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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Motivation
Ein Schlüssel zur Patientenführung
 
 
Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen,
um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, 
sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.
Antoine de Saint Exupéry
Motivation
Wenn wir von Motivation sprechen, so verwenden wir diesen Begriff, um die Veränderung und Veränderbarkeit menschlichen Verhaltens zu beschreiben. Zunächst erscheint es notwendig, die Begriffe aus der Alltagssprache Motiv, Motivation und Motivierung zu definieren. Hoefert (1986) gibt folgende Klarstellungen:
  • unter einem Motiv (im anderen Verständniszusammenhang auch: Trieb, Bedürfnis, Drang, Strebung u. ä.) versteht man eine energetisierende Quelle in der menschlichen Persönlichkeit, die bei entsprechender Stimulation das Denken und Handeln ausrichtet und in Gang hält.
  • Mit Motivation ist der Zustand gemeint, der sich einstellt, wenn ein Motiv - etwa durch äußere Anreize oder durch eigene Hoffnungen - zur Wirksamkeit gebracht worden ist.
  • Unter Motivierung kann schließlich der Versuch verstanden werden, durch geeignete Maßnahmen ein Motiv so zu aktivieren, dass Motivation entsteht.
Wenn der Arzt bei seinem Patienten eine Verhaltensänderung erreichen will, geschieht dies also durch Motivierung und nicht durch Motivation.

Die Geschichte der Motivationsforschung geht auf die Trieblehre von Sigmund Freud zurück, die dieser jedoch mehrfach im Laufe seines Lebens überarbeitet hat (anfänglich dominierten Sexualtriebe und Ichtrieb, in der letzten Fassung der Triebtheorie wurden Destruktionstrieb und Lebenstrieb nebeneinandergestellt). 



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Ein Schlüssel zur Patientenführung
Motivieren bedeutet, Menschen durch Überzeugung zu bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen zu bewegen. In der Medizin gilt:
  1. Erfolgreiche Medizin ohne Motivation ist undenkbar. 
  2. Motivation ist die Grundlage jeder Patientenführung. 
  3. Das Gespräch ist das Motivationsinstrument Nummer 1.
Der Arzt muss heute in weiten Bereichen gesundheitsedukatorische Aufgaben erfüllen, die ohne die Fähigkeit, Patienten zu motivieren, nicht zu lösen sind. Er muss es verstehen, Patienten zu bewegen, über lange Zeit bestimmte Medikamente einzunehmen, eine Diät einzuhalten, Lebensgewohnheiten zu ändern, sich körperlich zu betätigen usw. Die Erfahrung zeigt, dass die Kunst der Motivation schwierig und nicht sehr weit verbreitet ist.

Ein prominentes Beispiel unzureichender Motivation und Patientenführung ist die Krankheit Jean-Paul SARTRES. Seine Lebensgefährtin Simone DE BEAUVOIR schildert in ihrem Buch "Die Zeremonie des Abschieds" den etwa 10 Jahre währenden körperlichen und geistigen Verfall von Jean-Paul SARTRE, dessen Krankheit durch eine schwere, schlecht kontrollierte Hypertonie und rezidivierende Schlaganfälle geprägt war. Es ist keine Frage, dass die Berühmtheit des Patienten es seinen Ärzten besonders schwer gemacht hat, ihn angemessen zu betreuen. Es wurde aber offenbar niemals ein wirklich ernsthafter Versuch unternommen, den enormen Verbrauch an Alkohol, Zigaretten, Kaffee, Tee und Aufputschmitteln zu drosseln. Während eines Schlaganfalls im Mai 1971 fiel SARTRE "die Zigarette dauernd von den gelähmten Lippen". In ihrem Buch schildert Simone DE BEAUVOIR, dass Ärzte nur aus akutem Anlass geholt und verständigt wurden und dass diese den prominenten Patienten wiederum oft zu einem "noch zuständigeren Kollegen" überwiesen. Man erfährt, dass ihm die Zigaretten immer wieder verboten worden sind.

M.J. HALHUBER stellt in seinem Essay "Der Fall Jean-Paul SARTRE - prominent und alleingelassen?" Fragen, die die Grundlagen der Motivation und Patientenführung berühren: "Bereits 1954 hatte Sartre seine erste Hochdruckkrise. Warum ist es seit damals nicht zu einem dauerhaften tragfähigen Arbeitsbündnis zwischen einem erfahrenen Arzt seines Vertrauens und ihm und Simone DE BEAUVOIR gekommen? Im Tagebuch tauchen viele, immer neue Spezialisten auf, die dann überwiegend diagnostisch tätig werden ... ... Mit wie viel therapeutischen Engagements sind welche Methoden zur Änderung seiner Verhaltensweisen ernsthaft und auch konsequent eingesetzt worden? Nach den Tagebuchaufzeichnungen von Simone DE BEAUVOIR sind immer nur wieder im Sprechzimmer und am Krankenbett Einzelverbote und die üblichen Pauschalratschläge ausgesprochen worden, von deren Nutzlosigkeit wir uns doch täglich überzeugen können."

Am Anfang jeder Bemühung, Patienten zu motivieren, müssen 4 Grundüberlegungen stehen:

  1. Ist der Patient überhaupt motivierbar?
  2. Wie wichtig ist das Ziel der Motivation?
  3. Wo liegen die größten Widerstände?
  4. Bin ich als Arzt selbst genügend motiviert?
Motivation ist in erster Linie eine dialektische Aufgabe. Dialektik als Kunst der Gesprächsführung aus zunächst gegensätzlichen Positionen ist letzten Endes die Kunst zu überzeugen. Motivation darf nicht mit Manipulation verwechselt werden. Bei der Manipulation werden unerlaubte Techniken, zweifelhafte Kunstgriffe oder Intrigen bewusst als Instrument der Beeinflussung eingesetzt. Voraussetzung für erfolgreiches dialektisches Vorgehen sind Logik, Psychologie und rhetorische Grundkenntnisse.

Ein schönes Beispiel (unfairer) Dialektik ist die Geschichte von dem rauchenden Mönch: Ein Mönch, der für sein Leben gern rauchte und am liebsten Tag und Nacht, das heißt auch während des Betens, ständig geraucht hätte, überlegte sich, wie er seinen Abt dazu bewegen könnte, ihm das Rauchen zu jeder Zeit zu gestatten. Dabei wurde ihm klar, dass es wohl kaum erfolgreich wäre, den Abt zu fragen: "Darf ich während des Betens rauchen?" Er ging dialektisch anders vor und war mit folgender Frage an seinen Abt erfolgreich: "Darf ich während des Rauchens beten?"

Der Mensch handelt nicht ohne Grund, und er unterlässt auch eine Handlung nicht ohne Grund. Dabei müssen ihm die Gründe seines Verhaltens keineswegs bewusst sein, meistens sind sie es auch nicht. Die Kenntnis der Gründe ermöglicht es aber erst, Menschen zum Handeln oder Nichthandeln zu bewegen, das heißt zu motivieren. Folgende Gründe können für die Handlungsweise eines Menschen ausschlaggebend sein:

  • Bedürfnisse
  • Emotionale Gründe: 
    • Ängste
      Scham
      Schuldgefühle
      Minderwertigkeitsgefühle
  • Rationale Gründe:
    • Interessen
      Berechnung
      Erfahrungen
  • Wertbesetzte Gründe:
    • Ideale
      Einstellungen
      Wertorientierung
  • Erwartungen:
    • Hoffnungen
      Wünsche
  • Gewohnheiten
  • Vorurteile


Aus diesem Spektrum von Handlungsgründen eignen sich bestimmte Gründe zur Motivation, wie z.B. Hoffnungen, Ideale oder Bedürfnisse, während andere Gründe (Gewohnheiten, Vorurteile oder Ängste) das Gegenteil bewirken und zur Demotivation führen.
 

Eine Grundregel der Motivationstechnik lautet daher: "Durch Erzeugen von Angst, Wecken von Schuldgefühlen oder Beschämen ist Motivation ebenso wenig möglich wie gegen den Widerstand von Vorurteilen, festgefahrenen Gewohnheiten und sogenannten Glaubenssätzen."

So sind beispielsweise folgende Aussagen kaum geeignet, zu motivieren: 
"Jede Packung Zigaretten verkürzt Ihr Leben um 10 Minuten."
"Die meisten Patienten halten sich viel besser als Sie an ihre Diät."
"Wenn Ihr Blutdruck nicht heruntergeht, ist Ihr Herzinfarkt vorprogrammiert."

Bestimmte Grundhaltungen, Pseudoargumente und sogenannte Lebensweisheiten von Patienten sind ebenfalls häufige Motivationshindernisse:
"10 Jahre gut gelebt ist besser als alt geworden."
"Wer weiß schon, was morgen ist?"
"Mein Vater hat täglich 30 Zigaretten geraucht und ist erst mit 87 Jahren gestorben."
 

Erfolgreiche Motivation ist an folgende Bedingungen gebunden:

1. Der Patient muss überhaupt motivierbar sein.

Kognitive, intellektuelle, emotionale und situative Faktoren dürfen der Motivation nicht von vornherein entgegenstehen. Der antriebslose Depressive, der Patient mit fortgeschrittener Hirnleistungsschwäche, der Kranke aus einem Kulturkreis mit völlig anderen Wertvorstellungen wird einer Motivation zu bestimmten Verhaltensweisen (Langzeitmedikation, Diät) kaum genügend aufgeschlossen sein.
2. Das Ziel muss eindeutig sein.
Im einzelnen bedeutet dies: Das Ziel muss für den Patienten erkennbar, erreichbar, realistisch und wünschenswert sein. Versteht der Patient überhaupt nicht, um was es geht, erscheint ihm die Zielvorgabe nicht erreichbar, und ist er an dem Ziel der Motivation nicht interessiert, so wird eine Motivation praktisch unmöglich sein.
3. Der Arzt muss selbst motiviert sein.
Motivationserfolg des Arztes ist eng gekoppelt mit der eigenen Einstellung zu Ratschlägen und Therapieempfehlungen. Untersuchungen in verschiedenen Bereichen haben gezeigt, dass der Behandlungserfolg deutlich von dem Motivationsgrad des Therapeuten abhängt. Der Arzt als Vorbild stellt daher einen Motivationsfaktor (und Demotivationsfaktor!) ersten Ranges dar.
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
© Pharma Verlag Frankfurt 

Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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