Start  <  Artikelübersicht  <  Linus S. Geisler: NUR EIN KLEINER SCHRITT FÜR EIN SCHAF. FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 29.01.1998
Download / Druck: PDF-Version (10 kb) PDF-Version
Nur ein kleiner Schritt für ein Schaf

Über die Gier von Forschern, die Menschen als frei manipulierbare Biomasse begreifen / Von Linus S. Geisler

»Keiner von ihnen hat die Leidensgeschichte meiner Patienten erlebt«, beklagte sich James Grifo, leitender Fortpflanzungsendokrinologe am New Yorker University Medical Center mit Blick auf die Mitglieder der amerikanischen Bioethik-Kommission. Wer Ärzten grundsätzlich verbieten wolle, Menschen zu klonen, fuhr Grifo fort, vernachlässigt »die Interessen ihrer Patienten.« So hören sich Appelle klongläubiger Reproduktionsmediziner an.

In Ira Levines Bestseller Die Boys von Brasilien (1976), versucht der KZ-Arzt Josef Mengele Klone von Hitler großzuziehen. Das ist nur einer der Alpträume, die die Science-Fiction-Literatur zum Thema Klonen heraufbeschwört. Dennoch würde sich nach Umfragen jeder 15. Amerikaner über einen Klon seiner selbst freuen. 

»Die Annahme, daß sich das hätte verhindern lassen, ist naiv.« sagte Ian Wilmut, geistiger Vater des berühmtesten Schafes aller Zeiten, das sich eines Tages vielleicht doch als wissenschaftliche Ente decouvrieren wird, 1997 vor der American Association for Advancement of Science. Und wenn der erste Staub des Wirbels um das Klonen sich gelegt habe, meint Ronald James, Chef der das Dolly-Projekt mitfinanzierenden Biotech-Firma PPL, werde sich die Welt auch an das Klonen gewöhnen. Das sind die Einschätzungen von Realisten. 

Nur schade, daß so viele glauben, beim Thema Klonen von Menschen mitreden zu müssen: Im Schöpfungsglauben irritierte Theologen und Ethiker mit nicht immer eindeutig auszumachenden Positionen, um ihre kinderlosen Paare besorgte Ärzte, lautstarke Politiker, aufgescheuchte Ökofreaks und Nobelpreisträger, wie Francis Crick, Entdecker der DNA, für den sich »... das reiche menschliche Repertoire an Gedanken, Gefühlen, Sehnsüchten und Hoffnungen aus elektro-chemischen Hirnprozessen« und »nicht aus einer immateriellen Seele« speist. 

Am meisten bedeckt halten sich noch jene, die die Milliardenprofite bereits sorgfältig hochgerechnet haben. Eine Ausnahme macht hier Richard Seed (nomen est omen?), der bereits die Preise für eine Ware, den geklonten Menschen, nennt, die er noch gar nicht liefern kann: 2,2 Millionen Dollar für den Prototypen, 5000 -10 000 Dollar für die in Serie gegangenen Produkte. Damit reiht er sich nahtlos in die merkantilen Praktiken der Reproduktionsmedizin ein: So bietet im Januar 1998 das Advanced Fertility Center of Chicago im Internet eine sog. Standard IVF (= In-vitro-Fertilisation) Package für $ 3.300 an, inklusive einer »70% money back guarantee«. 

Die an das Klonen gerichteten Erwartungen reichen von narzisstischen Phantasien, der Züchtung lebender Organbanken über die Erfüllung des Kinderwunsches für Homosexuelle bis zur Schaffung wie auch immer definierter neuer Eliten. Was darunter zu verstehen ist, hat der Biochemiker J.B.S. Haldane bei einem Ciba-Symposium 1962 in London, das aus 27 der damals prominentesten Biologen, Psychologen und Soziologen, unter ihnen 6 Nobelpreisträger, bestand, auf eine einfache Formel gebracht: »Die Elite, unter der ich grob gesprochen Menschen wie uns hier verstehe ...« 

Der Gedanke Menschen künstlich zu erzeugen, findet sich bereits am Ursprung zahlreicher Kulturen und Schöpfungsmythen. Die Beispiele reichen vom Titan Prometheus in den Ovidschen Metamorphosen, deraus Lehm und Wasser Männer und Frauen formte, über die Zeugung des Homunculus in Faust II (Wagner kommentiert: »Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitel Possen ...«), die diversen Golem-Sagen, bis zu E.T.A Hoffmanns Olimpia in Der Sandmann. In Karel Capek's Drama R. U. R. (= Rossums Universal Robots, 1920) wird schließlich für einen menschenähnlichen Automaten erstmals der Begriff »Roboter« verwandt. Bezeichnenderweise will von den zwei Männern, die den Roboter erschufen, der ältere durch seine Schöpfung die Nicht-Existenz Gottes beweisen und der jüngere an ihr Geld verdienen. Die meisten dieser Geschichten gehen schlecht aus: Entweder sind die Meister gezwungen, ihr eigenes, gefährlich werdendes Werk zu zerstören, oder es zerstört sich selbst und oft den Schöpfer oder andere Menschen zugleich.

Als »Eingriff in die Schöpfung« (Deutsche Bischofskonferenz) oder »Umsturz der Schöpfung« (Rheinischer Merkur 3/98) wird das Klonen von Menschen bezeichnet, und die Genentiker zu »Schöpfern ihrer eigenen Art« (SZ 14.1.98) abgestempelt. Sie manipulierten den Text des Lebens, der sie doch selber seien. Für Wissenschaftler, wie Atkins, in deren Schöpfungstheorien ein Schöpfer nicht vorkommt, stoßen solche Vorwürfe ins Leere, und zahlreiche gescheiterte Schöpfungsversuche in den verschiedenen Mythologien rütteln am Bild eines unfehlbaren Schöpfergottes. Schöpfungsspannen müssen dem klonierenden Menschen da schon eingestanden werden. 

Lee Silver, Molekularbiologe an der Princeton Universität, pflegt Kritiker, die ihm Szenarien von genetischen Katastrophen mit menschlichen Monstern ausmalen, mit scheinbar schlagenden Argumenten zu verstören. Die meisten genetischen Geburtsschäden beruhten auf einem zu Viel (Down-Syndrom) oder zu Wenig an Chromosomen. Beim Klonen aber würden nur Zellen eines normalen Erwachsenen mit der »richtigen« Chromosomenzahl verwendet. Dies gelte auch für die zweite, weniger häufige Kategorie der rezessiv erblichen Krankheiten wie Sichelzellanämie oder Tay-Sachs-Syndrom, bei denen jedes gesunde Elternteil eine kranke Genkopie mitbringt und die Krankheit erst durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht. Die Risiken neuer Methoden schälen sich aber meistens erst im Verlauf der klinischen Erprobung heraus. Für das Klonen von Menschen gibt es nicht einmal marginale experimentelle Erfahrungen, geschweige denn systematische Erkenntnisse. Gewonnen werden könnten diese grundsätzlich nur an menschlichem Erbgut. Der Mensch als seine eigene Laborratte? 

Der Einwand, diese Form des Schöpfens von neuem menschlichem Leben führe gleichzeitig zur Vernichtung menschlichen Lebens durch »Embryonenverbrauch« erscheint zunächst gewichtig. Kommt hier etwa der alte böse Vorwurf an die modernen Biowissenschaften wieder auf, sie könnten häufig Leben nur um den Preis anderen Lebens hervorbringen oder bewahren? Das Florieren der Reproduktionsmedizin wird schon heute durch solche Vorwürfe wenig tangiert: »Mehrlingsreduktion« gehört eben zum ihrem Geschäft. 

Auch der Einwurf, schon bei Dolly habe sich gezeigt, wie schwierig das Klonen von Säugetieren sei, weiß Lee Silver zu entkräften. Ian Wilmut habe zwar mit 277 aus Euterzellen geklonten Eizellen nur ein einziges Schaf erhalten. Aber: Nur 13 dieser Eizellen hätten sich zu Embryonen entwickelt. Davon seien 12 frühzeitig durch Fehlgeburten abgegangen. Diese »Erfolgsquote« (1:13) sei aber weit besser als die Ergebnisse aus der Frühzeit der In-vitro-Fertilisation. 

Vor solchen Argumenten müssen alttestamentarische Warnungen, nicht an der Ebenbildlichkeit Gottes zu rütteln verstummen. Daß der Islam im Verfertigen schon schlichter Abbilder einen Eingriff in Allahs Schöpfertätigkeit sieht, kann dann ebenso wenig in die Waagschale fallen, wie philosophische Mahnrufe aus dem Zeitalter der »Dinosaurierethik«. 

»Wer werden die 'Bild'-Macher sein, nach welchen Vorbildern, und auf Grund welchen Wissens?«, fragte Hans Jonas. 

Andere Befürchtungen erscheinen da schon konkreter, wenngleich auch weniger bedeutsam. Zum Beispiel: Wie alt ist Dolly wirklich? Ein Klon mag zwar jung aussehen, aber besitzt es nicht eine »alte« DNA? Gibt es Wesen, die kalendarisch Kinder, genetisch Greise sind? Auch hier wissen die Genetiker zu beruhigen: Beim Klonen werde die DNA wieder auf Null gestellt.

Das Menschenbild der Genetiker hatte früher Züge von trostloser Eintönigkeit: Nobelpreisträger Joshua Lederberg definierte den Menschen als 180 cm langen molekularen Strang (= Länge der DNA), eine »chemische Maschine« war er für Jacques Monod, eine »Überlebensmaschine« für seine egoistischen Gene für Richard Dawkins. Da sind die »Visionen« heutiger Genetiker schon farbiger, auch wenn es nur um »Replikate« geht. 

Die Tür zum neuen Menschen scheint bereits einen Spalt weit offenzustehen, wenn Klonen und genetische Manipulation kombiniert werden. Wen kümmert da, daß sich diese Tür nur in eine Richtung öffnen läßt, daß der scheinbar neue Reichtum in Wirklichkeit genetische Verarmung beinhaltet, daß die Vielfalt menschlicher Erscheinungsformen und Verhaltensweisen zu öder Vereinheitlichung hintendieren?

Verstöße gegen die »Natur« und das Zitieren des tausendfach malträtierten Menschenwürde-Begriffs müssen bei den Kritikern herhalten, wenn die Biowissenschaften wieder einmal die Hand nach verbotenen Früchten ausstrecken. Aber das Jonglieren mit dem Natur-Begriff ist ein Drahtseilakt. Was ist »natürlich«? Der Spontanverlauf einer Krankheit oder massive, aber lebensrettende pharmakologische und chirurgische Eingriffe? Die Natur erweist sich alles andere als perfekt und konsequent. 

Man kann aber ganz anders argumentieren: die Wissenschaft habe die Aufgabe, »die Naturgesetze zu brechen« so der Reproduktionswissenschaftler Steen Willadsen 1997. Dies mag noch als befangene Einzelstimme gelten. Aber eine Elite zeitgenössischer Denker, Wissenschaftler, Dichter (wie Sir Isaiha Berlin, Francis Crick, Taslima Nasrin) in der International Academy of Humanists kommen in einer »Deklaration zur Verteidigung des Klonens« (Free Inquiry Magazine, Vol.17, No 3) zu einer völlig anderen Erkenntnis über die Natur des Menschen und den erlaubten Umgang mit ihm: »Die menschliche Natur wird als einzigartig und heilig angesehen (...) Doch soweit die Wissenschaft das sagen kann, ist der Homo sapiens ein Vertreter des Tierreichs.« Und sie malen ihr Menetekel an die Wand: »Der potentielle Nutzen des Klonens könnte so segensreich sein, daß es eine Tragödie wäre, wenn altmodische theologische Skrupel zu einem fortschrittsfeindlichen Verbot des Klonens führen würden.« 

In diesem Menschenbild, das den Menschen als seelenloses Tier in einer gottlosen Schöpfungswelt versteht, gründet sich unser fundamentales Unbehagen an dieser, wenn auch bislang utopischen, biomedizinischen Technologie. An dieser unheiligen Fortschrittsgier, die unaufhaltsam alle unerwünschten anthropologischen, philosophischen und theologischen Argumente niederwalzt, um in den Besitz des letzten, noch nicht eroberten Forschungsobjektes zu kommen: des Menschen als frei manipulierbare »Biomasse«. 

»Eins mit Gott werden« will Richard Seed. In Bertolucci's Film »Little Buddha« wird die letzte Versuchung des nach vollkommener Erleuchtung strebenden Siddhârta durch die Materialisierung des eigenen Spiegelbildes in Szene gesetzt, eine Geistestäuschung, hervorgebracht von Mâra, dem Herrn der Begierden und der Verkörperung des Todes. »Willst Du mein Gott sein?« fragt Mâra Siddhârta als dessen eigene Verkörperung. Siddhârta aber durchschaut ihn: »Du bist nur mein Spiegelbild.« In diesem Augenblick löst das Trugbild sich auf und der uralte Verführer Mâra wird wieder sichtbar.


Geisler, Linus S.: Nur ein kleiner Schritt für ein Schaf. Frankfurter Rundschau, 29.01.1998, Nr. 24, S. 10
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/9801fr_schaf.html

© beim Autor
Start  <  Artikelübersicht  <  dieser Artikel