Der Konflikt und
seine Bewältigung im Gespräch
In der Begegnung zwischen Arzt und Patient
gibt es viele äußere und innere Reibungsflächen, die zu
Konflikten
führen
können. Unbewältigt bilden sie eine Belastung zwischen der Arzt-Patienten-Beziehung
und verhindern in der Regel eine erfolgreiche Kommunikation, weil Ängste
und
Aggressionen
ausgelöst werden. Die Bewältigung solcher Konflikte
gestaltet sich meist schwierig, weil die Konfliktpartner zur Konfliktlösung
nicht bereit sind, sondern weil sie der Konfliktsituation hilflos gegenüberstehen.
Das Gespräch selbst aber ist Nummer Eins zur Bewältigung von
Konflikten. Die hier im folgenden aufgezeigten Lösungsversuche für
Konflikte beziehen sich nicht auf intrapersonale, sondern interpersonale
Konflikte.
Definition
Alle Definitionen von "Konflikt" beinhalten
als gemeinsames essentielles Merkmal die Unvereinbarkeit von Handlungstendenzen,
Motiven oder Verhaltensweisen. MACK und SNYDER nennen als Merkmal
interpersonaler Konflikte einander ausschließende, unvereinbare oder
entgegengesetzte Werte. Die Definition von RÜTTINGER umfasst die Bestimmung
"scheinbar oder tatsächlich unvereinbarer Behandlungspläne".
BIRKENBIHL bezeichnet als Konflikt "jede Spannung, die sich durch verborgene
oder offene Gegensätzlichkeit kennzeichnen lässt". Das Definitionsmerkmal
des Konflikts ist daher die Unvereinbarkeit zweier Verhaltenstendenzen
(SEIBT). Damit ist der Konflikt aber seinem Wesen nach nicht lösbar.
Die
einzige Lösungsmöglichkeit besteht darin, den Konflikt in die
Modellstruktur des Problems zu überführen, weil Probleme
im Gegensatz zu Konflikten potentiell lösbar sind (SEIBT).
Lösungsansätze
Die Überführung (Transformation)
des Konflikts in die prinzipiell lösbare Struktur des Problems setzt
eine Metakommunikation der Gesprächspartner voraus. Durch Sprechen
über den Konflikt im Sinne der Metakommunikation muss beiden Gesprächspartnern
die Unvereinbarkeit ihrer Handlungs- oder Verhaltenstendenzen bewusst gemacht
werden. Erst dann ist ein Versuch zu gemeinsamer Klärung und/oder
Veränderung der Situation möglich. Es liegt dann nicht mehr ein
Konflikt, sondern ein Problem vor. Das Ergebnis dieser Metakommunikation
beschreibt WATZLAWICK mit dem Satz: "Die Partner sind sich sozusagen einig,
uneins zu sein." Wird diese Situation erreicht, so kann sie nicht nur den
Weg zur Konfliktlösung ebnen, sondern sogar produktive oder kreative
Impulse auslösen.
Dieses Prinzip wurde schon in kirchlichen
Verfahren zur Heiligsprechung eingesetzt, wo der Advocatus Diaboli eine
inhaltlich konträre Position einzunehmen hatte, die verhindern sollte,
dass man Fehlentscheidungen traf. Bestimmte Kreativitätstechniken
beruhen im übrigen darauf, dass bewusst inhaltlich gegensätzliche
Positionen aufgebaut werden, ein Verfahren, das angeblich auch bei amerikanischen
Kabinettssitzungen eingesetzt wird.
Jeder Versuch der Veränderung einer
Konfliktsituation ist an 2 Voraussetzungen geknüpft:
-
das Bewusstsein um die Konfliktsituation
und
-
das Bemühen, eine konfliktfreie
Zielsituation herbeizuführen.
Das Lösungsbemühen besteht darin,
den Ausgangszustand Konflikt, der durch unvereinbare Verhaltenstendenzen
definiert ist, zu überwinden und den Zielzustand Problem, der
vereinbare Handlungstendenzen enthält, zu erreichen. Hierbei gibt
es Lösungsversuche 1. und 2. Ordnung.
Bei Lösungsversuchen 1. Ordnung verharren
die Personen auf der Systemebene Konflikt. Eine wirkliche Lösung kann
so nicht erreicht werden. Dieses Nicht-Entrinnen-Können aus der Systemebene
des Konflikts lässt sich an einem Alltagsbeispiel verdeutlichen:
A sagt zu B: " Weil du ständig rauchst,
muss ich dauernd nörgeln." B sagt zu A: "Ich rauche dauernd, weil
du ständig nörgelst." Oder ein anderes Beispiel: A sagt: "Ich
rede nur deshalb so viel, weil mir keiner zuhört." B sagt: " Ich kann
A nicht mehr zuhören, weil er so viel redet." Beharren die Personen
auf ihren Positionen innerhalb dieses Systems, so ist eine Lösung
nicht möglich.
Der Lösungsversuch 2. Ordnung besteht
darin, einen Systemwechsel vorzunehmen, indem von der Struktur "Konflikt"
in die Metastruktur "Problem" übergewechselt wird. Dies ist, wie bereits
ausgeführt, nur möglich, wenn ein Bewusstsein um den Konflikt
besteht und wenn die in den Konflikt einbezogenen Personen ein hohes Maß
an Flexibilität und Einsicht "in die Relativität und Eigenkonstruktion
der inneren fordernden Wirklichkeit" besitzen (BERKEL,1978). Dies zeigt
wiederum, dass erst das Bejahen der Relativität der eigenen Wirklichkeit
als
Wirklichkeit 2. Ordnung Ansatzpunkte zur Konfliktlösung eröffnet.
Eine weitere wesentliche Erkenntnis ist
die, dass hinter vielen scheinbar inhaltlichen Konfliktsituationen
in Wahrheit Konflikte auf der Beziehungsebene bestehen. Liegt eine
rein inhaltliche Polarisierung vor, ist sie für beide Parteien
meist leicht erkennbar. Besteht eine intakte Beziehungsebene, so besteht
die Chance, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Konflikte auf der Beziehungsebene
hingegen sind häufig hinter anderen Inhalten verborgen. "Diese Inhalte
wechseln von Situation zu Situation, sie sind nicht Gegenstand, sondern
nur Symptom eines Konflikts" (SEIBT). Die Parteien sind dann meist überrascht,
dass sie immer wieder in inhaltliche Konfliktsituationen geraten, und erkennen
nicht, dass dahinter in Wirklichkeit Beziehungskonflikte stehen. Denn es
"erleben die Partner selbst jede dieser Kontroversen als völlig neue,
nie zuvor erlebte Krise, weil sie nur den immer wieder verschiedenen Inhalt,
nicht aber die immer gleichbleibende Beziehungsstruktur dieser Krisen sehen"
(WATZLAWICK).
Die einzig erfolgversprechende Chance,
Beziehungskonflikte zu lösen, besteht darin, den Konfliktparteien
die
Beziehungsstruktur
ihrer
Situation unabhängig vom aktuellen Inhalt des Konflikts deutlich
zu
machen. Dies gelingt am ehesten durch einen außenstehenden Unbeteiligten.
Es muss jedoch noch einmal betont werden, dass der 1. und entscheidende
Schritt der Konfliktlösung darin besteht, den beteiligten Personen
bewusst zu machen, dass es sich in Wirklichkeit nicht um inhaltliche Divergenzen,
sondern um Störungen der Beziehung handelt. SEIBT: "Das größte
Handicap von Beziehungskonflikten besteht allerdings darin, dass die Beteiligten
sich ihrer gestörten Beziehung und ihres eigenen Anteils daran häufig
nicht bewusst sind, sondern ihre Auseinandersetzung häufig unbewusst
auf irgendein inhaltliches Thema verlagern und die Diskussionen objektiv
und der Sache dienend wähnen. So kann beispielsweise im Falle starker
Konflikte die Beziehungsebene der Teilnehmer in Besprechungen oder Konferenzen
von Machtkämpfen, Profilierungsstreben und dem Versuch, eigene Inkompetenz
zu verbergen geprägt sein, während inhaltlich ,ganz sachlich'
um Budget oder Planstellen argumentiert wird."
Mögliche Konfliktlösungen scheitern
häufig bereits im Vorfeld, weil die durch den Konflikt (meist als
Ausdruck der Angst) freigesetzten Aggressionen zu einer mehr oder
minder völligen Verhärtung führen. Insofern muss der 1.
Schritt
in
einer Konfliktsituation überhaupt darin bestehen, die Aggression
anzunehmen (W. SALEWSKI). Dieses Annehmen der Aggression verhindert,
dass die Konfliktbewältigung bereits im Ansatz blockiert wird. In
einem weiteren Schritt muss versucht werden, das eigentliche Problem
des Konflikts bewusst zu machen. Dies läuft im wesentlichen
auf die Grundfrage hinaus: Handelt es sich um einen inhaltlichen Konflikt,
oder
liegt dem Konflikt in Wahrheit eine Beziehungsstörung zugrunde?
Eine Grundvoraussetzung ist hier wiederum die Fähigkeit, auch die
Wirklichkeit des anderen zu erfassen und möglichst eine gemeinsame
Wirklichkeit anzustreben, innerhalb derer der bewusst gemachte Konflikt
dadurch einer Lösung zugänglich gemacht wird, dass er in die
Ebene des Problems transponiert wird. Der Psychologe Salewski hat diese
Form der Aggressionsbewältigung die APO-Methode genannt:
-
Aggression annehmen,
-
Problembewusstsein zeigen und
-
Offen sein im Gespräch für
die Argumente des Gesprächspartners.
Der argumentative Weg ist in Konfliktsituationen
meist
erfolglos: Er führt zu einer ständigen Eskalation von neuen
Argumenten und Gegenargumenten, die zu keiner inhaltlichen Klärung
führen. Erfolgversprechend ist es, wenn eine der in den Konflikt einbezogenen
Personen bewusst einen Schritt nach vorne macht, also beispielsweise B
zu A sagt: "Weil du glaubst, nörgeln zu müssen, da ich ständig
rauche, werde ich jetzt einen Tag lang nicht rauchen" (nörgelt A dann
immer noch weiter, ist der Beweis erbracht, dass es tatsächlich doch
nicht am Rauchen liegen kann). Dieser 1. Schritt nach vorne ist nicht im
einfachen Sinne von "nachgeben" zu interpretieren, sondern hat das Ziel,
das geschlossene System des Konflikts, in dem es nur unvereinbare Verhaltens-
oder Handlungstendenzen gibt, zu verlassen.
Am schwierigsten ist die Lösung dann,
wenn der Konflikt in Wirklichkeit kein Inhalts-, sondern ein Beziehungskonflikt
ist. Hier besteht häufig erst durch die Intervention eines Außenstehenden
die Möglichkeit zur Konfliktlösung.
Gerade im Konfliktgespräch ist es
sehr wichtig, dem Gesprächspartner aktiv zuzuhören und
ihn aussprechen zu lassen, selbst wenn er Kritik übt. Das Aushalten
einer notwendigen Gesprächspause ist bei Konfliktgesprächen besonders
schwer. Aber nur auf diesem Wege besteht die Chance, herauszufinden, welches
die wirklichen Motive, Erwartungen und Absichten des Gesprächspartners
sind.
3 Reaktionen, zu denen Konfliktpartner
häufig neigen, sollten vermieden werden, weil sie der Konfliktlösung
nicht dienen: Beschwichtigen, Ausweichen und Sich-Widersetzen. Mit diesen
Techniken wird der Konfliktstoff entweder nur "unter den Teppich gekehrt",
"vertagt" oder durch Eskalation noch verstärkt. Auch Harmoniebestreben
um jeden Preis ist keine Konfliktlösung.
Leitlinien zur Bewältigung von
Konfliktsituationen: |
-
Die Aggression annehmen.
-
Bewusstmachen der (inhaltlichen)
Divergenz
("Wir
sind uns einig, uneins zu sein").
-
Klären: Handelt
es sich um einen Konflikt auf der Inhalts- oder der Beziehungsebene?
-
Nur Lösungsversuche
2. Ordnung sind erfolgversprechend (Überführung des unlösbaren
Konflikts in das prinzipiell lösbare Problem).
-
Versuch der inhaltlichen
Klärung.
-
Versuch der Klärung
der Beziehungsstörung (evtl. durch Dritte).
-
Den "ersten Schritt" tun.
-
Problemlösung
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Das Benennen des Konfliktstoffs kann eine
klärende Funktion besitzen, weil es die Positionen absteckt und möglicherweise
den 1. Schritt in Richtung Transposition zum Problem darstellt. Ferner
sollte alles vermieden werden, was den Konflikt unnötig ausweitet
oder ins Unendliche ausdehnt: Auch wenn dem Konflikt eine Beziehungsstörung
zugrunde liegt, ist es falsch, die gesamte Beziehung deshalb in Frage zu
stellen (". . . Sie halten wohl von meiner gesamten Behandlung nichts?").
Vielmehr sollte die Konfliktbegrenzung angestrebt werden, indem
nicht mehr als der eigentliche aktuelle Konfliktstoff angegangen wird.
Der Kompromiss, d. h., dass die am Konflikt Beteiligten einander
entgegenkommen, indem jeder ein Zugeständnis macht, ist in vielen
Fällen besser als der ungelöste Konflikt. Es ist auch legitim,
in gegenseitiger Abstimmung zu beschließen, dass der Konflikt
nicht sofort gelöst, sondern zunächst eine Denkpause eingelegt
wird.
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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