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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Arzt und Patient am Telefon
Arzt und Patient am Telefon
Sollen Patient und Arzt am Telefon über medizinische Fragen miteinander sprechen? Ist das Telefonieren vielleicht nur ein "Sprechstundenverschnitt", um Zeit zu sparen oder den direkten Kontakt zu vermeiden? Die Antwort lautet: Telefonieren mit dem Patienten kann durchaus eine sinnvolle Form des ärztlichen Gesprächs sein, wenn es als Ergänzung, Abrundung oder zum Aufrechterhalten notwendiger Kontakte eingesetzt und auf bestimmte Inhalte beschränkt wird. 

Die Vorteile des Telefonierens liegen auf der Hand. Telefonieren kann eine erhebliche Zeitersparnis für Arzt und Patient bedeuten. Es ist nicht einzusehen, warum ein älterer gehbehinderter Mensch, der auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, 2 Stunden Zeit aufwenden soll, um in der Praxis einen Befund zu erfahren, der ihm telefonisch in 3 Minuten mitgeteilt werden könnte. Der Patient kann rascher informiert werden. Dies spielt besonders dann eine Rolle, wenn das günstige Ergebnis eines Untersuchungsbefundes (z.B. histologische Untersuchung) von großer Tragweite sein könnte. Durch das Telefon kann die meist sehr belastende Wartezeit erheblich abgekürzt werden. 

Aber auch das telefonische Mitteilen von Untersuchungsbefunden, die für den Patienten zwar interessant sind, jedoch keine sehr weitreichende Bedeutung besitzen, kann als persönliche Geste nicht unwesentlich zur Festigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses beitragen. Wer dem Patienten sagt: "Sobald mir das Ergebnis dieser Untersuchung vorliegt, informiere ich Sie umgehend telefonisch", dokumentiert ein deutliches persönliches Interesse an dem Patienten und nimmt ihm das Gefühl, einer unter Hunderten in der Sprechstunde zu sein. Ein Ordinarius für Gynäkologie teilte seinen Patientinnen grundsätzlich die histologischen und zytologischen Befunde von Vorsorgeuntersuchungen oder Kürettagen umgehend telefonisch mit, was von der Mehrzahl der Frauen sehr positiv bewertet wurde.

Der Patient, der weiß, dass er bei bestimmten Nebenwirkungen, den Begleiterscheinungen einer Therapie oder speziellen Symptomen seinen Arzt unmittelbar anrufen kann, fühlt sich besser betreut und lebt in einem stärkeren Gefühl der Sicherheit. Insofern kann Telefonieren über Therapiefragen und -probleme zur Compliance-Verbesserung beitragen und dem Arzt die Therapie- und Verlaufskontrolle erleichtern. Schließlich können Patienten, die wegen einer chronischen Erkrankung eine Langzeitbetreuung brauchen und keine optimale Compliance aufweisen, durch gelegentliche Telefonate "am langen Zügel" geführt werden. 

Telefonische Kommunikation mit dem Patienten hat aber auch eindeutige Nachteile: Da nur ein verbaler Kontakt möglich ist, entfällt die gesamte Skala nonverbaler Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Körpersprache). Der "klinische Blick", der auch im Zeitalter der High-Tech-Medizin nichts an Bedeutung verloren hat, ist nicht möglich. Telefonieren zwingt zu einer stärker gedrängten, mehr komprimierten Form der Mitteilung. Damit werden höhere Anforderungen an das Auffassungsvermögen gestellt, weil der redundante Anteil geringer wird. So können sich leichter Missverständnisse einstellen. Die sprachlichen Verkürzungen beim Telefonieren können den Gesprächscharakter nüchterner und unpersönlicher erscheinen lassen.

Ein wesentlicher Nachteil des Telefonierens liegt in der deutlich erschwerten Abschätzung der Reaktion des Patienten, weil die meisten Menschen beim Telefonieren emotional zurückhaltender sind und Zusatzinformationen über nonverbale Signale entfallen. Man kann es immer wieder erleben, dass Patienten oder Angehörige, die einen schwerwiegenden Befund am Telefon scheinbar völlig gefasst aufnehmen, später in der Sprechstunde berichten, wie tief betroffen sie in Wirklichkeit waren.

Beim Telefonieren gibt es eine Reihe typischer Fehler und Mängel, von denen natürlich auch das Telefonat zwischen Arzt und Patient nicht verschont bleibt. G.F. GROSS nennt in einer Übersicht über fehlerhaftes Telefonieren die wichtigsten Punkte:

  • Der Anrufer bereitet sich nicht auf das Telefonat vor.
  • Erst der Griff zum Telefon, der Sinn ergibt sich später.
  • Zuerst wählen und dann Schreibmaterial und Unterlagen zusammensuchen.
  • Weitschweifige, verwirrende Einleitungen und zeitraubende Vorreden.
  • Unwichtiges Füllmaterial, umständliche Erklärungen, unnötige Wiederholungen.
  • Wesentliches und Unwesentliches fließen zu sehr ineinander. 
  • Der Anrufer überfällt den Angerufenen mit einem Wortschwall und braucht eine Ewigkeit, um das Wenige zu sagen, das er wollte.
Für das professionelle Telefonieren zwischen Arzt und Patient sind folgende Punkte wichtig:
  • Klären, wann der Patient, mit dem man häufiger telefonieren muss, am besten erreichbar ist.

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  • Klären, ob dieser Zeitpunkt auch für Telefonate mit medizinischem Inhalt geeignet ist. So kann der Patient beispielsweise an seinem Arbeitsplatz besonders leicht erreichbar sein, aber nicht ungestört über Symptome oder Befunde sprechen. 

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  • Das Problem der Schweigepflicht ist beim Telefonieren besonders zu berücksichtigen: Handelt es sich beim Angerufenen wirklich um den Patienten, mit dem man telefonieren möchte? Beim geringsten Zweifel sollte das Telefonat unterbleiben oder nicht fortgesetzt werden. Kann u.U. jemand mithören, ohne dass der Patient dies am Telefon zum Ausdruck bringen kann? Problematisch ist es ebenfalls, wenn man statt des Patienten Angehörige erreicht, ohne zu wissen, wie weit diese informiert sind und wie weit der Patient eine Information seiner Angehörigen wünscht. Auch an Angehörige dürfen Auskünfte am Telefon nur gegeben werden, wenn dies zweifelsfrei im Sinne des Patienten ist.

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  • Bei Patienten, denen telefonisch die Mitteilung eines wichtigen Befundes versprochen wurde, sollte der Rückruf pünktlich eingehalten werden. Ist man selbst verhindert oder steht der Befund noch aus, sollte dies dem Patienten zum vereinbarten Gesprächszeitpunkt mitgeteilt werden. Es ist zweckmäßig, dem Patienten mitzuteilen, wann man selbst am günstigsten zu ereichen ist. Von dem Arzt für Allgemeinmedizin Franz IMMESBERGER in Eltville stammt der Vorschlag, täglich eine Telefonsprechstunde, z.B. von 12.00 bis 12.30 Uhr durchzuführen.

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  • Es ist zweckmäßig, die eigenen Telefonate nicht verstreut über den Tag zu führen, sondern in einem oder mehreren Blöcken zusammenzufassen. 

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  • Es ist nicht nur wichtig, sich darauf vorzubereiten, was man im Telefongespräch als Wesentliches mitteilen will, sondern sich auch auf mögliche Gegenfragen einzurichten.

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  • Alles, was an medizinisch relevanten Fakten telefonisch erörtert wurde, muss schriftlich festgehalten werden.

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  • Erwartet der Patient die Mitteilung eines wichtigen Befundes, so sollte er nicht durch lange Vorreden auf die Folter gespannt werden. Ist das Ergebnis günstig, sollte dies zuerst genannt werden, Einzelheiten können später folgen ("Ich kann Ihnen die gute Nachricht mitteilen, dass Ihre Blutuntersuchung völlig normal ausgefallen ist"). 

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  • Der Patient muss Zeit haben, auf die Mitteilung zu reagieren, und der Arzt muss sich Zeit nehmen, trotz der eingeschränkten Beurteilungsmöglichkeiten am Telefon die Reaktion des Patienten abzuschätzen. Ebenso muss der Patient genügend Gelegenheit zu Rückfragen haben, die sich aktuell aus einer Information ergeben. 

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  • Handelt es sich bei dem Befund, auf dessen Ergebnis der Patient am Telefon wartet, um ein schwerwiegendes Ergebnis, so sollte dies nicht am Telefon, sondern in einem direkten Gespräch erörtert werden (z.B. histologischer Malignitätsbeweis, positiver HIV-Test). Da der Patient aber auf den Anruf wartet, darf das angekündigte Telefonat nicht unterbleiben. Ein Weg besteht darin, dem Patienten mitzuteilen, dass der Befund zwar inzwischen eingetroffen ist, es aber zweckmäßig erscheint, ihn in der Sprechstunde zu erläutern (Besprechungstermin so kurzfristig wie möglich ansetzen!).

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  • Grundsätzlich sollte bei Telefonaten, in denen Ängste, Missverständnisse und Probleme nicht eindeutig ausgeräumt oder beseitigt werden konnten, auf eine rasche Klärung in der Sprechstunde gedrängt werden. 
Richtig eingesetzt, kann Telefonieren helfen, Zeit zu sparen, die Compliance zu verbessern und das Arzt-Patienten-Verhältnis persönlicher zu gestalten.
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
© Pharma Verlag Frankfurt 

Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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