Die richtige Distanz
Wenn Arzt und Patient miteinander sprechen,
sollte die
räumliche Distanz zwischen ihnen stimmen. Ist dies
nicht der Fall, so kann bei den Gesprächspartnern ein Gefühl
des Unbehagens aufkommen, das sich zu einer ernsthaften Störung des
Gesprächs entwickeln kann.
Diesem Phänomen liegt die Tatsache
zugrunde, dass es in den verschiedenen kommunikativen Situationen Distanzen
zwischen den Partnern gibt, die unbewusst im Sinne einer stillen Übereinkunft
als angemessen empfunden werden. Diese Distanzen sind abhängig von
Kulturkreis, Rasse, sozialer Schicht, Geschlecht, Alter und psychischer
Struktur. Jeder Mensch verfügt über ein "Individualrevier", das
jedoch in homogenen Menschengruppen weitgehend deckungsgleich ist. Werden
diese Distanzen verlassen, kommt es also zu deutlichen Über- oder
Unterschreitungen, können daraus erhebliche Kommunikationsstörungen
resultieren. Die Distanz zwischen Menschen besitzt immer auch eine symbolische
Bedeutung und zählt somit zu den non-verbalen Ausdrucksmitteln. Das
erfolgreiche Gespräch zwischen Arzt und Patient setzt voraus, dass
sich die Gesprächspartner in einer Distanz zueinander befinden, die
beide in der Regel unbewusst als die richtige empfinden.
Wie viel Raum braucht der Mensch?
Julius FAST, einer der großen Kenner
der Körpersprache und Autor des Buches "Body Language", schildert
eine Begebenheit, die für ihn zu einer lehrreichen Lektion in der
Körpersprache wurde. FAST saß zusammen mit einem befreundeten
Psychiater beim Mittagessen in einem Restaurant in Vis-à-vis-Position
an einem Zweiertisch. Sein Gegenüber holte eine Schachtel Zigaretten
aus der Tasche, zündete sich eine Zigarette an und legte die Schachtel
unmittelbar vor das Gedeck von FAST, während das Gespräch weiterging.
FAST fühlte sich auf eine nicht näher beschreibbare Art beunruhigt.
Diese Unruhe verstärkte sich noch, als sein Gegenüber sein Besteck
in die Nähe der Zigarettenschachtel schob. Als sich sein Gesprächspartner
dann auch noch weit über den Tisch direkt auf FAST hin vorbeugte,
fühlte sich dieser so irritiert, dass er das Gespräch unterbrechen
musste. Nun lehnte sich sein Gegenüber zurück und sagte lächelnd:
"Ich habe dir soeben eine grundlegende Tatsache der Körpersprache
demonstriert. Zunächst habe ich meine Zigarettenschachtel zu dir hingeschoben.
Aufgrund einer stillschweigenden Übereinkunft hatten wir den Tisch
vorher in Hälften geteilt, die eine Hälfte für dich und
die andere für mich. In Gedanken haben wir beide uns ein bestimmtes
Revier abgesteckt. Normalerweise hätten wir den Tisch höflich
zwischen uns geteilt und die Hälfte des anderen respektiert. Ich aber
legte meine Zigarettenschachtel ganz bewusst in dein Gebiet und brach damit
die Übereinkunft. Du wusstest zwar nicht, was ich tat, aber du fühltest
dich trotzdem unbehaglich. Als ich dem ersten Einbruch in dein Revier einen
weiteren folgen ließ und meinen Teller und das Besteck zu dir hinschob
und mich dann noch selbst über den Tisch lehnte, fühltest du
dich immer unwohler und bedrohter und wusstest immer noch nicht, warum".
Was FAST hier beschreibt, ist die klassische
Reaktion auf eine Revierbedrängung innerhalb des Individualreviers
eines Menschen. Untersuchungen über die spezifischen Raumbedürfnisse
von Menschen und die optimalen Distanzen in bestimmten kommunikativen Situationen
sind zu einer neuen Wissenschaft geworden, die Proxemik genannt
wird. Wesentliche Erkenntnisse über den persönlichen Raum
des Menschen und dessen Bedeutung stammen von E.T. HALL, Professor für
Anthropologie. HALL unterscheidet 4 Distanzzonen, innerhalb deren
die meisten Menschen kommunizieren:
-
die intime Distanz,
-
die persönliche Distanz,
-
die gesellschaftlich-wirtschaftliche Distanz
(Wahrnehmungsdistanz),
-
die öffentliche Distanz.
Das Phänomen der Existenz dieser 4 Distanzzonen
erklärt gut, warum Menschen in bestimmten Situationen eine bestimmte
Distanz zum Gegenüber oder einer Gruppe von Menschen als richtig oder
störend empfinden (Tab.).
Distanzen der 4 Raumzonen
(nach R.H. RUHLEDER)
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- |
- |
- |
mehr introvertierte Menschen |
mehr extrovertierte Menschen |
unbekannte Personen |
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- |
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Intimdistanz |
0,40 m - 1,50 m |
0,30 m - 0,50 m |
bis 0,50 m |
persönliche Distanz |
1,50 m - 2,00 m |
0,40 m - 1,50 m |
0,50 m - 1,50 m |
gesellschaftlich-wirtschaftliche
Distanz |
2,00 m - 4,00 m |
1,50 m - 3,00 m |
1,50 m - 3,00 m |
Ansprachedistanz |
ab 4,00 m |
ab 3,00 m |
ab 3,00 m |
- |
- |
- |
- |
Wie ersichtlich, werden die Distanzzonen um
so größer, je weniger vertraut das Gegenüber ist. Die Existenz
derartiger Distanzzonen macht es verständlich, warum wir in einem
vollen Aufzug den dringenden Wunsch haben, wieder rasch auszusteigen, weshalb
ein Abstand von etwa 4 m zwischen Lehrer und Schulklasse von beiden als
richtig empfunden wird, warum es in arabischen Ländern selbstverständlich
ist, wenn 2 Männer einander beim Gehen den Arm auf die Schulter legen,
und warum dies bei 2 deutschen Männern in Osnabrück leichtes
Erstaunen hervorrufen würde und warum Karl der Große seinen
Thron im Aachener Dom so hoch bauen ließ, dass kein Vertreter Roms
höher sitzen konnte als er. Für Westeuropäer gelten folgende
Regeln für die verschiedenen Distanzen:
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Abb.: Distanzzonen für
nicht näher bekannte Personen (nach R.H. RUHLEDER) |
Die intime Distanz
Die nahe intime Distanz ist die
akzeptierte körperliche Distanz zwischen sehr eng befreundeten Menschen,
Liebespaaren, Kindern und Eltern sowie zwischen Ehepartnern. Im westlichen
Kulturkreis wird die nahe Distanz zwischen Frauen gesellschaftlich akzeptiert,
nicht aber zwischen Männern.
Im arabischen Kulturkreis und in bestimmten
südeuropäischen Ländern ist die nahe intime Distanz auch
zwischen Männern gang und gäbe.
Männer empfinden die weite
intime Distanz, wenn sie sich nicht sehr gut kennen, außer beim
Händedruck als peinlich und reagieren mit Unsicherheit und Unruhe.
In der intimen Distanz wird nur ein flüchtiger neutraler Blickkontakt
als angemessen toleriert. Ein längerer Blickkontakt (mehr als etwa
3 Sekunden) wird in diesem Abstand als aufdringlich oder Zumutung empfunden;
er löst das Gefühl des Angestarrtwerdens aus und kann zu aggressiven
Ausbrüchen führen.
Geraten Menschen, die einander fremd sind,
gezwungenermaßen in die nahe intime Distanz (Fahrstuhl, überfüllte
Verkehrsmittel, Gedränge bei öffentlichen Veranstaltungen), so
löst dies deutlich Unbehagen, u.U. Unruhe und Aggressionen aus. Möglicherweise
werden Gewalttätigkeiten in Fußballstadien durch das Zusammendrängen
von Menschen in die nahe intime Distanz gefördert.
Die persönliche Distanz
In der nahen persönlichen Distanz
haben die Partner immer noch die Möglichkeit, sich die Hand zu geben.
Es ist die typische Distanz von Cocktailparties oder zwischen Ehepaaren
in der Öffentlichkeit.
Die weite persönliche Distanz
markiert die äußerste Grenze des persönlichen Dominanzbereiches.
Es ist der Abstand, den Menschen in der Regel unwillkürlich, z.B.
bei Begegnungen auf der Straße, einnehmen, wenn sie ein Gespräch
suchen, sich jedoch nicht sehr vertrauliche Dinge mitteilen wollen. Die
Botschaft dieser Distanz ist eine offene und neutrale Gesprächsbereitschaft.
Die weite persönliche Distanz (90 bis 150 cm) ist die Entfernung,
in der Arzt und Patient miteinander sprechen sollten. Es ist der Abstand,
der sich für Gespräche im Sitzen am besten bewährt hat.
Das gleiche gilt, wenn der Arzt sich mit dem Patienten, der im Bett liegt
unterhält. Das Gespräch bei der Visite vom Fußende des
Bettes her zeigt, dass der Arzt sich bereits außerhalb der persönlichen
und in der sogenannten gesellschaftlichen Distanz befindet, die für
ein vertrauliches Gespräch nicht mehr geeignet ist. Auch die meisten
technischen, nichtinvasiven und invasiven Untersuchungen (Sonographie,
Endoskopie, Katheteruntersuchungen) werden in der persönlichen Distanz
durchgeführt. Der Patient, der 3 m entfernt vor seinem Arzt auf eine
Sitzgruppe verbannt wird, befindet sich in einer kommunikativ problematischen
Situation, ähnlich wie der vom Computertomographen umschlossene Kranke,
der keinen Arzt in seiner Nähe ausmachen kann.
Die gesellschaftlich-wirtschaftliche
Distanz
Die entfernte Phase der gesellschaftlichen
Distanz gilt vor allem für offizielle gesellschaftliche oder geschäftliche
Anlässe. Sie ist in gewisser Weise eine schützende Distanz. Bei
dieser Entfernung ist dauernder Blickkontakt erwünscht.
Ein lediglich kurzer flüchtiger Blickkontakt
würde vom Partner als ungehörig empfunden, solange man spricht.
Viele Vorgesetzte nehmen bei Kritikgesprächen statt der persönlichen
die gesellschaftlich-wirtschaftliche Distanz ein. Die weite gesellschaftliche
Distanz gibt auch die Möglichkeit, auf höfliche Art zu zeigen,
dass man keine Kommunikation wünscht: Sie erlaubt es beispielsweise
der Empfangsdame, sich vom wartenden Besucher wieder abzuwenden und weiterzuschreiben.
Die öffentliche Distanz (Ansprachedistanz)
In der nahen öffentlichen Distanz
von 4 bis 8 m befindet sich beispielsweise der Lehrer, der eine Schulklasse
unterrichtet, der Vorgesetzte, der eine Ansprache an seine Mitarbeiter
hält oder mit einer überschaubaren Gruppe im Betrieb spricht.
Es ist die notwendige Distanz bei Vorträgen, weil der Redner erst
bei diesem Abstand den gesamten Zuhörerkreis im Blickfeld behalten
kann.
Interessanterweise halten sich auch bestimmte
Tierarten dem Menschen gegenüber an die nahe öffentliche Distanz
und lassen ihn nur bis auf diese Entfernung herankommen. Kommt der Mensch
näher, weichen sie zurück, fliehen oder gehen zum Angriff über.
Diese Eigenschaft machen sich Dompteure in der Manege zunutze. Der Dompteur
geht geradewegs auf den Löwen zu. Sobald er sich ihm mehr als 4 -
6 m nähert, weicht der Löwe so lange zurück, bis ihn die
Gitterstäbe des Käfigs hindern. Nähert sich der Dompteur
weiter, geht nunmehr der Löwe auf den Dompteur zu. Der Dompteur nutzt
die Situation und stellt das für den Löwen bestimmte Podest zwischen
sich und das Tier. Um auf kürzestem Weg an den Dompteur heranzukommen,
muss der Löwe auf das Podest klettern. In diesem Augenblick entfernt
sich der Dompteur schnell aus der öffentlichen Distanz und hat den
Löwen genau dort, wo er ihn haben wollte.
Raumfassung und -bedürfnis sind
in verschiedenen Kulturen teilweise völlig verschieden. So neigen
beispielsweise Japaner dazu, sich auf allerkleinstem Raum zusammenzudrängen,
ein Verhalten, das sich sehr gut an japanischen Reisegruppen studieren
lässt. Interessanterweise gibt es im Japanischen keinen äquivalenten
Begriff für das deutsche Wort "Privatsphäre". Auch Araber lieben
es, sich auf engstem Raum zu versammeln. Die relativ große private
"Distanzblase" des Europäers, insbesondere des Deutschen, ist ihnen
völlig fremd. Araber mögen ausgesprochen Enge, Drängeln
und körperliche Nähe; dieses spezifische Distanzverhalten trägt
wesentlich zum Flair orientalischer Basare bei. Die sprichwörtlich
"unfreundliche Haltung" des New Yorkers in seiner völlig übervölkerten
Stadt hat wahrscheinlich in Wirklichkeit nichts mit Unfreundlichkeit zu
tun. Um die Privatsphäre nicht zu verletzen, ignoriert er sozusagen
die Leute in der U-Bahn und im Straßengedränge.
Das Einhalten einer bestimmten Distanz
zum anderen besitzt demnach den Charakter einer nichtverbalen Botschaft.
Voraussetzung ist, dass die Kommunikationspartner das gleiche Raumbedürfnis
haben. Ist dies nicht der Fall, so kann es rasch zu Missverständnissen
kommen. Der angemessene Gesprächsabstand zwischen Fremden ist bei
Mittelmeervölkern und Südamerikanern deutlich geringer als in
Westeuropa und Nordamerika. Der Grieche oder Türke, der mit einem
Deutschen oder Franzosen sprechen will, wird einen kürzeren Abstand
zu seinem Gesprächspartner einnehmen, als wenn 2 Deutsche oder 2 Franzosen
miteinander sprechen. Ein Deutscher, mit dem ein Türke spricht, kann
dann leicht das Gefühl der Aufdringlichkeit bekommen und wird dann
unbewusst etwas zurückweichen, um die für ihn richtige Distanz
einzunehmen, was ein Türke oder Grieche wiederum als Herabsetzung
oder Ausweichen empfinden könnte.
Die richtige Sitzordnung
Die meisten Gespräche zwischen Arzt und
Patient werden im Sitzen geführt. Gespräche im Stehen,
auf Fluren oder zwischen Tür und Angel sollten, wenn irgend möglich,
vermieden werden. Bei Krankenhausvisiten steht der Arzt meistens innerhalb
der sogenannten weiten persönlichen Distanz am Krankenbett. Für
den Gesprächsablauf günstiger (und für den Visitierenden
weniger ermüdend) ist es, sich an das Bett des Patienten zu setzen.
Damit wird auch der ungünstige Höhenunterschied zwischen dem
stehenden und dem liegenden Gesprächspartner als äußeres
Symbol der Gesprächsasymmetrie verringert. Visitengespräche vom
Fußende des Bettes aus sind ungünstig, weil sich die Gesprächspartner
bereits in der gesellschaftlichen Distanz befinden.
Die richtige Sitzordnung trägt nicht
unwesentlich zum Klima eines Gesprächs bei. Der Pantomime Samy MOLCHO
nennt das Sitzen "eine ideale Position für kommunikativen Austausch."
MOLCHO: "Sitzen ist eine Körperhaltung, die dem Organismus Entspannung
und Entlastung gewährt ... der Körper ist dabei imstande, ohne
ständige Anspannung des gesamten Muskeltonus Aktivitäten auszuführen,
in einer weiten Skala von Bewegungen und Gesten zu agieren, eine Fülle
von Signalen zu geben, die fast den gesamten Code gesellschaftlicher Verständigung
durchlaufen." Im Sitzen nehmen die Gesprächspartner eine feste räumliche
Position zueinander ein, die für ihre Beziehung im Gespräch von
nicht unerheblicher Bedeutung ist. Die Entfernung zwischen den Sitzenden
ist auch Ausdruck ihrer persönlichen Distanz. Sie bestimmt ferner
die notwendige Lautstärke beim Sprechen, die Möglichkeiten gegenseitiger
Beobachtung und die Modalitäten des Blickkontakts. Der gewählte
"Sitzcode" hat Symbolcharakter, den die Gesprächspartner meist unbewusst
richtig deuten.
Die Sitzhöhe der Gesprächspartner
sollte gleich sein. Sitzt der Gesprächspartner am Schreibtisch und
platziert sein Gegenüber in einen tiefen Sessel, so kann dies ein
Gefühl der Unterlegenheit auslösen.
Die optimale Gesprächsdistanz beträgt
90 - 150 cm. Die Entfernung kann durch Händegeben noch überbrückt
werden. Auch die erforderliche Lautstärke beim Sprechen reicht für
problematische oder heikle Themen aus, ohne dass die Gefahr besteht, dass
andere in angrenzenden Räumen mithören können. Bei Gesprächen
mit mehreren Personen (z.B. Angehörigen) ist die gesellschaftliche
Distanz (2 - 3 m) am günstigsten.
Der Tisch, an dem die Gesprächspartner
sitzen, sollte nicht breiter als 80 -100 cm sein. Für das Gespräch
zwischen Arzt und Patient kommen 2 Sitzpositionen in Frage: Das Sitzen
vis à vis und das Sitzen über Eck (siehe Abbildung).
Abb.: Sitzen vis à
vis - Sitzen über Eck
Das Sitzen vis à vis zeigt
an, dass man sich ganz seinem Gesprächspartner widmet und sich voll
auf ihn konzentriert. Dennoch wird diese Sitzposition nicht von allen Gesprächspartnern
als angenehm empfunden. Manche Menschen fühlen sich zu direkt mit
ihrem Gesprächspartner konfrontiert. Nicht umsonst wird diese Sitzposition
von Behördenbeamten gewählt, um das Publikum "abzufertigen."
Nimmt der eine Gesprächspartner dann noch Papiere, Schriftstücke
oder Röntgenfilme in die Hand, können diese wie eine Barriere
wirken. Die Gegenüberform des Sitzens ist auch die typische Sitzordnung
für das "Vorgesetztengespräch."
Das Sitzen über Eck in einem
Winkel zwischen 90 und 150 Grad bietet einige Vorteile. Der manchmal unvermeidbare
"frontale Einschüchterungscharakter" der Gegenüber-Sitzposition
wird vermieden. Beim Sitzen über Eck ist durch die Variabilität
des Winkels zwischen den Gesprächspartnern eine bewegliche Gesprächssituation
gegeben. Eine derartige "schräge Schreibtischsituation" (Sprechsituation
über die linke Schreibtischecke) erlaubt es dem Gesprächsführenden,
sich Notizen zu machen und Unterlagen anzusehen, ohne sie direkt zwischen
sich und seinen Gesprächspartner halten zu müssen. Ferner lassen
sich bei dieser Sitzposition leichter Gesprächspausen einlegen. Änderungen
der Position der Gesprächspartner werden nicht so stark wie bei der
reinen Gegenüber-Sitzposition als Abwendung empfunden. Schließlich
lässt sich die Gesprächsdistanz etwas variieren. Über- oder
Unterschreitungen der Distanz von 90 -150 cm sollten jedoch möglichst
vermieden werden. Größere Distanzen werden als "Distanziertheit"
und mangelnde Zuwendung interpretiert, ein geringerer Abstand kann als
Einbruch in die intime Distanz empfunden werden und Unbehagen oder Aggressionen
auslösen.
Es gibt Ärzte, die sich gemeinsam
mit ihrem Patienten vor ihren Schreibtisch setzen. Diese Sitzposition
drückt den Wunsch aus, auch räumlich zu signalisieren, dass keine
Asymmetrie zwischen Arzt und Patient besteht. Von vielen Patienten wird
diese Sitzhaltung auch in diesem Sinne empfunden. Der Nachteil dieser Sitzordnung
besteht darin, dass der Arzt sich kaum schriftliche Notizen anfertigen
kann und dass manche Patienten das direkte Gegenübersitzen als zu
intime Sitzposition empfinden.
Sitzhaltungen
Die Sitzhaltung eines Gesprächspartners
ist Teil seiner Körpersprache und damit auch Bestandteil des Gesprächs.
Die Art, wie jeder sitzt, erlaubt Rückschlüsse auf seine augenblickliche
Stimmung, seine innere Verfassung, sein Wesen und seine Einstellung zum
Gesprächspartner. S. MOLCHO analysiert die Ausdrucksbedeutung der
Sitzhaltung folgendermaßen:
-
Haltung des Oberkörpers: Aufrechte,
gestraffte Haltung signalisiert Dynamik und Vitalität, ein zusammengesunkener
Oberkörper Antriebsmangel und evtl. depressive Verstimmung. Die Neigung
des Oberkörpers zum Partner spiegelt ein Interesse am Gegenüber
wider und gilt als Einladung zum Dialog, ein zurückgelehnter Oberkörper
bedeutet Skepsis, Abneigung oder innere Ablehnung. Dabei können jedoch
Körpersprache
und Wörtersprache einander widersprechen: Einer, der verbal
zustimmt und sich dabei zurücklehnt, distanziert sich von seinen eigenen
Worten. Im Zweifelsfall gilt die Regel: Der Körper lügt nicht.
-
Vorsichtiges Sitzen auf der Stuhlkante
signalisiert
Zeitmangel oder Auf-dem-Sprung-Sein. Es kann sich auch um Zeichen der Unterwürfigkeit
und Unsicherheit handeln oder den Wunsch zum Gesprächsabbruch signalisieren.
Das starke Zurücklehnen und Wippen auf den Hinterbeinen des
Stuhls entspricht dem Rückzug in die Position des Beobachters und
eine abwartende Haltung. Kurzes Anheben oder Zurechtrücken des
Sitzes ist Zeichen des Unbehagens und ein Körpersignal des Gesprächspartners,
dass er am liebsten gehen möchte.
-
Der Beinhaltung im Sitzen kommt ebenfalls
eine Ausdrucksbedeutung zu. Werden die Füße an den Knöcheln
übereinandergeschlagen, so kann dies Zurückhaltung, innere Spannung
und Gefahr bedeuten. Umschlingen die Füße die Stuhlbeine, so
ist dies Ausdruck einer starren, unnachgiebigen Position, während
locker übereinandergeschlagene Beine für Aufgeschlossenheit,
aber auch eine gewisse Reserve sprechen. Ein offener, legerer Sitz mit
vorgestrecktem Bein demonstriert Vertraulichkeit, aber auch territoriale
Ansprüche, ein breiter Sitz mit quergelegtem Schienbein eine schützende
Barriere. Sitzen 2 Personen mit übergeschlagenen Beinen nebeneinander
und zeigen die Fußspitzen zueinander, ist dies ein Zeichen von Kontaktsuche
und Zuwendung, während einander abgewandte Fußspitzen Differenzen
und Abstand signalisieren.
-
Als Haltung, des "braven Kindes", hinter dem
sich nicht selten Verkrampfung, Unsicherheit und Ängste verbergen,
gilt vor allem bei Frauen das aufrechte Sitzen mit geschlossenen Knien
und Fußknöcheln, vielleicht noch mit einer Handtasche auf dem
Schoß.
Es muss jedoch berücksichtigt werden,
dass bei der Interpretation von Körpersprache sich Regeln finden
lassen, die für viele Menschen zutreffen, keineswegs aber für
jeden gelten. Alle starren, "Wenn-dann-Auslegungen" (wenn sich jemand an
die Nase fasst, dann ist er verlegen) können auch zu Fehlinterpretationen
führen. Erst das synchrone Erfassen und Analysieren verbaler und nichtverbaler
Kommunikationsformen erlaubt es am ehesten zu verstehen, welche Botschaften
in Wirklichkeit vom Gesprächspartner ausgehen (siehe auch Kapitel
"Körpersprache" ).
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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