Es ist noch nicht genug,
eine Sache zu beweisen. |
Man muss die Menschen
zu ihr auch noch verführen. |
Friedrich Nietzsche
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Compliance
Was ist Compliance?
Compliance ist die Bereitschaft, eine
medizinische Empfehlung zu befolgen. Ohne Compliance des Patienten können
Medizin und Ärzte nichts bewegen.
Non-Compliance ist der Tod jeder
aktiven Medizin. Compliance ist kein neues Phänomen, sondern nur ein
neuer Begriff für ein altes, zentrales Problem der Kooperation zwischen
Arzt und Patient.
Der Begriff "Compliance" entstand zu Beginn
der 70er Jahre, als erste systematische wissenschaftliche Untersuchungen
gestartet wurden, die sich mit der Frage befassten: Wie viel von dem, was
Ärzte ihren Patienten raten, tun diese wirklich? Compliance ist kein
sehr glücklicher Begriff, weil es im Deutschen keine inhaltlich kongruente
Bezeichnung gibt; er ist jedoch inzwischen in der Fachterminologie fest
verankert. Compliance darf nicht verwechselt werden mit Dressur, unreflektiertem
Gehorsam oder Bevormundung des Patienten. Im weitesten Sinne bedeutet Compliance
Kooperation
durch eine partnerschaftliche Arzt-Patienten-Beziehung.
Compliance ist ganz wesentlich das Resultat
einer erfolgreichen Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Das Erzielen
einer guten Compliance ist daher eine der Kernaufgaben des ärztlichen
Gesprächs. Der führende amerikanische Compliance-Forscher A.R.
JONSEN sagt ganz nüchtern: "In Wirklichkeit ist Compliance weniger
ein Ergebnis der Ethik als vielmehr der Redekunst."
Das Problem der Non-Compliance
Viele Untersuchungen belegen, daß Non-Compliance
eines der großen praktischen Probleme der Medizin ist. Die Compliance-Forschung
hat gezeigt, dass Non-Compliance weiter verbreitet ist als allgemein angenommen:
-
35-40% aller verordneten Medikamente werden
nicht eingenommen (geschätzter volkswirtschaftlicher Schaden in der
Bundesrepublik Deutschland jährlich 5-7 Milliarden DM).
-
Die regelmäßige Einnahme selbst
lebensnotwendiger Medikamente liegt unter 50%.
-
Die Non-Compliance bei Hypertonikern beträgt
50-80%.
-
Diabetikerinnen essen täglich 100-200
kcal mehr als gleichaltrige stoffwechselgesunde Frauen.
-
Die Non-Compliance für Schwangerschaftsgymnastik
liegt bei 50%.
Warum ist Non-Compliance so weit verbreitet?
Bei vordergründiger Beobachtungsweise könnte man zu dem Schluss
kommen, dass Non-Compliance eigentlich nichts Ungewöhnliches, sondern
eher selbstverständlich ist. Ist aber Non-Compliance wirklich nur
die Folge dessen, dass der Mensch seiner Natur nach schwach ist, in jedem
mehr oder weniger ein Schlendrian wohnt und dass Vergessen als natürliches
Phänomen sein Übriges dazutut?
Bei näherem Hinsehen erweisen sich
diese Erklärungen als nicht ohne weiteres befriedigend. Ein Mensch
hat Beschwerden, er sucht einen Arzt auf mit dem Ziel, Hilfe zu erhalten,
der Arzt bemüht sich um eine klare Diagnose und erteilt dem Patienten
einen fundierten Rat - aber der Patient befolgt diesen Rat nicht. Wie kann
dieses Verhalten erklärt werden?
Zunächst ein konkretes Beispiel: Ein
52jähriger leitender Angestellter fühlt sich seit Monaten abgespannt.
Morgens wacht er mit etwas Kopfdruck und einem leichten Benommenheitsgefühl
auf. Nur auf Drängen der Familie und weil in den nächsten Monaten
ein großes Sonderprojekt der Firma bewältigt werden muss, sucht
er den Arzt auf. Im Grunde erwartet er, dass die Untersuchung nichts Gefährliches
ergibt. Bei mehrfachen Blutdruckmessungen werden Werte um 190/120 mm Hg
gemessen. Die eingehende Diagnostik spricht für eine länger bestehende
essentielle Hypertonie. Er erfährt vom Arzt, dass der Blutdruck "unbedingt
behandelt werden muss", weil solche Blutdruckwerte "sehr ungesund" sind;
schlimmstenfalls könnten Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen
die Folge sein. Eine medikamentöse Behandlung wird eingeleitet. Der
Patient fühlt sich, obwohl die Blutdruckwerte nunmehr im Normbereich
liegen, schlechter: verstärkte Müdigkeit, Schwindel beim Aufstehen,
hinzu kommen Potenzstörungen. In der Sprechstunde wird ihm gesagt,
dass er "trotzdem unbedingt weitermachen" muss. Die Erledigung seiner Aufgaben
im Betrieb fällt ihm schwerer als zuvor. Er nimmt die Medikamente
immer unregelmäßiger ein, setzt sie allmählich ab und fühlt
sich im Grunde gar nicht so schlecht. Eines Tages ist das ganze Blutdruckproblem
scheinbar vergessen.
Eine alltägliche Beobachtung in der
Praxis. Warum aber hat dieser Patient sich so verhalten?
Ursachen der Non-Compliance
Das zitierte Beispiel lässt einige der
wesentlichen Gründe für Non-Compliance erkennen:
-
Die Vorstellungen und Erwartungen
des
Patienten gingen nicht in Erfüllung: Er erwartete zu hören,
dass er eigentlich gesund ist. Statt dessen musste er sich zahlreichen
Untersuchungen unterziehen, eine Diagnose akzeptieren, mit der er nicht
gerechnet hatte, und den Ratschlag hören, dass er für den "Rest
des Lebens" Tabletten einzunehmen hat.
-
Es bestand eine deutliche Diskrepanz
zwischen
der subjektiven Einschätzung der Schwere der Erkrankung und dem objektiven
Befund.
-
Der Patient hatte nicht das Gefühl,
durch
seine Krankheit wirklich bedroht zu sein.
-
Es bestand kein unmittelbarer Leidensdruck.
-
Ein Vertrauensverhältnis zwischen
dem Patienten und seinem behandelnden Arzt entwickelte sich nicht.
Non-Compliance ist das Resultat von Demotivation
im
Sinne eines Motivationsmisserfolgs. Dass ein Patient einen Arzt aufsucht,
weil er Hilfe erwartet, die Ratschläge aber nicht befolgt, hat mit
einem psychologischen Phänomen zu tun, das als kognitive Dissonanztheorie
(L.
FESTINGER) beschrieben wird. Jeder Mensch ist bemüht, in seinem kognitiven
System Widerspruchsfreiheit zu erzielen. Er strebt eine Konsistenz der
kognitiven Elemente an. Haben jedoch zwei kognitive Elemente (Meinungen,
Wahrnehmungen, Glaubenssätze) widersprüchliche Inhalte, so tritt
eine kognitive Dissonanz auf, die einen innerlichen Druck erzeugt. Erst
die Beseitigung des Widerspruchs zwischen den kognitiven Elementen reduziert
die kognitive Dissonanz und setzt die innere Spannung herab.
Ist ein Patient also beispielsweise der
Meinung, gar nicht krank zu sein, und erwartet, dass sein leichter Kopfdruck
nur eine unbedeutende Befindensstörung darstellt, so werden bei ihm
die Diagnose einer mittelschweren Hypertonie und die Empfehlung zu konsequenter
lebenslanger Tabletteneinnahme zu einer kognitiven Dissonanz führen.
Diesen inneren Widerspruch zwischen seiner Meinung und seinen Wahrnehmungen
kann er einfach beseitigen: durch Non-Compliance. Der Blutdruck wird als
unbedeutend eingestuft, womit der Widerspruch zur ursprünglichen Erwartung
beseitigt ist und damit auch die Notwendigkeit, Arzneimittel einzunehmen,
entfällt.
Faktoren, die ganz allgemein zur
Demotivation
führen
können, spielen auch für die Non-Compliance die entscheidende
Rolle. Motivationsmisserfolge können auf folgende Ursachen
zurückgeführt werden:
-
unklare Zielformulierung ("Wir müssen
den Blutdruck runterkriegen"),
-
unpersönliche, allgemein gehaltene
Argumentation ("Übergewicht ist ungesund"),
-
hypothetische Argumente ("es ist denkbar,
dass Sie eines Tages durch die Zuckerkrankheit ein Bein verlieren"),
-
Operieren mit der Angst ("Wenn Sie
mit dem Rauchen so weitermachen, gebe ich Ihnen keine zwei Jahre mehr"),
-
überzogene Zielsetzung ("Sie müssen
von nun an ein Leben lang 3 x täglich - morgens, mittags und abends
- diese Tablette einnehmen, wenn das Ganze einen Sinn haben soll"),
-
mangelnde Kompromissfähigkeit
("Entweder
Sie halten sich an diese Diät oder ..."),
-
Argumentation in verschiedenen Wirklichkeiten
(der
Patient befindet sich in einer Lebenskrise, über die er sprechen möchte,
und bekommt statt dessen wegen eines Nebenbefundes ein Medikament verordnet).
Untersuchungen amerikanischer, österreichischer
und deutscher Arbeitsgruppen haben gezeigt, dass sich Non-Compliance-bestimmende
Faktoren in 5 Gruppen gliedern lassen:
-
Faktoren, die im Verhalten und der
Person des Arztes begründet sind.
-
Faktoren, die vom Patienten abhängen,
-
Art und Inhalt der ärztlichen Instruktion,
-
Faktoren, die direkt oder indirekt mit der
Therapie
zusammenhängen,
-
Faktoren, die von der Erkrankung
selbst
bestimmt werden.
Der Arzt als Ursache von Non-Compliance
Die Voraussetzung, dass ein Patient die Empfehlung
seines Arztes annimmt, ist die Glaubwürdigkeit des Ratschlags.
Die Glaubwürdigkeit ist wiederum gebunden an die fachliche
Kompetenz,
die
der Patient seinem Arzt zuschreibt. Aber auch eine fachlich fundierte Empfehlung
wird erst akzeptiert, wenn ein bestimmtes
Vertrauen zwischen Patient
und behandelndem Arzt besteht. Der Grad der Compliance und das Ausmaß
des Vertrauens des Patienten zum behandelnden Arzt weisen eine deutliche
Korrelation auf. Ein aus der Sicht des Patienten negatives Arztbild
wirkt
sich auch auf die Compliance negativ aus.
Bestimmte ärztliche Verhaltensweisen
sind
besonders geeignet, Non-Compliance zu fördern:
-
distanzierte und kühle Behandlung,
-
routinemäßige Gesprächsführung,
-
nicht auf Gegenfragen eingehen,
-
autoritäre Haltung,
-
nicht die Wichtigkeit einer Anordnung betonen.
Je mehr Partnerschaftlichkeit und je
weniger Autorität der Arzt an den Tag legt, um so eher ist
der Patient gewillt, Empfehlungen zu akzeptieren. Fragebogenuntersuchungen
haben jedoch gezeigt, dass fast die Hälfte aller Ärzte eine autoritäre
Beziehung bevorzugt (R. SCHOBERBERGER, M. KUNZE).
Weitere wichtige Gründe für
Non-Compliance sind:
-
fehlende oder mangelhafte Motivation
des
Arztes,
-
nicht eindeutige oder
missverständliche
Empfehlungen,
-
Angriffe auf das Selbstwertgefühl
des
Patienten ("Andere schaffen das schneller als Sie"),
-
Einschüchterungstaktiken, Drohungen
oder
angsterzeugende
Strategien,
-
den Nutzen einer Therapieform
überschätzen,
-
ungenügendes Miteinbeziehen von
Eigenverantwortlichkeit
und
Selbstständigkeit
des
Patienten,
-
hoher Autoritätsdruck,
-
kognitive oder emotionale Überforderung
durch
den Arzt.
Häufige Ursache einer kognitiven Überforderung
ist das Überschätzen der Verständlichkeit von Empfehlungen
oder der Merkfähigkeit des Patienten. Eigenen Angaben zufolge verstehen
7 -53% der Patienten nicht, was ihnen vom Arzt gesagt wird. Testuntersuchungen
sprechen jedoch dafür, dass der Prozentsatz mit 53 - 89% noch deutlich
höher liegt, weil viele Patienten glauben, eine Empfehlung
verstanden zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. In
einem erschreckend hohen Prozentsatz (28 -71% werden ärztliche Instruktionen
vergessen, wobei die Resultate um so ungünstiger sind, je höher
die Zahl der angebotenen Informationen ist (LAY).
Patient und Non-Compliance
Ursachen einer mangelhaften Compliance sind
häufig bestimmte Einstellungen und Vorstellungen von
Patienten. Diese Barrieren sind meist sehr schwierig zu überwinden
und bedürfen einer besonders geduldigen und langfristigen Intervention.
Das Grundproblem besteht darin, dass niemand auf die Dauer gegen
seine Erwartungen und Bedürfnisse zu motivieren ist und Motivationsversuche
gegen Prägungen, Vorurteile und Gewohnheiten auf größte
Widerstände stoßen.
Non-Compliance begünstigende Faktoren |
A) Faktoren, die in der
Person oder im Verhalten des Arztes begründet sind:
-
autoritäre Grundhaltung
des Arztes
-
Arzt erfüllt die an ihn
gestellten Erwartungen nicht
-
negatives Arztbild
-
mangelhafte Motivation des Arztes
-
Überschätzung des
therapeutischen Nutzens durch den Arzt
-
Missachtung der Selbstständigkeit
und Eigenverantwortlichkeit des Patienten
-
Angriffe auf das Selbstwertgefühl
des Patienten
-
emotionale oder kognitive Überforderung
des Patienten
-
Motivationsversuch durch Angsterzeugung,
Einschüchterung oder Drohungen
-
Instruktionen im Fachjargon
|
B) Faktoren, die in der Person
oder im Verhalten des Patienten liegen:
-
negative allgemeine Gesundheitseinstellung
-
niedrige Selbsteinschätzung
der gesundheitlichen Risiken
-
hoher Pegel an Vorurteilen und
Glaubenssätzen
-
passive Grundhaltung
-
hypochondrische Einstellung
-
eingeschränkte kognitive
Fähigkeiten
-
eingeschränkte Merkfähigkeit
-
Furcht vor Medikamentenabhängigkeit
-
ausgeprägte Erwartung von
Nebenwirkungen
|
C) Faktoren, die in der Instruktion
selbst begründet liegen:
-
unverständliche Instruktionen
-
überladene Instruktionen
-
unpräzise Instruktionen
-
Mehrfachinstruktionen
-
Instruktionen mit "erhobenem
Zeigefinger"
-
illusionäre Instruktionen
|
D) Direkt oder indirekt mit
der Therapie- oder Verhaltensempfehlung zusammenhängende Faktoren:
-
lästige oder umständliche
Therapieformen
-
Einschränkungen der Lebensqualität
-
abschreckende Wirkung des Beipackzettels
-
Art und Umfang der Nebenwirkungen
|
E) Faktoren, die in der Art
der Erkrankung begründet liegen:
-
"Image" der Krankheit
-
Ausmaß des Leidensdrucks
-
objektiver Schweregrad der Erkrankung
|
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Die praktisch wichtigsten Gründe
für eine mangelhafte Compliance, deren Ursachen beim Patienten
liegen,
sind:
-
Eine negative allgemeine Gesundheitseinstellung:
Je
weiter unten in der persönlichen Werteskala Gesundheit rangiert, um
so geringer sind die Chancen der Motivierbarkeit für medizinische
Maßnahmen.
-
Eine Verharmlosung gesundheitlicher Risiken:
Sie
beruht häufig auf Abwehrmechanismen. Gesundheitliche Risiken werden
zwar allgemein akzeptiert, nicht jedoch auf die eigene Person bezogen.
Diese Haltung ist im übrigen gerade bei Ärzten weit verbreitet.
-
Ein hoher Pegel an Vorurteilen und Glaubensätzen:
Sie
sind Kern vieler Scheinargumentationen wie:
"Bis jetzt ist alles gut gegangen..."
"Man kann nicht nur für die Gesundheit
leben..."
"Warum soll ich mich mit den vielen Tabletten
vergiften..."
"Ich gleiche das durch Sport aus ..."
usw.
-
Eine passive Grundhaltung: Diese kann
durch eine überzogene soziale Absicherung begünstigt werden.
Das Verhalten solcher Patienten ist geprägt durch die Tendenz, nur
Maßnahmen zu akzeptieren, die keine Eigenaktivität erfordern,
notwendige Behandlungen hinauszuschieben und die Verantwortung für
gesundheitliche Probleme in andere Hände zu legen.
-
Eine ausgeprägte Erwartung von Nebenwirkungen:
Sie
wird bestimmt von der Art des verordneten Medikaments, vom Ausmaß
der Abklärung, von den Bezugsgruppen des Patienten und nicht selten
von der Angst, medikamentensüchtig oder -abhängig zu werden.
Eine Repräsentativbefragung bei 12- bis 15jährigen hat ergeben,
dass nahezu alle Jugendlichen dieser Altersgruppe glauben, dass jedes Medikament
gefährliche Nebenwirkungen besitzt.
Instruktion und Non-Compliance
Mangelhafte Instruktionen sind eine
der Hauptursachen von Non-Compliance. Der Erfolg einer Instruktion
wird wesentlich durch Inhalt, Umfang, sprachliche Formulierung und Tendenz
bestimmt. Zur Motivation ungeeignet sind folgende Instruktionsformen:
-
Die unverständliche (missverständliche)
Instruktion: Je mehr Fachausdrücke gebraucht werden, je "wissenschaftlicher"
der Arzt seine Anweisung formuliert und je mehr die sprachlichen Ebenen
von Arzt und Patient voneinander abweichen, um so mehr leidet die Verständlichkeit
seiner Empfehlung. Mit Fachjargon sind nicht nur Termini technici im engeren
Sinne, sondern der medizinische Umgangsjargon ganz allgemein gemeint. Viele
Begriffe und Redewendungen, die Ärzte unter sich so selbstverständlich
wie Ausdrücke der Alltagssprache verwenden, können für den
Patienten völlig unverständlich sein ( "regelmäßige
Applikation, prognostische Bedeutung, ubiquitäre Wirkung").
-
Die überladene Instruktion: Je
mehr Informationen eine Instruktion enthält, um so größer
ist die Gefahr von Missverständnissen und um so höher liegt die
Quote des Vergessenen. Bei Mehrfachinstruktionen kann es für
den Empfänger schwierig sein, die Wichtigkeit der einzelnen Empfehlungen
zu unterscheiden. Auch die Reihenfolge, in der Ratschläge gegeben
werden, spielt für das Verhalten eine Rolle: Eine Empfehlung, die
am Anfang gegeben wird, wird doppelt so gut behalten wie ein Ratschlag
in der Mitte einer Reihenfolge.
-
Die unpräzise Instruktion:
Damit
sind nicht nur die Ungenauigkeit einer Instruktion und das Fehlen quantitativer
Angaben gemeint, sondern auch, dass aus der Sicht des Arztes scheinbar
unmissverständliche Ratschläge aus der Sicht des Patienten vieldeutig
sein können. Beispiele: "Bei Komplikationen sollten Sie mich sofort
anrufen..." (statt: "Wenn der Stuhl schwarz ist...", "Wenn Sie Fieber haben...",
"Wenn ein Hautausschlag auftritt..."). "Legen Sie die Beine oft hoch."
("Wie oft?", "Wie lange?", "Wie hoch?"). "Wenn ein Infekt auftritt, müssen
Sie die Dosis erhöhen..." (statt: "Wenn Sie Husten, Schnupfen, Fieber
haben...").
-
Die sogenannte Breitbandinstruktion:
Bei
dieser Instruktionsform werden Ratschläge so allgemein und unpräzise
formuliert, dass ihre Umsetzung sehr in Frage gestellt ist. Beispielsweise:
"Lassen Sie sich doch nicht durch alles aus der Ruhe bringen." "Stress
ist Gift für Sie, meiden Sie daher möglichst jeden beruflichen
und privaten Stress." "Versuchen Sie, sich nicht jede Kleinigkeit zu Herzen
gehen zu lassen."
-
Instruktionen mit "erhobenem Zeigefinger":
Pastoral-moralisierende Belehrungen (statt fundierter Empfehlungen) bleiben
meist ohne nachhaltige Wirkung. Wie beim sogenannten "Kanzelsyndrom" besteht
die Gefahr, dass die von oben gesprochenen Worte unten nicht ankommen oder
nicht angenommen werden, auf jeden Fall wenig bewirken.
-
Die illusionäre Instruktion:
Sie
verstößt gegen das Prinzip, dass das Motivationsziel
nicht
nur erkennbar und erstrebenswert, sondern erreichbar sein muss.
Häufigste Ursachen sind Krankheitsbetrachtung aus verschiedenen Wirklichkeiten,
Überschätzung der Nützlichkeit und Zumutbarkeit einer Maßnahme
oder die einseitige Bevorzugung einer bestimmten Therapieform. Täglich18
Tabletten einzunehmen kann durchaus eine pharmakologisch und pathophysiologisch
begründbare Empfehlung sein, sie wird jedoch meistens an den Hürden
der Realität zu Fall kommen.
Therapie und Verhaltensempfehlungen
als Ursachen von Non-Compliance
Die Art der empfohlenen Therapie- oder Verhaltensmaßnahmen
ist ebenfalls wesentlich mitbestimmend für das Ausmaß der Compliance.
Eine hohe Non-Compliance ist zu erwarten bei
-
lästigen oder umständlichen
Therapieformen.
Beispiele: Eine große Zahl an verordneten Medikamenten, ungünstige
Einnahmezeiten (z.B. um 8.00, 16.00 und 24.00 Uhr), ein Einnahmerhythmus,
der der individuellen Situation des Patienten zuwiderläuft (Arbeitszeit,
Reisen, Wechselschicht), Anwendungsformen, die im Alltagsleben ein Hindernis
darstellen können (Dosieraerosole, Suppositorien, Tropfen). Eine weitere
Rolle spielen Größe, Form, Geschmack und Geruch der verordneten
Tabletten oder Medikamentenzubereitungen;
-
Maßnahmen, die zu einer wesentlichen
Einschränkung
der sogenannten Lebensqualität führen: Hierzu zählen
alle Maßnahmen, die entscheidend das Konsum- und Freizeitverhalten
betreffen;
-
abschreckend formulierten Beipackzetteln:
Die
detaillierte Auflistung aller möglichen Nebenwirkungen in Beipackzetteln
hat einen hohen Abschreckungseffekt. Beiträge in den Medien, eine
wachsende kritische Haltung der Patienten und der verstärkte Wunsch
nach Information bewirken, dass Beipackzettel mehr und mehr zur Quelle
der Verunsicherung werden und eine ablehnende Haltung gegenüber Arzneimitteln
erzeugen. Entgegen einer landläufig weitverbreiteten Meinung spielen
tatsächlich
eingetretene
Nebenwirkungen für die Non-Compliance eine relativ geringe Rolle.
Bei Untersuchungen, in denen Patienten nach Gründen ihrer Non-Compliance
befragt wurden, standen Nebenwirkungen mit 5 -10% am Ende der Skala. Auch
haben kontrollierte Studien ergeben, dass einnahmezuverlässige und
-unzuverlässige Patienten etwa gleich häufig über Nebenwirkungen
klagen.
Krankheit und Non-Compliance
Inwieweit die Patienten-Compliance vom objektiven
Schweregrad einer Erkrankung abhängt, ist nicht sicher geklärt.
Nur in 6 von 13 Studien wurde eine Korrelation zwischen Schwere der Erkrankung
und Güte der Patienten-Compliance nachgewiesen. Ein geringer Leidesdruck
scheint Non-Compliance zu fördern. Auffallend hoch ist die geringe
Compliance bei psychiatrischen Patienten mit schizophrener Persönlichkeitsstruktur.
Beziehungen zwischen dem "Image" einer
Erkrankung und Patienten-Compliance werden diskutiert. Krankheiten, die
in der Allgemeinheit eine hohe Attraktivität besitzen (z.B. Herzinfarkt,
multiple Sklerose), führen wahrscheinlich zu einer besseren Compliance
als "unattraktive" Erkrankungen, auch wenn sie einen hohen sozialmedizinischen
Rang besitzen (z.B. Hypertonie, Atemwegserkrankungen).
Compliancefördernde Maßnahmen
In einem Arzt-Patienten-Seminar über
"Bluthochdruck im Arzt-Patientenalltag" in Eltville 1985 hatten Patienten
die Gelegenheit, ihre Vorstellungen vom "idealen Arzt" zu formulieren und
darzulegen, was nach ihrer Ansicht compliant macht bzw. woran Compliance
scheitern kann. Die Kernaussagen der weitgefächerten Wunschpalette
lautete: Der Arzt sollte:
-
kein Schulmeister sein, aber ein Machtwort
sprechen können,
-
den Patienten ergründen,
-
ihm Vorbild sein,
-
ihn loben,
-
Hoffnung auf Therapieerfolge wecken können,
-
Kraft geben, wenn der Patient nicht mehr weiter
kann (Vertrauensperson, Retter, Psychologe),
-
die Krankheit und die Therapie für den
Patienten verständlich machen,
-
dem Patienten Gelegenheit geben, seine Krankheit
und seine Erlebnisse darzustellen.
Mit anderen Worten: Patienten sind
am ehesten geneigt, einer ärztlichen Empfehlung zu folgen,
wenn der Arzt
-
Empathie zeigt,
-
auf die individuelle Situation des
Patienten eingeht,
-
verständliche und begründete
Empfehlungen gibt und
-
ihm zur Seite steht.
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Die Kunst, eine möglichst optimale Compliance
zu erzielen, besteht lediglich darin, einerseits alle motivationsfördernden
Maßnahmen auszuschöpfen (siehe Kapitel "Motivation" ),
andererseits Faktoren, die zur Non-Compliance führen, weitestgehend
auszuschalten.
Verschiedene flankierende Maßnahmen
können
ebenfalls zu einer besseren Compliance beitragen. Eine große Rolle,
insbesondere bei älteren oder behinderten Patienten, spielt die Einbindung
eines
Partners oder einer Schlüsselperson
in den Therapieplan,
weil soziale Isolation zu einer deutlichen Verschlechterung von Compliance
führt. Als Bezugsperson eignet sich am besten jemand, der selbst
an der gesundheitlichen Situation des Patienten interessiert und vom Patienten
akzeptiert wird. Dabei kann es sich um den Ehepartner, andere Familienangehörige,
Nachbarn oder einer Pflegekraft handeln. Das Miteinbeziehen der Schlüsselperson
in den Therapieplan bei nichtmedikamentösen Maßnahmen (Diät,
körperliche Aktivität, Nikotinabstinenz) besitzt einen deutlich
motivierenden Effekt.
Complianceverbessernde Maßnahmen |
A) Grundregeln:
-
Das Ziel muss für den Patienten
erkennbar.
erreichbar und erstrebenswert sein.
-
Positive Konsequenzen herausstellen.
-
Leitmotiv: Sieg ist möglich!
-
Risiken und Misserfolge
einkalkulieren.
|
B) Die optimale Instruktion:
-
Instruieren: präzise,
einfach, verständlich, patientengerecht.
-
Standard vorgeben.
-
Eine Empfehlung wird
besser befolgt als mehrere.
-
Die einfachste Maßnahme
ist
die wirkungsvollste.
-
"Maßgeschneidert" beraten.
-
Politik der "kleinen Schritte".
|
C) Flankierende Maßnahmen:
-
schriftliche Informationshilfen.
-
Selbstkontrolle fördern.
-
Bezugspersonen einschalten.
-
Selbstständigkeit und
Eigenverantwortung
anregen.
-
Kompromissfähigkeit
zeigen.
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Die Vereinbarung fester Kontrolltermine
hat
einen kumulativen Effekt: Sie bestärkt den Patienten in der Überzeugung,
dass der Arzt sich wirklich um ihn kümmert und an ihm interessiert
ist, dem Arzt bietet sich gleichzeitig die Möglichkeit der Compliance-Kontrolle.
Eine Kontrolle der Compliance ist
außer durch den pharmakologischen Haupteffekt (z.B. Blutdruckverhalten)
durch die Beachtung spezifischer Nebeneffekte (z.B. Pulsfrequenzsenkung
unter Betablockertherapie) möglich. Kostspielig und nur begrenzt durchführbar
sind Blutspiegelbestimmungen (Digoxin, Theophyllin, Phenytoin) oder Labortests
(HbA1). D.L. SACKETT, einer der führenden amerikanischen
Compliance-Forscher, vertritt die Ansicht, dass direktes Befragen des
Patienten die beste Methode der Compliance-Kontrolle ist. Fragen - wie
beispielsweise: "Viele Menschen haben Schwierigkeiten, regelmäßig
an die Einnahme ihrer Medikamente zu denken. Geht es Ihnen auch so, dass
Sie manchmal die Tabletten vergessen?" - werden in der Regel offen beantwortet.
So sehr optimale Compliance ein wesentliches Ziel ärztlicher Bemühungen
ist, so wichtig ist auch die Erkenntnis, dass Kompromissfähigkeit
ebenfalls
zu den wirksamen Instrumenten der Patientenlenkung zählt.
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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