Gespräche mit
dem sogenannten "schwierigen Patienten"
"Alle Patienten sind gleich und sollten daher
gleich behandelt werden." Dieser Idealforderung steht die Realität
gegenüber, die zeigt, dass affektive Neutralität nur bedingt
zu verwirklichen ist. Verschiedene Untersuchungen zeigen (J. M. GOTTHARDT,
E. MORGAN, D. PETERSON, M. RITVO), dass Ärzte und Pflegepersonal sehr
wohl zwischen "angenehmen" und "unangenehmen" bzw. "beliebten" und "unbeliebten"
Patienten unterscheiden.
Der sogenannte "schwierige Patient" ist
quasi der Extremfall des unangenehmen und unbeliebten Patienten. Er stellt
das Negativ des "Idealpatienten" dar. Als Idealpatient (ROHDE, zit.
n. GOTTHARDT) gilt, wer sich unter Aufgabe der eigenen Person den persönlichen,
arbeitsspezifischen Bedürfnissen des Personals anpasst. Er erkennt
dessen Autorität an und unterwirft sich widerstandslos allen Anordnungen
und Maßnahmen. Er verzichtet auf alle störenden Eigenarten und
Bedürfnisse, zeigt Vertrauen und Dankbarkeit, antwortet ehrlich, rückhaltlos
und umfassend, wenn er gefragt wird, sagt selbst aber nichts, wenn er nicht
gefragt wird, und ist mit dem Maß an Kommunikation zufrieden, das
ihm zugebilligt wird.
Der "schwierige Patient" hingegen
fragt "zu viel", er passt sich nicht an, lehnt Untersuchungen und Behandlungsvorschläge
ab, zeichnet sich durch eine überkritische Haltung aus, reagiert nicht
in üblicher Weise oder unerwartet, kritisiert Ärzte, Pflegepersonal,
Krankenhaus und Praxis, erscheint misstrauisch und uneinsichtig, gebärdet
sich aggressiv und ist undankbar. Weitere Charakteristika sind schlechte
Motivierbarkeit und daher schlechte Compliance, ängstlich-hypochondrische
Grundhaltung, Apathie und Indolenz, "Klebrigkeit", Neigung, zu hohe Anforderungen
an die Zuwendung des Teams zu stellen. Kurzum: Der schwierige Patient löst
innere Widerstände aus, hemmt den Betrieb, kostet viel Zeit und frustriert
Ärzte und Pflegepersonal.
Gibt es prädisponierende Merkmale
für
den schwierigen Patienten? Geschlecht, Alter und Krankheit haben nach Untersuchungen
von GOTTHARDT keine signifikanten Bedeutungen für die Entwicklung
zum schwierigen Patienten.
Lediglich eine längere Krankheits-
und Hospitalisierungsdauer (im allgemeinen mehr als 3 Monate) scheint eine
fördernde Rolle zu spielen. Interessant ist das Ergebnis einer Studie
von MORGAN und CHEADLE (zit. n. GOTTHARDT), wonach sich beim Pflegeteam
die Tendenz zeigt, Patienten des eigenen Geschlechts eher abzulehnen als
Patienten des anderen Geschlechts.
Voraussetzungen für einen erfolgreichen
Umgang mit schwierigen Patienten ist zunächst die Analyse der
möglichen Gründe für das abweichende Verhalten. Am
Anfang der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Patienten sollte die
Frage stehen: Erlebe nur ich den Patienten als unbequem, schwierig
oder problematisch, obwohl aus seiner Perspektive sein Verhalten
durchaus verständlich und legitim ist? Besonders problematisch ist
es, wenn ein Patient schon deshalb als schwierig eingestuft wird, weil
er mit dem Etikett des schwierigen Patienten avisiert wurde.
Welche Gründe gibt es, die
einen Patienten als schwierig und problematisch erscheinen lassen?
Die bequemste Interpretation ist die, dass
es sich um eine primär psychopathologisch strukturierte Persönlichkeit
handelt. Diese Erklärung trifft jedoch wahrscheinlich nur für
die Minderzahl der sogenannten schwierigen Patienten wirklich zu. Ein gewisses
Entscheidungskriterium kann die Fremdanamnese bieten, die Aufschlüsse
darüber gibt, ob es sich um eine Persönlichkeit handelt, die
nicht nur als Kranker Probleme bereitet, sondern auch im Alltagsleben allgemein
als schwierig gilt.
Weitere Gründe können ein hohes,
aber
durchaus begründetes Informationsbedürfnis oder eine primär
kritische
Grundhaltung sein. Nicht selten ist der Patient erst im Laufe seiner
"Krankenkarriere" in die Rolle des schwierigen Kranken hineingewachsen,
weil die Summe seiner Erfahrungen schlecht oder enttäuschend war.
Krankheitsspezifische
Einflüsse spielen vor allem bei chronischen Krankheiten oder langdauernden
Extremsituationen (Intensivstation) eine Rolle. Der Status des schwierigen
Patienten kann ferner lediglich Maske
anderer Störungen und
Krankheitsbilder, wie depressiver Verstimmungszustände oder Drogen-
und Alkoholabhängigkeit, sein. Natürlich können auch egoistische
Momente und eine überzogene Anspruchshaltung
der wahre
Grund für schwieriges Verhalten sein.
Wichtig ist es jedoch, sich klarzumachen,
dass ein Patient häufig nur deshalb als schwierig erlebt wird, weil
er auf ein Behandlungsteam mit inadäquaten Erwartungen trifft.
Mit anderen Worten: Das Phänomen "schwieriger
Patient" muss als Symptom und nicht als unliebsame Störung
des klinischen Alltags verstanden werden, wenn es gelingen soll, auch solche
Patienten durch Gespräche und andere Maßnahmen befriedigend
zu führen.
GROVES (1978) hat die sog. schwierigen
Patienten in 4 Gruppen eingeteilt:
-
die Abhängigen (dependent clingers),
-
die Forderer (entitled demanders),
-
die Ablehner (manipulative help rejectors)
und
-
die Selbstdestruktiven (self-destructive
deniers).
Die abhängigen Kranken äußern
einen scheinbar unstillbaren Hunger nach Aufmerksamkeit, der bis zu den
extremsten Bitten um Präsenz und Zuwendung reichen kann. In diese
Gruppe zählen auch die sog. "Dauerredner". Hinter diesem Verhalten
stehen oft lebensgeschichtlich begründete Vernachlässigungs-
und Trennungsängste. Es empfiehlt sich daher nicht, diesen Kranken
eine klare Grenze der ärztlichen Verfügbarkeit aufzuzeigen, weil
es dadurch in der Art eines Circulus vitiosus zu einer weiteren Verstärkung
der Ängste kommen kann. MEERWEIN empfiehlt, solchen Patienten einen
genau reglementierten, für sie durchsichtigen Behandlungsrahmen anzubieten,
den sie überblicken und an den sie sich halten können. Denn "eine
solche sichernde, den Patienten miteinbeziehende und mitbeteiligende, immer
wieder auch die Zukunftsabsichten des Behandlungsteams zum Ausdruck bringende
Art der Patientenführung kann bei diesen Kranken oft genügen,
um den unheilvollen Zirkel zwischen dem dependent clinging und der darauf
antwortenden Abwehrreaktion des Behandlungsteams aufzubrechen".
Bei den Forderern handelt es sich
um Patienten, die auf dem Standpunkt stehen, dass sie nicht die beste ihnen
zustehende und dem Wert ihrer Persönlichkeit entsprechende Behandlung
vom Arzt erhalten. Oft üben sie entsprechenden Druck durch Verleumdung,
gerichtliche Androhungen oder Nichtbezahlen von Rechnungen aus, was verständlicherweise
zu Gegenreaktionen beim Arzt führen kann. Hinter der Haltung dieser
Patienten steht ebenfalls häufig Angst im Sinne einer Wertlosigkeitsangst.
Ziel
des ärztlichen Umgangs mit solchen Patienten muss es daher sein, ihr
Selbstwertgefühl in jeder Form zu heben und auf die besondere Qualität
der Diagnostik und Therapie, die man ihnen zukommen lässt, hinzuweisen.
Die Ablehner unter den Patienten
konfrontieren ihren Arzt mit immer neuen Symptomen, sobald ein Symptom
behandelt worden ist, so dass es zu einer nicht abreißenden Kette
von Behandlungen, Operationen und Arztkontakten kommt. Dieses Verhalten
ist nicht einfach unter den Begriff "Hypochondrie" zu subsumieren, weil
es der Angst entspringt, den behandelnden Arzt, auf den diese Kranken
sehr angewiesen und dem sie innerlich stark verbunden sind, zu verlieren.
In der Lebensgeschichte solcher Patienten handelt es sich oft um Störungen
der psychischen Entwicklung durch einen fortgesetzten Wechsel der Beziehungspersonen.
Dieser Angst "vor der Brüchigkeit und Wechselhaftigkeit der mitmenschlichen
Beziehungen" muss Rechnung getragen und ein häufiger Arztwechsel deshalb
vermieden werden.
Die selbstdestruktiven Kranken haben
meistens alle Hoffnung auf Erfüllung ihrer Lebenswünsche aufgegeben
und sehen in der Selbstzerstörung den einzigen Weg zur Selbstbehauptung.
Häufig handelt es sich um Menschen, die in der Kindheit oft misshandelt
wurden. Sie projizieren ihre Vernichtungswünsche auf die Ärzte,
lösen aggressive Reaktionen aus und erschweren die Behandlung oft
ganz erheblich. In vielen Fällen ist nur eine psychiatrische Behandlung
erfolgreich.
Was können Arzt und Behandlungsteam
tun, damit schwierige Patienten nicht schwierig bleiben müssen?
Es gibt folgende Wege:
-
Grundlage des Gesprächs und Umgangs ist
das wertfreie Akzeptieren des sogenannten schwierigen Patienten.
Dazu gehört auch, dass neue Patienten, die mit dem Etikett "schwierig"
angekündigt werden, nicht automatisch in die Kategorie der problematischen
Patienten eingereiht werden. Der innere Stoßseufzer ist ein schlechter
Einstieg in das Gespräch mit dem schwierigen Patienten.
-
Es muss versucht werden, die Gründe
zu analysieren, warum sich ein Patient (scheinbar) schwierig, problematisch
oder auffällig verhält. Diese Gründe können, wie oben
gezeigt, im Patienten selbst, in seiner Krankheit, im System und im Betreuungsteam
liegen. Angst ist einer der häufigsten Gründe.
-
Gerade beim problematischen Patienten ist
ein besonders zuvorkommender und höflicher Umgangston angebracht.
Er wirkt der sich sonst leicht entwickelnden Verhärtung des Gesprächs
entgegen.
-
Es ist wichtig, dem Patienten Empathie
deutlich entgegenzubringen und ihn spüren zu lassen, dass er vorurteilslos
angenommen
wird. Aufgrund ihrer Krankenkarriere haben gerade schwierige Patienten
ein gutes Gespür dafür, welche Grundeinstellung ihnen entgegengebracht
wird.
-
Beim schwierigen Patienten kann es besonders
lohnend sein, zu überprüfen, ob nicht das Phänomen unterschiedlicher
Wirklichkeiten eigentlich die Schwierigkeiten ausmacht.
-
Gespräche mit schwierigen Patienten sind
häufig durch eine angespannte Atmosphäre gekennzeichnet. Daher
können Entspannungstechniken, die zu einer Auflockerung des
Gesprächs führen und den Patienten zugänglicher machen,
nützlich sein. Voraussetzung ist, dass der Gesprächsführende
selbst die Spannung realisiert und versucht, sie abzubauen. Manchmal lässt
sich die Spannung einfach dadurch lösen, dass das Problem offen im
Sinne der Metakommunikation angesprochen wird.
Wird die "Schwierigkeit" eines Patienten als
Symptom verstanden, dem verschiedene und möglicherweise behebbare
Ursachen zugrunde liegen, lässt sich vermeiden, was sonst die Regel
ist: Dass der schwierige Patient schwierig bleibt.
Umgang mit dem "schwierigen" Patienten |
1.) Grundsatz:
Die "Schwierigkeit" eines
Patienten ist ein Symptom und nicht Schicksal. |
2.) Analyse der Gründe:
1. Ängste (Trennungs-,
Verlust-, Vernachlässigungs-, Wertlosigkeitsangst)? |
2. krankheitsspezifische
Ursachen (chronische Krankheit, Extremsituationen)? |
3. inadäquate Erwartungen
des Teams? |
4. "Voretikettierung" als
"schwierig"? |
5. kritische Grundhaltung? |
6. hohes Informationsbedürfnis? |
7. negative Erfahrungen? |
8. pathologische Primärpersönlichkeit? |
9. egoistische Einstellung? |
3) Strategie:
1. wertfreies Akzeptieren |
2. unvoreingenommenes
Prüfen von Anliegen und Kritik |
3. Empathie deutlich signalisieren |
4. Abbau von Ängsten |
5. besonders zuvorkommender
Umgangston |
6. Entspannung anstreben
(Metakommunikation) |
7. prüfen: Phänomen
der verschiedenen Wirklichkeiten? |
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Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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