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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Körpersprache - ein Exkurs
Augen und Blick
Mund
Hände
 
Der Körper lügt nicht.  
J. Fast
Körpersprache - ein Exkurs
Die Körpersprache macht einen wesentlichen Teil der nonverbalen Kommunikation aus. Die Feststellung von WATZLAWICK: "Man kann nicht nicht kommunizieren" trifft auch für die Körpersprache zu. J. FAST über den Kommunikationszwang der Körpersprache: "Ein Mensch kann zwar aufhören zu sprechen, er kann aber nicht gleichzeitig aufhören, durch seine Körpersprache zu kommunizieren. Er muss mit seinem Körper etwas sagen, etwas Falsches oder Richtiges - aber es ist ihm unmöglich, nichts zu sagen." So haben beispielsweise Videorecorderanalysen gezeigt, dass praktisch jeder Mensch mit den Händen redet und fast niemand in der Lage ist,15 Sekunden im Gespräch ohne eine Bewegung von Hand oder Finger zu verbringen (S. MOLCHO). Wird Körpersprache bewusst unterdrückt und damit eine gewollte Sprachlosigkeit des Körpers erzeugt, wirkt das Verhalten meist unnatürlich oder gekünstelt. Ein typisches Beispiel dafür ist die mimische Starre und unnatürliche Haltung des Mannequins in der Haute Couture in ihrem Bemühen, möglichst keine emotionale Signale auszustrahlen, oder die betont statische Schauspieltechnik von Sean Connery in den James-Bond-Filmen (J. FAST).

Ebenso wie es den Zwang gibt, sich auch durch Körperbewegungen zu artikulieren, ist es andererseits nicht möglich, sich den Signalen der Körpersprache zu entziehen. Manche Menschen sind in der Lage, vom Körper ausgesandte Signale intuitiv richtig zu interpretieren, für viele ist die Körpersprache jedoch eine Fremdsprache, die zumindest in den Grundzügen erlernt werden muss, wenn auch die nonverbalen Botschaften des Gesprächspartners miterfasst werden sollen. Hier muss jedoch deutlich auf eine Grundgefahr der Interpretation von Körpersprache hingewiesen werden. BIRDWHISTELL, von dem grundlegende Arbeiten der Kinesik stammen, warnt eindringlich, dass "keine Körperhaltung oder -bewegung an sich schon eine bestimmte Bedeutung besitzt". Er weist darauf hin, dass die Interpretationen der Kinesik nur stimmen, wenn sie im Zusammenhang mit dem gesamten Verhaltensmuster eines Menschen gesehen werden. BIRDWHISTELL: "Aus der gesprochenen Sprache allein erkennen wir nie die volle Bedeutung dessen, was eine Person sagen will. Aber auch die Körpersprache alleine wird uns nie die volle Bedeutung einer Aussage vermitteln. Wenn wir bei einem Gespräch nur auf die Worte achten, erhalten wir unter Umständen einen ebenso unzutreffenden Eindruck, als würden wir lediglich auf die Sprache achten."

Obwohl die Körpersprache der Ursprung jeder Sprache ist, wurde sie erst relativ spät, insbesondere in den USA, erforscht. Die Kinesik als Teilbereich der Ausdruckspsychologie ist nicht umstritten, da sie wissenschaftlich nicht durchgängig fassbar ist. Sie wurde von dem Philosophen und Psychologen Philipp LERSCH (1893-1969) entwickelt. Der Begriff Ausdruck umfasst als übergeordnete Bezeichnung Körpersprache, emotionalen Ausdruck und stimmlichen Ausdruck. Der stimmliche Ausdruck stellt eine unmittelbare und nicht trennbare Durchdringung von verbaler und nichtverbaler Kommunikation dar: Stimme und Sprechen bilden quasi ein "Tandem" (PLOOG).

Durch Körpersprache kann die verbale Information unterstrichen, verdeutlicht und verstärkt werden. Sie kann gestisch "ausmalen" und der Bedeutung des Gesprochenen ein besonderes Gewicht beimessen. Körpersprache kann aber auch das Gesagte abschwächen, relativieren und die Bedeutung verwischen. Schließlich kann Körpersprache als Ausdrucksmittel für Inhalte gelten, die sprachlich nicht formuliert werden können, entweder weil dem Sprechenden das notwendige Vokabular nicht zur Verfügung steht, oder weil die Information an sich schwer anschaulich zu beschreiben ist. Dies gilt beispielsweise für den Versuch, bestimmte Missempfindungen deutlich zu machen. Ein typisches Beispiel dafür ist das sogenannte Levine-Zeichen: Bei der Schilderung eines Angina-pectoris-Anfalls "beschreibt" der Patient den schnürenden, drückenden oder pressenden Charakter des ischämischen Schmerzes, indem er beim Reden die geballte Faust ans untere Ende des Sternums legt. Das "Zeigefingerzeichen" beim Schildern von Herzbeschwerden ist wiederum typisch für funktionelle Herzbeschwerden, die meist als stechend und punktförmig linksthorakal lokalisiert empfunden werden.

Bei der Interpretation körpersprachlicher Signale sind ethnische Unterschiede zu berücksichtigen. Andernfalls kann es zu erheblichen Missverständnissen kommen. So wunderten sich beispielsweise die russischen Soldaten bei ihrem Einmarsch in Bulgarien, dass die Bulgaren bei allen Befehlen, die sie von ihnen erhielten, mit Kopfschütteln reagierten. Erst später erfuhren sie, dass für den Bulgaren Kopfschütteln "ja" bedeutet. Die folgenden Interpretationen der Körpersprache stützen sich im wesentlichen auf J. FAST und S. MOLCHO.



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Augen und Blick
Von allen Teilen des menschlichen Körpers, die zum Aussenden von Informationen benutzt werden, sind die Augen die wichtigsten. Sie können die subtilsten Nuancen übermitteln. Die offensichtliche Wahrnehmung eines anderen Menschen geschieht immer durch Blickkontakt. Der "leere Blick" macht den anderen zur Nichtperson. Jedes Gespräch beginnt in der Regel mit einem Blickkontakt, dem je nach Aussage und Situation weitere kurze Blickkontakte folgen. Am Ende des Satzes oder einer Satzfolge steht wieder ein "Ritualblick. In der westlichen Zivilisation dauert der Ritualblick zwischen Leuten, die sich nicht kennen, zwischen 2 und 4 Sekunden. Bei Menschen, die miteinander vertraut sind, kann er je nach Situation erheblich kürzer oder länger sein. Das Nichteinhalten des Blickkontakts kann kränkend wirken, weil der genetisch programmierte Ritualblick, der den anderen als Person anerkennt, verweigert wird (typisches Beispiel: Der Ehemann, der beim Frühstück zeitungslesend die Fragen seiner Frau wortkarg beantwortet, ohne die Augen zu heben).

Im Mittelmeerraum und in arabischen Ländern ist der Blickkontakt sehr viel länger, bei Asiaten hingegen nur sehr kurz, während beispielsweise Afrikaner während des Gesprächs überhaupt wegsehen oder erst zum Schluss Blickkontakt aufnehmen. Dauer und Intensität des Blicks können Ausdruck dafür sein, ob ein Territorialkampf stattfindet: Wer als erster die Augen niederschlägt, hat verloren. Blicke können den Gesprächsablauf wesentlich beeinflussen und stark stören. Starkes Fixieren, das den Gesprächspartner zwingen soll, sich auf uns zu konzentrieren, führt meist zum Gegenteil. Der Partner kann nicht mehr zuhören. Gerade bei intensiven Gesprächen muss der Partner immer wieder die Möglichkeit bekommen, wegzusehen. Auf der anderen Seite kann ein langes Abreißen des Blickkontakts die Fortsetzung des Gesprächs ebenfalls gefährden. Die Informationsabgabe wird dann zum einseitigen Vorgang, weil der Empfänger innerlich schon die "Flucht angetreten" hat. Dies gilt besonders für Gespräche, die für den Partner unangenehm oder peinlich sind; da er nicht mit den Beinen davonrennen kann, flieht er wenigstens mit den Augen.



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Mund
Das Zusammenpressen von Mund und Lippen drückt Ablehnung aus und signalisiert das Nicht-sprechen-Wollen. Das Herabziehen der Mundwinkel soll Missfallen oder Nichtwissen zum Ausdruck bringen.


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Hände
Nach den Augen sind die Hände das wichtigste Instrument der Körpersprache. Hier spielen die engen Wechselbeziehungen zwischen Gehirn und Hand (Denken und Handeln) eine große Rolle. Bekanntlich beanspruchen Daumen und Zeigefinger allein einen10fach größeren Hirnrindenanteil als der Fuß. Den einzelnen Fingern werden bestimmte Bedeutungen zugeschrieben:

Der Daumen gilt als Dominanzfinger, der gleichzeitig, der motorisch stärkste Finger ist. Mit dem ausgestreckten Daumen entschieden die römischen Kaiser über Leben und Tod der Gladiatoren. Im Flugverkehr bedeutet der nach oben gestreckte Daumen: o.k., startklar! Wird der Daumen mit den anderen Fingern umklammert und verborgen, so kann dies ein Zeichen von Angst und Sich-verkriechen-Wollen sein.

Der Zeigefinger ist der sensibelste Finger. S. MOLCHO bezeichnet ihn als "Besserwisser" unter den Finger. Der Zeigefinger belehrt, der gestreckte Zeigefinger droht. "Zeigefingermenschen" lösen nicht selten unangenehme Gefühle beim Gesprächspartner aus. Menschen mit sogenannter guter Erziehung verwenden statt des Zeigefingers ersatzweise Kugelschreiber, Pfeifen oder die zwischen Daumen und Zeigefinger genommene Brille.

Der Mittelfinger gilt als sogenannter "Selbstdarstellungsfinger", während der Ringfinger der Gefühlsfinger ist. Er kann sich ohne den Mittelfinger nur schwer bewegen und übt eine passive Rolle aus. Der kleine Finger wird gelegentlich als Gesellschaftsfinger bezeichnet. Das Abspreizen des kleinen Fingers war früher in den sogenannten feinen Kreisen üblich.

Die Handhaltung hat eine offenkundige Ausdrucksbedeutung. Bei der offenen Hand wird dem Gesprächspartner die Innenfläche, die doppelt so sensibel wie der Handrücken ist, zugekehrt. Wer die sensible Seite der Hand offen legt, schenkt seinem Gegenüber Vertrauen, ist friedfertig und wohlgesonnen. Die Geste des freien Gebens und Nehmens geschieht mit der offenen Hand (Ikonegraphie der Heiligenbilder, Motiv des Segnens, der Fürbitte und Darreichung). Die offene Hand signalisiert die Achtung vor dem anderen und ist gleichzeitig Angebot für eine symmetrische Wechselbeziehung. Umgekehrt wird bei der Geste der zudeckenden Hand die sensible Innenseite nach unten und der Handrücken nach oben gekehrt. Der Mensch steckt seine empfindliche Seite gegenüber der Außenwelt ab. Menschen, die im Gespräch dauernd den Handrücken zum Partner richten, schirmen sich aus Unsicherheit oder weil sie etwas verbergen wollen ab; häufig sind sie schwierige Verhandlungspartner.

Hände, die auf dem Tisch, der Sessellehne, den Schenkeln oder unter den Tisch gehalten werden, können Verdeckungstendenzen signalisieren. Gespräche, die mit ausgestrecktem Zeigefinger erfolgen, geschehen meist aus einer Dominanzposition heraus. Eine geballte Faust signalisiert bekanntlich Aggressionen oder die Bereitschaft zu kämpfen, erstaunlich oft steht dies im Gegensatz zu den verständnisvoll und entgegenkommend klingenden Worten des Gesprächspartners. Wer die offenen Hände von sich wegschiebt, drückt aus, dass er sich etwas vom Leib halten möchte. S. MOLCHO nennt dafür ein historisches Beispiel: Während des Vietnamkriegs hielt Präsident Nixon eine Fernsehansprache, in der er versuchte, die protestierende Jugend mit großen Versprechungen zu beschwichtigen. Während er sagte: "I promise you, you will get everything you want!", schob er sichtbar seine Hände nach vorne.

Die linke Hand wird häufig als Gefühlshand, die rechte Hand als Vernunftshand gedeutet. Das Bewegen beider Hände soll die Aussagen der offenen oder verdeckten Hand verstärken. Werden z.B. die Arme auf die Ellenbogen aufgestützt und die Faust in die andere Hand gelegt, so symbolisiert dies den Aufbau einer inneren Schutzmauer. Beim "Stachelschwein-Zeigen" werden die ineinanderverschränkten Finger beider Hände gespreizt und damit abwehrend die Spitzen gezeigt. Das Halten der beiden Hände in Pyramidenform kann Abwägen gemeinsamer Interessen und Bereitschaft zur Einigung bedeuten. Händereiben kann Verschiedenes ausdrücken: zur Tat schreiten, zufrieden sein, evtl. auch Schadenfreude. Das Ineinanderverflechten der Hände mit hochgereckten Daumen ist Symbol einer dominanten Stellung.

Schließlich kann auch durch das Berühren des eigenen Körpers mit den Händen etwas ausgedrückt werden: Die Hand, die zum Mund fährt, blockiert möglicherweise eine voreilige Äußerung. Die Hand, die den Nacken reibt, kann Ausdruck einer unbehaglichen Situation sein. Zupfen der Nasenspitze kann peinliche oder unrichtige Aussagen begleiten. Wird der Kopf an der Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger abgestützt, kann dies ein Zeichen der Ermüdung oder Erschöpfung sein. Wird das Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger genommen, kann dies den Versuch bedeuten, die Beobachtungsschärfe zu erhöhen (Stimulierung des aus der Akupunktur bekannten Augenpunktes?). Auf Körperhaltung, Sitzarten und Beinhaltung im Sitzen wurde im Kapitel "Die richtige Sitzordnung" Link eingegangen.

So sehr Interpretationen der Körpersprache einleuchtend sind, so sehr muss noch einmal betont werden, dass die körpersprachlichen Aussagen grundsätzlich mehrdeutig sind und eine einigermaßen zuverlässige Interpretation nur im Kontext mit anderen nonverbalen Ausdrucksformen und sprachlichen Äußerungen möglich ist. Die Treffsicherheit der Deutung wird wesentlich erhöht, wenn zwei körpersprachliche Aussagen gleichgerichtet sind. Es ist daher sicher richtig, sich das Postulat von R.H. RUHLEDER vor Augen zu halten: "Nonverbale Aussagen sind verbal zu überprüfen."
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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