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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Verständliche und erfolgreiche Sprache 
Verständlichkeit
Das sprachliche Bild
Sprachstil
 
Wenn die Sprache nicht stimmt,
dann ist das, was gesagt wird,
nicht das, was gemeint ist.
Konfuzius
Verständliche und erfolgreiche Sprache
Was sagen Ihnen die folgende Zeilen? "Die genaue Analyse zeigt, dass letztlich nur wenige Möglichkeiten übrigbleiben. Strenggenommen handelt es sich um drei essentielle Punkte: 1. die Bereitschaft zur Akzeptanz von Aussagen und Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt nicht endgültig überprüfbar ist, 2. eine Grundhaltung, die durch einen Trend zu positiven Perspektiven gekennzeichnet ist, schließlich 3. die Fähigkeit zu intensiver emotionaler Zuwendung. Letztere dominiert unter den genannten Möglichkeiten."

Haben Sie die Aussage verstanden? Wahrscheinlich nicht. Sie lässt sich aber ohne weiteres in eine Sprache kleiden, die jeder verstehen kann: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen." (1. Korintherbrief 13,13). Diese Formulierung enthält alle sprachlichen Elemente, die dem Verständnis dienen, denn diese Sprache ist:

  • einfach,
  • kurz,
  • anschaulich,
  • geordnet,
  • verwendet bekannte Worte.
Im übrigen ist die Bibel, insbesondere das Neue Testament, ein exzellenter Lehrtext für klare, verständliche und überzeugende Sprache.


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Verständlichkeit
Verständlichkeit ist die Voraussetzung des erfolgreichen Gesprächs zwischen Arzt und Patient. Der Arzt denkt, lebt und bewegt sich in einer eigenen Sprache, die zudem Ausdruck seiner "Wirklichkeit" ist. Darin liegt eine Quelle zahlreicher kommunikativer Störungen, vom einfachen Missverständnis bis zum völligen Nichtverstehen und Nichtverstandenwerden. Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass sich der Arzt häufig im guten Glauben befindet, von seinem Patienten verstanden worden zu sein. Spätere kritische Äußerungen des Kranken, wie "Darüber hat der Arzt mit mir nicht geredet ...", "Ich weiß eigentlich gar nicht, was der Arzt gewollt hat ...", sind für den Arzt dann völlig überraschend. Eine der entscheidenden Kontrollfragen beim sogenannten unbefriedigenden Gespräch muss daher für den Arzt lauten: Habe ich eine Sprache benutzt, in der mich mein Patient überhaupt verstehen konnte?

Verständliches Sprechen ist sowohl eine Frage der Sachinhalte als auch des Sprachstils. SCHULZ VON THUN unterscheidet 4 "Verständlichmacher" beim Sprechen:

  • Einfachheit,
  • Gliederung und Ordnung,
  • Kürze und Prägnanz,
  • zusätzliche Anregung (Stimuli).
Was bedeutet dies im einzelnen?
 

Einfachheit:

Die einfache Sprache verwendet kurze Sätze und bekannte Wörter. Wo Fachwörter unvermeidbar sind, müssen sie erklärt werden. Anschauliches Sprechen erhöht die Verständlichkeit. Wenn der Arzt mit seinem Patienten wie ein "normaler Mensch" redet, wird er besser verstanden werden und besser motivieren können, als wenn er sich einer "Gelehrtensprache" bedient.

Einfach zu sprechen ist ebenso schwierig wie einfach zu schreiben. Großartige Reden oder "Fachchinesisch" gehen leichter über die Lippen. Der großartige Stil ist aber voller Schlupfwinkel. Damit eröffnet er Möglichkeiten, in einer unbestimmten Distanz zum Gesprächspartner zu bleiben und sich nicht wirklich auf ein Gespräch einzulassen Nur eindeutige Sachverhalte lassen sich in einfacher Sprache ausdrücken. Verquastes Reden ist daher häufig auch ein Indiz für nebulöse Denkinhalte. Schließlich dient Einfachheit nicht nur dem besseren Verständnis, sondern die einfache Sprache wirkt auch echt und damit vertrauengewinnend.
 

Gliederung und Ordnung:

Diesem Gebot gehorcht eine Sprache, die äußerlich übersichtlich und innerlich folgerichtig ist. Ludwig REINERS sagt: "Der Mensch kann nicht zwei Gedanken auf einmal aussprechen, also muss er sie hintereinander anordnen." Und was SCHOPENHAUER über das Schreiben ausführt, gilt ebenso für das Sprechen: "Wenige schreiben, wie ein Architekt baut, der zuvor einen Plan entworfen und bis ins Einzelne durchdacht hat; vielmehr die meisten nur so, wie man Domino spielt."

Typisch dafür ist das sogenannte assoziative Reden: Die Satzfolge wird nicht von gedanklichen Zusammenhängen bestimmt, sondern von assoziativ produzierten Einfällen. Der Hang zum assoziativen Reden ist keinesfalls eine seltene sprachliche Unart, sondern die Neigung fast aller Menschen. Assoziatives Sprechen führt zu langatmigen Ausführungen, die frühzeitig ein Abschalten des Gesprächspartners bewirken.
 

Kürze und Prägnanz:

Kürze bedeutet sowohl sprachliche als auch sachliche Kürze. Sich kurz auszudrücken, bereitet den meisten Menschen Schwierigkeiten und ist ohne Übung und Sprachdisziplin kaum zu erreichen. Selbst GOETHE schrieb an seine 18jährige Schwester: "Da ich keine Zeit habe, Dir einen kurzen Brief zu schreiben, schreibe ich Dir einen langen ...".

Das Extrem sprachlicher Knappheit ist das Telegramm, das Extrem sachlicher Kürze der Aphorismus. Natürlich eignen sich beide Extreme nicht für das Gespräch zwischen Arzt und Patient: Der Telegrammstil wirkt unpersönlich und vernachlässigt die kontaktive Funktion der Sprache, der Aphorismus kann durch die Dichte der Aussage zur Überforderung führen.
 

Die Forderung muss daher lauten: Sätze von überschaubarer Länge und einem Informationsgehalt, der der Auffassungsgabe und dem Aufnahmevermögen des Patienten entspricht.

Kürze bedeutet auch, dass die Satzfolgen nicht zu umfangreich werden. Untersuchungen haben ergeben, dass der nichttrainierte Zuhörer sich an den Inhalt von Satzfolgen, die länger als 40 Sekunden dauern, nicht erschöpfend erinnern kann. Kürze bedeutet daher auch, viele Informationen mit wenigen Worten zu geben, aber nicht zu viele Informationen nacheinander.

Kürze darf jedoch nicht auf Kosten der nicht sachbezogenen Botschaften des Sprechens gehen, d.h. die kontaktiven und selbstdarstellenden Anteile auf Null absinken lassen. Der Telegrammstil ist zwar vom Informationsgehalt hochkonzentriert, unter informationstheoretischen Aspekten nicht optimal.

Redundanzen sind informationstheoretisch weglassbare Elemente einer Nachricht, weil sie keine zusätzliche Information liefern. Dennoch sind sie notwendig, weil sie zur Stützung und Sicherung der Grundinformationen beitragen. Da höchstens ein Drittel des einmal Gesagten erinnert werden kann, sind Redundanzen beim Sprechen in einem gewissen Umfang unerlässlich.
 

Zusätzliche Anregungen (Stimuli):

Sprachliche Bilder und Vergleiche unterstützen wesentlich die Anschaulichkeit des Gesagten. Sie sind ein wichtiges rhetorisches Stimulans und sozusagen das Salz in der Suppe der Information. So sagt GOETHE: "Gleichnisse dürft Ihr mir nicht verwehren, ich wüsste mich sonst nicht zu erklären".
 



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Das sprachliche Bild
Die meisten Menschen sind Augenmenschen. Daher ist die Umgangssprache voller Bilder, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind: "Ich möchte Ihnen reinen Wein einschenken ...", "Die Idee wurde mit offenen Armen aufgenommen".

Das Sprechen in Bildern und Vergleichen ist eine wirkungsvolle Methode, sich durch Anschaulichkeit besser verständlich zu machen. Die Sprache der Medizin steckt voller abstrakter Begriffe. Gerade deshalb bietet sich im Gespräch zwischen Arzt und Patient die Verwendung von Bildern und Vergleichen als "Verständlichmacher" an.

Die Evangelien des Neuen Testaments (in der LUTHER-Übersetzung) sind eine Fundgrube für die Wirkungskraft von sprachlichen Bildern und Gleichnissen. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf lässt sich sprachlich kaum prägnanter als bei Matthäus darstellen (Matthäus 18,12-14): "Was meint Ihr? Wenn irgendein Mensch 100 Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: Lässt er nicht die 99 auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte?"

Diese Textstelle ist im übrigen auch ein gutes Beispiel dafür, dass die in eine Frage gekleidete Aussage ein wirksames Instrument der Überzeugung ist. Von Jesus heißt es im Neuen Testament: "... und ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen ..." Und bereits in den Psalmen steht: "Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will aussprechen, was verborgen war ..." (Psalm 78,2).

Die Verwendung sprachlicher Bilder und Vergleiche lässt sich nur begrenzt lehren. Es gibt jedoch zwei Möglichkeiten, dem eigenen Sprachstil im Umgang mit Patienten mehr Anschaulichkeit zu verleihen:

  1. Prüfen Sie systematisch, ob abstrakte Begriffe nicht besser durch ein Bild oder ein Vergleich aus der Alltagssprache ersetzt werden können.
  2. Prüfen Sie, welche der von Ihnen verwendeten Bilder und Vergleiche sich als erfolgreich erwiesen haben, und verwenden Sie sie häufiger im Gespräch mit Ihren Patienten.
Dazu ein Beispiel aus dem klinischen Alltag:
Bei Erkrankungen ohne subjektive Beschwerden fällt es bekanntlich besonders schwer, Patienten von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen. Die häufigsten Gegenargumente lauten: "Ich spüre ja nichts ..." oder "Bisher ist alles gutgegangen ..." Hier lässt sich mit folgendem Vergleich argumentieren: "Was Sie sagen, erinnert mich an den Mann, der vom Dach eines Hochhauses fällt und im Sturz den Leuten im 1. Stock zuruft: ,Ich weiß gar nicht, warum die Menschen sich fürchten, abzustürzen. Bis jetzt ist alles prima gegangen!‘"
 
Schaubild Neben dem sprachlichen Bild, Beispielen, Vergleichen und sparsam verwendeten Zitaten zählen Skizzen, Schaubilder oder Piktogramme zu den weiteren Stimuli, die in der Lage sind, die Verständlichkeit zu erhöhen. Sie stellen Gesprächshilfen dar, sollten also nicht zum Gesprächsersatz werden und bedürfen immer der Erläuterung. Wahrscheinlich nutzen Ärzte die Möglichkeit zu selten, dass auch der Patient sich dem Arzt durch eine Zeichnung oder eine Skizze besser verständlich machen kann. Einer meiner Patienten mit schwerer Belastungs-Angina-pectoris konnte seine überwiegend in den Rücken ausstrahlenden Schmerzen am besten anhand einer Skizze verdeutlichen.

Der hohe Symbolgehalt, den von Patienten gezeichnete Bilder besitzen, vermitteln manchmal in überaus beeindruckender Weise Bilder von Krebspatienten. Tumorpatienten haben nicht selten große Schwierigkeiten, ihre wirklichen Empfindungen sowie ihre Auffassung und ihr Verständnis von ihrer Krankheit und die Beziehung zu ihr zu verbalisieren.

Noch so einfache und unkünstlerisch wirkende Zeichnungen und Bilder ermöglichen manchmal überwältigende Einblicke in die Gefühls- und Erlebniswelt des Kranken, die er sprachlich nicht annähernd so deutlich darzustellen vermag (siehe auch Kapitel "Gespräche mit Todkranken und Sterbenden" Link).



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Sprachstil
Der Sprachstil muss die Individualität des Patienten berücksichtigen: Alter und Geschlecht, Beruf, Bildungsniveau, sozialen Status, Rollenverständnis und Kulturkreis. Eine spezifische Bedeutung kommt der aktuellen medizinischen Situation zu.

Die Beachtung des Sprachstils beim Patienten ist für das gegenseitige Verstehen und das Begreifen seiner Welt- und Gesellschaftswirklichkeit von Bedeutung. So weist bereits Wilhelm von HUMBOLDT darauf hin, dass Unterschiede im Sprachstil nicht nur von Sprachbeherrschung, Begabung oder intellektuellen Fähigkeiten abhängen, sondern von der Ganzheit des Menschen bestimmt werden.

Dass die gleichen Worte je nach dem Lebensalter dessen, der sie verwendet, völlig unterschiedliche Bedeutung besitzen können, lässt sich sehr schön am Beispiel der Jugendsprache aufzeigen, in der "arbeiten" nicht Broterwerb, sondern küssen oder knutschen bedeutet, "ätzend" nichts mit Chemie zu tun hat, sondern der Begriff für alles Schlimme, Üble darstellt, als "abgebaggert" jemand bezeichnet wird, der körperlich und seelisch am Ende ist, und jemand über 30 in die Kategorie der "Grufties" gezählt wird.

Sprachbesonderheiten, die für bestimmte Berufsgruppen typisch und dort auch akzeptabel sind, haben im Gespräch zwischen Arzt und Patient keinen Platz. Gerade die Technisierung der modernen Medizin verleitet leicht dazu, Begriffe aus der Technikersprache, wie "umprogrammieren", "abchecken", "Therapiekurs fahren", "Batteriewechsel", zu verwenden.

Ein anderes Extrem ist eine überzogen psychologisierende Diktion, in der dann von "zielorientierter Kommunikation mit erotischer Komponente und Tendenz zu emotioneller Fixierung" statt von "flirten" gesprochen wird. Eine meiner Patientinnen, an deren Bett sich die zugezogene Psychotherapeutin lang und breit über das "starke Über-Ich" verbreitete, konnte schließlich nicht anders als mit der erlösenden Feststellung zu reagieren (um endlich auch einmal zu Wort zu kommen): "Sie haben völlig recht, Frau Doktor, manchmal kommt es ganz stark über mich."

Die soziale Wirklichkeit bestimmter Menschengruppen prägt ihren Sprachstil oder Code. Code bedeutet eine für bestimmte Gruppe von Menschen determinierte Weise, Vorstellungen sprachlich auszudrücken. Codes sind daher "Soziolekte". Nach BERNSTEIN (zit. nach R. LAY) können 2 Sprechmuster (Codes) unterschieden werden:

  • ein entwickeltes Sprechmuster (elaborated code = EC) und
  • ein beschränktes Sprechmuster (restricted code = RC).
Hinsichtlich des Sprachverhaltens unterscheiden sich EC und RC folgendermaßen:
  • Im EC wirkt die Sprache weniger stereotyp, die Ausdrucksweise ist differenzierter;
  • im EC gelingt es leichter, individuelle Ansichten und Wertungen auszudrücken;
  • im EC werden logische und sachliche Beziehungen ausdrücklich herausgestellt;
  • im EC werden Über- und Unterordnungen sprachlich prägnant wiedergegeben.
Den verschiedenen Sprechmustern können - zumindest statisch gesehen - bestimmte soziale Verhaltensweisen zugeordnet werden:
  • Dem RC entspricht eine mehr konventionelle, eher status- als personenorientierte Verhaltensweise;
  • dem RC entspricht die Neigung, an erworbener Meinung stur festzuhalten;
  • dem RC entspricht die Tendenz, mehr von Ängsten als von Schuldgefühlen bestimmt zu werden:
  • dem RC entspricht eine mehr konservative als radikale Neigung.
In Deutschland verwenden schätzungsweise 90% der Erwachsenen einen EC. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der RC als "minderwertig" eingestuft werden darf. Beide Codes sind als gleichgeordnete und gleichwertige Sprachstile anzusehen. Intelligenz und Emotionalität können bei ihren Benutzern gleichwertig entwickelt sein. Der Benutzer eines EC erlernt allerdings in der Regel frühzeitig auch einen RC, während dies umgekehrt praktisch nie der Fall ist.

Einen Sprachstil sollte der Arzt im Umgang mit seinen Patienten besonders vermeiden: den Sprachstil vieler Politiker, der gekennzeichnet ist durch die vollmundige und langatmige Formulierung von Null- oder Minimalinformationen. Die nachfolgende Kostprobe verdeutlicht diesen Sprachcode am besten (Interview im Februar 1985 mit dem Senator für Umweltschutz einer deutschen Großstadt anlässlich beträchtlicher Arsenfunde).
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
© Pharma Verlag Frankfurt 

Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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