Wenn Du ein Schiff bauen
willst, dann trommle nicht Männer zusammen, |
um Holz zu beschaffen,
Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, |
sondern lehre die Männer
die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. |
Antoine de
Saint Exupéry
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Motivation
Wenn wir von Motivation sprechen, so verwenden
wir diesen Begriff, um die Veränderung und Veränderbarkeit
menschlichen Verhaltens zu beschreiben. Zunächst erscheint es
notwendig, die Begriffe aus der Alltagssprache Motiv, Motivation und Motivierung
zu definieren. Hoefert (1986) gibt folgende Klarstellungen:
-
unter einem Motiv (im anderen Verständniszusammenhang
auch: Trieb, Bedürfnis, Drang, Strebung u. ä.) versteht man eine
energetisierende Quelle in der menschlichen Persönlichkeit, die bei
entsprechender Stimulation das Denken und Handeln ausrichtet und in Gang
hält.
-
Mit Motivation ist der Zustand gemeint,
der sich einstellt, wenn ein Motiv - etwa durch äußere Anreize
oder durch eigene Hoffnungen - zur Wirksamkeit gebracht worden ist.
-
Unter Motivierung kann schließlich
der Versuch verstanden werden, durch geeignete Maßnahmen ein Motiv
so zu aktivieren, dass Motivation entsteht.
Wenn der Arzt bei seinem Patienten eine Verhaltensänderung
erreichen will, geschieht dies also durch Motivierung und nicht
durch Motivation.
Die Geschichte der Motivationsforschung
geht auf die Trieblehre von Sigmund Freud zurück, die dieser jedoch
mehrfach im Laufe seines Lebens überarbeitet hat (anfänglich
dominierten Sexualtriebe und Ichtrieb, in der letzten Fassung der Triebtheorie
wurden Destruktionstrieb und Lebenstrieb nebeneinandergestellt).
Ein Schlüssel zur Patientenführung
Motivieren bedeutet, Menschen durch
Überzeugung
zu bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen zu bewegen. In der Medizin
gilt:
-
Erfolgreiche Medizin ohne Motivation
ist
undenkbar.
-
Motivation ist die Grundlage jeder
Patientenführung.
-
Das Gespräch ist das Motivationsinstrument
Nummer 1.
Der Arzt muss heute in weiten Bereichen gesundheitsedukatorische
Aufgaben erfüllen, die ohne die Fähigkeit, Patienten zu motivieren,
nicht zu lösen sind. Er muss es verstehen, Patienten zu bewegen, über
lange Zeit bestimmte Medikamente einzunehmen, eine Diät einzuhalten,
Lebensgewohnheiten zu ändern, sich körperlich zu betätigen
usw. Die Erfahrung zeigt, dass die Kunst der Motivation schwierig und nicht
sehr weit verbreitet ist.
Ein prominentes Beispiel unzureichender
Motivation und Patientenführung ist die Krankheit Jean-Paul SARTRES.
Seine Lebensgefährtin Simone DE BEAUVOIR schildert
in ihrem Buch "Die Zeremonie des Abschieds" den etwa 10 Jahre währenden
körperlichen und geistigen Verfall von Jean-Paul SARTRE, dessen Krankheit
durch eine schwere, schlecht kontrollierte Hypertonie und rezidivierende
Schlaganfälle geprägt war. Es ist keine Frage, dass die Berühmtheit
des Patienten es seinen Ärzten besonders schwer gemacht hat, ihn angemessen
zu betreuen. Es wurde aber offenbar niemals ein wirklich ernsthafter Versuch
unternommen, den enormen Verbrauch an Alkohol, Zigaretten, Kaffee, Tee
und Aufputschmitteln zu drosseln. Während eines Schlaganfalls im Mai
1971 fiel SARTRE "die Zigarette dauernd von den gelähmten Lippen".
In ihrem Buch schildert Simone DE BEAUVOIR, dass Ärzte
nur aus akutem Anlass geholt und verständigt wurden und dass
diese den prominenten Patienten wiederum oft zu einem "noch zuständigeren
Kollegen" überwiesen. Man erfährt, dass ihm die Zigaretten immer
wieder verboten worden sind.
M.J. HALHUBER stellt in seinem Essay "Der
Fall Jean-Paul SARTRE - prominent und alleingelassen?" Fragen, die die
Grundlagen der Motivation und Patientenführung berühren: "Bereits
1954 hatte Sartre seine erste Hochdruckkrise. Warum ist es seit damals
nicht zu einem dauerhaften tragfähigen Arbeitsbündnis zwischen
einem
erfahrenen Arzt seines Vertrauens und ihm und Simone DE
BEAUVOIR
gekommen? Im Tagebuch tauchen viele, immer neue Spezialisten auf, die dann
überwiegend diagnostisch tätig werden ... ... Mit wie viel therapeutischen
Engagements sind welche Methoden zur Änderung seiner Verhaltensweisen
ernsthaft und auch konsequent eingesetzt worden? Nach den Tagebuchaufzeichnungen
von Simone DE BEAUVOIR sind immer nur wieder im Sprechzimmer
und am Krankenbett Einzelverbote und die üblichen Pauschalratschläge
ausgesprochen worden, von deren Nutzlosigkeit wir uns doch täglich
überzeugen können."
Am Anfang jeder Bemühung, Patienten
zu motivieren, müssen 4 Grundüberlegungen stehen:
-
Ist der Patient überhaupt motivierbar?
-
Wie wichtig ist das Ziel der Motivation?
-
Wo liegen die größten Widerstände?
-
Bin ich als Arzt selbst genügend motiviert?
Motivation ist in erster Linie eine dialektische
Aufgabe. Dialektik als Kunst der Gesprächsführung aus zunächst
gegensätzlichen Positionen ist letzten Endes die Kunst zu überzeugen.
Motivation
darf nicht mit Manipulation verwechselt werden. Bei der
Manipulation
werden
unerlaubte Techniken, zweifelhafte Kunstgriffe oder Intrigen bewusst als
Instrument der Beeinflussung eingesetzt. Voraussetzung für erfolgreiches
dialektisches Vorgehen sind Logik, Psychologie und rhetorische Grundkenntnisse.
Ein schönes Beispiel (unfairer) Dialektik
ist die Geschichte von dem rauchenden Mönch: Ein Mönch, der für
sein Leben gern rauchte und am liebsten Tag und Nacht, das heißt
auch während des Betens, ständig geraucht hätte, überlegte
sich, wie er seinen Abt dazu bewegen könnte, ihm das Rauchen zu jeder
Zeit zu gestatten. Dabei wurde ihm klar, dass es wohl kaum erfolgreich
wäre, den Abt zu fragen: "Darf ich während des Betens rauchen?"
Er ging dialektisch anders vor und war mit folgender Frage an seinen Abt
erfolgreich: "Darf ich während des Rauchens beten?"
Der Mensch handelt nicht ohne Grund,
und
er unterlässt auch eine Handlung nicht ohne Grund. Dabei
müssen ihm die Gründe seines Verhaltens keineswegs bewusst sein,
meistens sind sie es auch nicht. Die Kenntnis der Gründe ermöglicht
es aber erst, Menschen zum Handeln oder Nichthandeln zu bewegen, das heißt
zu motivieren. Folgende Gründe können für die Handlungsweise
eines
Menschen ausschlaggebend sein:
-
Emotionale Gründe:
Ängste
Scham
Schuldgefühle
Minderwertigkeitsgefühle
-
Rationale Gründe:
Interessen
Berechnung
Erfahrungen
-
Wertbesetzte Gründe:
Ideale
Einstellungen
Wertorientierung
Aus diesem Spektrum von Handlungsgründen
eignen sich bestimmte Gründe zur Motivation, wie z.B. Hoffnungen,
Ideale oder Bedürfnisse, während andere Gründe (Gewohnheiten,
Vorurteile oder Ängste) das Gegenteil bewirken und zur Demotivation
führen.
Eine Grundregel der Motivationstechnik
lautet daher: "Durch Erzeugen von Angst, Wecken von Schuldgefühlen
oder Beschämen ist Motivation ebenso wenig möglich wie gegen
den Widerstand von Vorurteilen, festgefahrenen Gewohnheiten und sogenannten
Glaubenssätzen." |
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So sind beispielsweise folgende Aussagen
kaum geeignet, zu motivieren:
"Jede Packung Zigaretten verkürzt
Ihr Leben um 10 Minuten."
"Die meisten Patienten halten sich viel
besser als Sie an ihre Diät."
"Wenn Ihr Blutdruck nicht heruntergeht,
ist Ihr Herzinfarkt vorprogrammiert."
Bestimmte Grundhaltungen, Pseudoargumente
und sogenannte Lebensweisheiten von Patienten sind ebenfalls häufige
Motivationshindernisse:
"10 Jahre gut gelebt ist besser als alt
geworden."
"Wer weiß schon, was morgen ist?"
"Mein Vater hat täglich 30 Zigaretten
geraucht und ist erst mit 87 Jahren gestorben."
Erfolgreiche Motivation ist an folgende
Bedingungen
gebunden:
1. Der Patient muss überhaupt motivierbar
sein.
Kognitive, intellektuelle, emotionale
und situative Faktoren dürfen der Motivation nicht von vornherein
entgegenstehen. Der antriebslose Depressive, der Patient mit fortgeschrittener
Hirnleistungsschwäche, der Kranke aus einem Kulturkreis mit völlig
anderen Wertvorstellungen wird einer Motivation zu bestimmten Verhaltensweisen
(Langzeitmedikation, Diät) kaum genügend aufgeschlossen sein.
2. Das Ziel muss eindeutig sein.
Im einzelnen bedeutet dies: Das
Ziel
muss
für den Patienten erkennbar, erreichbar, realistisch
und
wünschenswert
sein.
Versteht der Patient überhaupt nicht, um was es geht, erscheint ihm
die Zielvorgabe nicht erreichbar, und ist er an dem Ziel der Motivation
nicht interessiert, so wird eine Motivation praktisch unmöglich sein.
3. Der Arzt muss selbst motiviert sein.
Motivationserfolg des Arztes ist
eng gekoppelt mit der eigenen Einstellung zu Ratschlägen und Therapieempfehlungen.
Untersuchungen in verschiedenen Bereichen haben gezeigt, dass der Behandlungserfolg
deutlich von dem Motivationsgrad des Therapeuten abhängt. Der Arzt
als Vorbild stellt daher einen Motivationsfaktor (und Demotivationsfaktor!)
ersten Ranges dar.
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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