützlich sein. Voraussetzung ist, dass der Gesprächsführende selbst die Spannung realisiert und versucht, sie abzubauen. Manchmal lässt sich die Spannung einfach dadurch lösen, dass das Problem offen im Sinne der Metakommunikation angesprochen wird.
Wird die "Schwierigkeit" eines Patienten als Symptom verstanden, dem verschiedene und möglicherweise behebbare Ursachen zugrunde liegen, lässt sich vermeiden, was sonst die Regel ist: Dass der schwierige Patient schwierig bleibt.
 
Umgang mit dem "schwierigen" Patienten
1.) Grundsatz:
Die "Schwierigkeit" eines Patienten ist ein Symptom und nicht Schicksal.
2.) Analyse der Gründe:
1. Ängste (Trennungs-, Verlust-, Vernachlässigungs-, Wertlosigkeitsangst)?
2. krankheitsspezifische Ursachen (chronische Krankheit, Extremsituationen)?
3. inadäquate Erwartungen des Teams? 
4. "Voretikettierung" als "schwierig"?
5. kritische Grundhaltung?
6. hohes Informationsbedürfnis? 
7. negative Erfahrungen?
8. pathologische Primärpersönlichkeit?
9. egoistische Einstellung?
3) Strategie: 
1. wertfreies Akzeptieren 
2. unvoreingenommenes Prüfen von Anliegen und Kritik
3. Empathie deutlich signalisieren
4. Abbau von Ängsten
5. besonders zuvorkommender Umgangston
6. Entspannung anstreben (Metakommunikation) 
7. prüfen: Phänomen der verschiedenen Wirklichkeiten?
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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