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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Der Konflikt und seine Bewältigung im Gespräch 
Definition
Lösungsansätze
 
Der Konflikt und seine Bewältigung im Gespräch
In der Begegnung zwischen Arzt und Patient gibt es viele äußere und innere Reibungsflächen, die zu Konflikten führen können. Unbewältigt bilden sie eine Belastung zwischen der Arzt-Patienten-Beziehung und verhindern in der Regel eine erfolgreiche Kommunikation, weil Ängste und Aggressionen ausgelöst werden. Die Bewältigung solcher Konflikte gestaltet sich meist schwierig, weil die Konfliktpartner zur Konfliktlösung nicht bereit sind, sondern weil sie der Konfliktsituation hilflos gegenüberstehen. Das Gespräch selbst aber ist Nummer Eins zur Bewältigung von Konflikten. Die hier im folgenden aufgezeigten Lösungsversuche für Konflikte beziehen sich nicht auf intrapersonale, sondern interpersonale Konflikte.


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Definition
Alle Definitionen von "Konflikt" beinhalten als gemeinsames essentielles Merkmal die Unvereinbarkeit von Handlungstendenzen, Motiven oder Verhaltensweisen. MACK und SNYDER nennen als Merkmal interpersonaler Konflikte einander ausschließende, unvereinbare oder entgegengesetzte Werte. Die Definition von RÜTTINGER umfasst die Bestimmung "scheinbar oder tatsächlich unvereinbarer Behandlungspläne". BIRKENBIHL bezeichnet als Konflikt "jede Spannung, die sich durch verborgene oder offene Gegensätzlichkeit kennzeichnen lässt". Das Definitionsmerkmal des Konflikts ist daher die Unvereinbarkeit zweier Verhaltenstendenzen (SEIBT). Damit ist der Konflikt aber seinem Wesen nach nicht lösbar. Die einzige Lösungsmöglichkeit besteht darin, den Konflikt in die Modellstruktur des Problems zu überführen, weil Probleme im Gegensatz zu Konflikten potentiell lösbar sind (SEIBT). 


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Lösungsansätze
Die Überführung (Transformation) des Konflikts in die prinzipiell lösbare Struktur des Problems setzt eine Metakommunikation der Gesprächspartner voraus. Durch Sprechen über den Konflikt im Sinne der Metakommunikation muss beiden Gesprächspartnern die Unvereinbarkeit ihrer Handlungs- oder Verhaltenstendenzen bewusst gemacht werden. Erst dann ist ein Versuch zu gemeinsamer Klärung und/oder Veränderung der Situation möglich. Es liegt dann nicht mehr ein Konflikt, sondern ein Problem vor. Das Ergebnis dieser Metakommunikation beschreibt WATZLAWICK mit dem Satz: "Die Partner sind sich sozusagen einig, uneins zu sein." Wird diese Situation erreicht, so kann sie nicht nur den Weg zur Konfliktlösung ebnen, sondern sogar produktive oder kreative Impulse auslösen. 

Dieses Prinzip wurde schon in kirchlichen Verfahren zur Heiligsprechung eingesetzt, wo der Advocatus Diaboli eine inhaltlich konträre Position einzunehmen hatte, die verhindern sollte, dass man Fehlentscheidungen traf. Bestimmte Kreativitätstechniken beruhen im übrigen darauf, dass bewusst inhaltlich gegensätzliche Positionen aufgebaut werden, ein Verfahren, das angeblich auch bei amerikanischen Kabinettssitzungen eingesetzt wird.

Jeder Versuch der Veränderung einer Konfliktsituation ist an 2 Voraussetzungen geknüpft:

  1. das Bewusstsein um die Konfliktsituation und
  2. das Bemühen, eine konfliktfreie Zielsituation herbeizuführen.
Das Lösungsbemühen besteht darin, den Ausgangszustand Konflikt, der durch unvereinbare Verhaltenstendenzen definiert ist, zu überwinden und den Zielzustand Problem, der vereinbare Handlungstendenzen enthält, zu erreichen. Hierbei gibt es Lösungsversuche 1. und 2. Ordnung.

Bei Lösungsversuchen 1. Ordnung verharren die Personen auf der Systemebene Konflikt. Eine wirkliche Lösung kann so nicht erreicht werden. Dieses Nicht-Entrinnen-Können aus der Systemebene des Konflikts lässt sich an einem Alltagsbeispiel verdeutlichen:

A sagt zu B: " Weil du ständig rauchst, muss ich dauernd nörgeln." B sagt zu A: "Ich rauche dauernd, weil du ständig nörgelst." Oder ein anderes Beispiel: A sagt: "Ich rede nur deshalb so viel, weil mir keiner zuhört." B sagt: " Ich kann A nicht mehr zuhören, weil er so viel redet." Beharren die Personen auf ihren Positionen innerhalb dieses Systems, so ist eine Lösung nicht möglich.

Der Lösungsversuch 2. Ordnung besteht darin, einen Systemwechsel vorzunehmen, indem von der Struktur "Konflikt" in die Metastruktur "Problem" übergewechselt wird. Dies ist, wie bereits ausgeführt, nur möglich, wenn ein Bewusstsein um den Konflikt besteht und wenn die in den Konflikt einbezogenen Personen ein hohes Maß an Flexibilität und Einsicht "in die Relativität und Eigenkonstruktion der inneren fordernden Wirklichkeit" besitzen (BERKEL,1978). Dies zeigt wiederum, dass erst das Bejahen der Relativität der eigenen Wirklichkeit als Wirklichkeit 2. Ordnung Ansatzpunkte zur Konfliktlösung eröffnet.

Eine weitere wesentliche Erkenntnis ist die, dass hinter vielen scheinbar inhaltlichen Konfliktsituationen in Wahrheit Konflikte auf der Beziehungsebene bestehen. Liegt eine rein inhaltliche Polarisierung vor, ist sie für beide Parteien meist leicht erkennbar. Besteht eine intakte Beziehungsebene, so besteht die Chance, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Konflikte auf der Beziehungsebene hingegen sind häufig hinter anderen Inhalten verborgen. "Diese Inhalte wechseln von Situation zu Situation, sie sind nicht Gegenstand, sondern nur Symptom eines Konflikts" (SEIBT). Die Parteien sind dann meist überrascht, dass sie immer wieder in inhaltliche Konfliktsituationen geraten, und erkennen nicht, dass dahinter in Wirklichkeit Beziehungskonflikte stehen. Denn es "erleben die Partner selbst jede dieser Kontroversen als völlig neue, nie zuvor erlebte Krise, weil sie nur den immer wieder verschiedenen Inhalt, nicht aber die immer gleichbleibende Beziehungsstruktur dieser Krisen sehen" (WATZLAWICK).

Die einzig erfolgversprechende Chance, Beziehungskonflikte zu lösen, besteht darin, den Konfliktparteien die Beziehungsstruktur ihrer Situation unabhängig vom aktuellen Inhalt des Konflikts deutlich zu machen. Dies gelingt am ehesten durch einen außenstehenden Unbeteiligten. Es muss jedoch noch einmal betont werden, dass der 1. und entscheidende Schritt der Konfliktlösung darin besteht, den beteiligten Personen bewusst zu machen, dass es sich in Wirklichkeit nicht um inhaltliche Divergenzen, sondern um Störungen der Beziehung handelt. SEIBT: "Das größte Handicap von Beziehungskonflikten besteht allerdings darin, dass die Beteiligten sich ihrer gestörten Beziehung und ihres eigenen Anteils daran häufig nicht bewusst sind, sondern ihre Auseinandersetzung häufig unbewusst auf irgendein inhaltliches Thema verlagern und die Diskussionen objektiv und der Sache dienend wähnen. So kann beispielsweise im Falle starker Konflikte die Beziehungsebene der Teilnehmer in Besprechungen oder Konferenzen von Machtkämpfen, Profilierungsstreben und dem Versuch, eigene Inkompetenz zu verbergen geprägt sein, während inhaltlich ,ganz sachlich' um Budget oder Planstellen argumentiert wird."

Mögliche Konfliktlösungen scheitern häufig bereits im Vorfeld, weil die durch den Konflikt (meist als Ausdruck der Angst) freigesetzten Aggressionen zu einer mehr oder minder völligen Verhärtung führen. Insofern muss der 1. Schritt in einer Konfliktsituation überhaupt darin bestehen, die Aggression anzunehmen (W. SALEWSKI). Dieses Annehmen der Aggression verhindert, dass die Konfliktbewältigung bereits im Ansatz blockiert wird. In einem weiteren Schritt muss versucht werden, das eigentliche Problem des Konflikts bewusst zu machen. Dies läuft im wesentlichen auf die Grundfrage hinaus: Handelt es sich um einen inhaltlichen Konflikt, oder liegt dem Konflikt in Wahrheit eine Beziehungsstörung zugrunde? Eine Grundvoraussetzung ist hier wiederum die Fähigkeit, auch die Wirklichkeit des anderen zu erfassen und möglichst eine gemeinsame Wirklichkeit anzustreben, innerhalb derer der bewusst gemachte Konflikt dadurch einer Lösung zugänglich gemacht wird, dass er in die Ebene des Problems transponiert wird. Der Psychologe Salewski hat diese Form der Aggressionsbewältigung die APO-Methode genannt:

  1. Aggression annehmen,
  2. Problembewusstsein zeigen und
  3. Offen sein im Gespräch für die Argumente des Gesprächspartners.
Der argumentative Weg ist in Konfliktsituationen meist erfolglos: Er führt zu einer ständigen Eskalation von neuen Argumenten und Gegenargumenten, die zu keiner inhaltlichen Klärung führen. Erfolgversprechend ist es, wenn eine der in den Konflikt einbezogenen Personen bewusst einen Schritt nach vorne macht, also beispielsweise B zu A sagt: "Weil du glaubst, nörgeln zu müssen, da ich ständig rauche, werde ich jetzt einen Tag lang nicht rauchen" (nörgelt A dann immer noch weiter, ist der Beweis erbracht, dass es tatsächlich doch nicht am Rauchen liegen kann). Dieser 1. Schritt nach vorne ist nicht im einfachen Sinne von "nachgeben" zu interpretieren, sondern hat das Ziel, das geschlossene System des Konflikts, in dem es nur unvereinbare Verhaltens- oder Handlungstendenzen gibt, zu verlassen.

Am schwierigsten ist die Lösung dann, wenn der Konflikt in Wirklichkeit kein Inhalts-, sondern ein Beziehungskonflikt ist. Hier besteht häufig erst durch die Intervention eines Außenstehenden die Möglichkeit zur Konfliktlösung.

Gerade im Konfliktgespräch ist es sehr wichtig, dem Gesprächspartner aktiv zuzuhören und ihn aussprechen zu lassen, selbst wenn er Kritik übt. Das Aushalten einer notwendigen Gesprächspause ist bei Konfliktgesprächen besonders schwer. Aber nur auf diesem Wege besteht die Chance, herauszufinden, welches die wirklichen Motive, Erwartungen und Absichten des Gesprächspartners sind.

3 Reaktionen, zu denen Konfliktpartner häufig neigen, sollten vermieden werden, weil sie der Konfliktlösung nicht dienen: Beschwichtigen, Ausweichen und Sich-Widersetzen. Mit diesen Techniken wird der Konfliktstoff entweder nur "unter den Teppich gekehrt", "vertagt" oder durch Eskalation noch verstärkt. Auch Harmoniebestreben um jeden Preis ist keine Konfliktlösung.
 

Leitlinien zur Bewältigung von Konfliktsituationen:
  1. Die Aggression annehmen.
  2. Bewusstmachen der (inhaltlichen) Divergenz ("Wir sind uns einig, uneins zu sein").
  3. Klären: Handelt es sich um einen Konflikt auf der Inhalts- oder der Beziehungsebene?
  4. Nur Lösungsversuche 2. Ordnung sind erfolgversprechend (Überführung des unlösbaren Konflikts in das prinzipiell lösbare Problem).
  5. Versuch der inhaltlichen Klärung.
  6. Versuch der Klärung der Beziehungsstörung (evtl. durch Dritte).
  7. Den "ersten Schritt" tun.
  8. Problemlösung

Das Benennen des Konfliktstoffs kann eine klärende Funktion besitzen, weil es die Positionen absteckt und möglicherweise den 1. Schritt in Richtung Transposition zum Problem darstellt. Ferner sollte alles vermieden werden, was den Konflikt unnötig ausweitet oder ins Unendliche ausdehnt: Auch wenn dem Konflikt eine Beziehungsstörung zugrunde liegt, ist es falsch, die gesamte Beziehung deshalb in Frage zu stellen (". . . Sie halten wohl von meiner gesamten Behandlung nichts?"). Vielmehr sollte die Konfliktbegrenzung angestrebt werden, indem nicht mehr als der eigentliche aktuelle Konfliktstoff angegangen wird. Der Kompromiss, d. h., dass die am Konflikt Beteiligten einander entgegenkommen, indem jeder ein Zugeständnis macht, ist in vielen Fällen besser als der ungelöste Konflikt. Es ist auch legitim, in gegenseitiger Abstimmung zu beschließen, dass der Konflikt nicht sofort gelöst, sondern zunächst eine Denkpause eingelegt wird.
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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