Herren der Metaphern
Wissenschaftler sind die
eigentlichen Erzähler unserer Zeit / Linus S. Geisler über den
manipulativen Gebrauch von Bildern in den Lebenswissenschaften
Wer
die Welt beherrschen will, muss sich einer schlagenden Sprache und überzeugender
Bilder bedienen. Genau dies ist der Biowissenschaft gelungen, die mit ihrem
Sprachgebrauch die Welt neu buchstabiert und erklärt - auch wenn die
benutzten Metaphern oft unklar und unzutreffend sind. Über die Weltbilder
in den Lebenswissenschaften hat sich Linus S. Geisler Gedanken gemacht.
Wir setzen damit unsere Serie Januskopf der Moderne fort. Der Autor war
Chefarzt am St. Barbara Hospital in Gladbeck und ist Mitglied der Enquetekommission
des Bundestages zu Recht und Ethik in der modernen Medizin.
Immer schon haben Menschen
in Bildern und Gleichnissen gesprochen. "Ich will meinen Mund auftun in
Gleichnissen und will aussprechen, was verborgen ist . . ." heißt
es im 78. Psalm. Herr der Metapher zu sein, war für Aristoteles "bei
weitem das Größte". Und Goethe insistierte: "Gleichnisse dürft
Ihr mir nicht verwehren, ich wüsste mich sonst nicht zu erklären."
In den Wissenschaften hat
sich die Metapher von der Welt als Buch seit langem eingebürgert,
und genau besehen ist Forschung immer (auch) das Ringen um die Lesbarkeit
der Welt. Was in diesem Buch steht, muss gelesen werden, was es nicht enthält,
ist des Lesens nicht wert.
Galilei benutzte häufig
die Metapher vom "Buch der Natur", das allerdings in "mathematischen Buchstaben"
geschrieben sei, weshalb es nicht jeder lesen könne. Die bei dieser
Lektüre gewonnenen Erkenntnisse bildeten die wahre Erkenntnis der
Natur und seien daher unstrittig.
Immer wieder aber stößt
Wissenschaft dabei auch an Grenzen: die Verfügbarkeit des Textes ist
ohne den Stein von Rosette nutzlos. "Heute lernen wir die Sprache, in der
Gott Leben schuf", sagte der frühere US-Präsident Bill Clinton
während der Pressekonferenz im Weißen Haus am 26. Juni 2000,
bei der die Entschlüsselung des menschlichen Genoms vorgestellt wurde.
Ein ebenso majestätischer wie unrichtiger Satz, denn die Frage: was
wissen wir, wenn wir das Genom kennen, ist bislang ohne befriedigende Antwort
geblieben.
Die Metapher vom Buch des
Lebens ist ebenfalls alles andere als neu. Der Basler Physiologe Friedrich
Miescher, der 1869 (!) die Nukleinsäuren als Substanz der Vererbung
entdeckt hatte, wies darauf hin, dass "aller Reichtum und alle Mannigfaltigkeit
erblicher Übertragungen ebenso gut darin ihren Ausdruck finden können
als die Worte und Begriffe aller Sprachen in den 24 bis 30 Buchstaben des
Alphabets".
1. Vorkonstruktion der
Welt
Dass Wissenschaft sich der
Metapher bedient, ist legitim. In seinen Reflexionen zur Metapher schreibt
Nietzsche: "Das Erkennen ist nur ein Arbeiten in den beliebtesten Metaphern."
Je unanschaulicher ihr Objekt, umso größer die Versuchung, ihm
in einem Akt der Transsubstantiation Fleisch und Blut zu verleihen, ein
quasi sakraler Wandel, der ein Makromolekül zum Heiligen Gral stilisiert
und die Männer an den Sequenzierungsrobotern zu Gralsrittern. Vom
zweiten Schöpfungsakt und von der Handschrift Gottes ist die Rede.
Es fällt auf, dass gerade Atheisten unter den Wissenschaftlern sich
ausgiebig und mit Hingabe der sakralen Metaphernmühle bedienen.
Häufig geht der Weg
von der Metapher über das Experiment zur Wirklichkeit, nicht umgekehrt.
Einstein wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Theorien der
Physik zunächst freie Erfindungen, metaphorische Fantasien des menschlichen
Geistes sind. In der Metapher finden sie ihre erste Artikulation. Metaphern
werden so zu einem eigenständigen Modus der Wirklichkeitserfahrung,
wobei sie der Wirklichkeit vorausgehen. Metaphern sind Weltmodelle, die
bereits Handlungsanweisungen enthalten. Als ein "Modell in nuce" versteht
Mary B. Hesse die wissenschaftliche Metapher in ihrem Werk Models and
Analogies in Science (1966).
Die Metapher, in der Philosophie
schon totgesagt - Jacques Derrida nennt sie "diese ermüdete und verbrauchte
Person" - gewinnt in den Lebenswissenschaften neue Strahlkraft. Das "Gen"
wird zur penetranten Ikone der Gegenwart stilisiert und zur "Essenz" unserer
Identität überhöht, das den neuen Auguren erlaubt, unsere
Zukunft bereits in der Gegenwart bloßzulegen und nach ihrem Willen
zu deformieren.
Immer mehr werden die Lebenswissenschaften
zur narrativen Disziplin, die die Welt in synthetischen Geschichten, erzeugt
in den Köpfen ihrer Protagonisten, ausdeuten. Michel Houellebecq hat
die Wissenschaftler als die eigentlichen Erzähler unserer Zeit bezeichnet.
Das Human Genom Projekt als Gilgamesch-Epos der Postmoderne? Nicht Erkenntnisstiftung
wird angestrebt, sondern eine Art Vorkonstruktion der Welt. Wie Scheherezade
rettet der Forscher sich über Tausendundeine Nacht mit seinen Geschichten
vom "Guten Leben" und weiß sich am Ende der Liebe seiner Zuhörer
sicher. Die Landkarte wird gezeichnet, bevor das Gelände da ist, dem
sie entspricht. Ja, die Landkarte schafft erst das abgebildete Land.
Der Philosoph Bruno Latour
hat diesen Prozess beispielhaft an einer Expedition nach Tasmanien, die
im Jahre 1802 unter der Leitung von Nicholas Baudin stattfand, dargestellt.
Die Karte, welche im Verlauf der Expedition von dem bis dahin unbekannten
Land erstellt wurde, hat dieses in einem gewissen Sinne erst erschaffen.
Tasmanien "geschieht", in dem es gesucht, erfunden und schließlich
gefunden wird.
2. Schlagbilder
Metaphern enthalten immer
ein manipulatives Element, das im Kern ihre Rechtfertigung ausmacht. Insofern
dienen sie nicht ausschließlich der Übersetzung, sondern stets
auch der Verführung und der Täuschung. Der traduttore (Übersetzer),
sagt ein italienisches Wortspiel, sei auch immer ein traditore (Verräter).
"Schlagbilder" haben die
Schlagworte abgelöst. Sie kommen lautlos daher, aber mit hoher Suggestibilität.
Schlagworte lassen sich widerlegen, Schlagbilder kaum. Dass die Bildersprache
nicht über das Instrument der Negation, der Verneinung des Sachverhaltes
verfügt, ist aus der Kommunikationswissenschaft bekannt. Der Satz,
Roboter entschlüsseln das Genom, lässt sich in einer einfachen
Zeichnung ausdrücken, nicht aber das Gegenteil (Roboter entschlüsseln
das Genom nicht). So ist die Metapher quasi gefeit gegen ihre Verneinung.
Metaphern dienen als Werkzeug
der sprachlichen "Verhexung", als Versuchung, dem Gift der uneigentlichen
Redeweise zu erliegen oder aber auch, die Uneigentlichkeit zur taktischen
Methode zu erheben. Hinter der Poesie metaphorischer Bilder lassen sich
theoretische Defizite ebenso verbergen wie Instrumentarien der Weltbemächtigung.
Bedeutungstheoretisch bleibt die Metapher uneindeutig, woraus sich der
permanente Hunger nach neuen, eindeutigeren Bildern speist, nicht anders
als beim Bildnis von Sais. Hinter jeder Metapher lauert schon eine neue.
3. Das Gen als Phantom
Viele metaphorische Phantasmen
der Gentechnologie kleben noch an längst überholten Paradigmen,
dem linearen Märchen von "DNA macht RNA macht Protein", dem Glauben
an kausale Verknüpfungen von Genen mit Eigenschaften oder Funktionen.
Das Bild der perlschnurrartigen Aufreihung von Genen auf der DNA mit einer
jeweils stabilen Funktion ist längst überholt. Gene können
sich überlappen und innerhalb anderer Gene vorkommen. In verschiedenen
Geweben können sie zu verschiedenen Proteinen führen, ihre Informationen
können entfernt werden oder sich nachträglich verändern.
In systemtheoretischen Modellen interferieren genetisch und nichtgenetisch
determinierte Wirkungsprinzipien. Der menschliche Organismus steht nicht
unter der ausschließlichen Diktatur von DNA-Sequenzen, sondern ist
kontextverflochten, plastisch und kontingent.
Schon gar nicht kann, das
wissen wir von Lily Kay, die Geschichte vom genetischen "Code" geglaubt
werden, die Übertragung binärer Codes vom Silizium auf DNA, die
Simplifizierung von Leben zu Prinzipien der Informationstechnologie. Der
genetische Code ist, so Lily Kay, kein Code, sondern "eine Korrelationstabelle
zwischen 64 Codonen und zwanzig Aminosäuren". Die Bedeutung der Metapher
ergibt sich nicht nur aus dem Bild allein, sondern auch aus dem sprachlichen
Kontext, in dem sie präsentiert wird. Die Metapher vom Code als Wesen
der Erbsubstanz beinhaltet zugleich den Rückzug von Leben auf die
ausschließlich informationstheoretische Ebene. Das seit mehr als
dreißig Jahren unendlich strapazierte Konzept des "genetischen Programms",
das die Steuerung des Lebens so einfach und narrensicher erscheinen lässt
wie ein Textverarbeitungsprogramm, erweist sich als völlig unzulängliche
Beschreibung eines hochkomplexen nichtlinearen Systems.
Sind Gene nur epistemische
Objekte der Lebenswissenschaften? Konstruktivistische Resultate? Letztlich
erweist sich das Genom als nur eine Organisationsebene des Lebendigen.
Evelyn Fox Keller hat in ihrem Buch Das Jahrhundert des Gens die
Überfrachtung des Begriffs Gen aufgezeigt. Je nach forscherischem
Blickwinkel soll es zugleich "materieller, kausaler, lebendiger und geistiger
Natur" sein. Eigenschaften, die nur der Organismus selbst besitzt, wie
die Fähigkeit zur Selbstreproduktion, werden den Genen zugeschrieben.
Die biowissenschaftliche Deutungsmacht suggeriert dem Laien nicht nur,
wo auf ihrem Feld die Normalitäten und die Abweichungen lokalisiert
sind, sondern greift damit auch in sein Selbstverständnis ein, das
ausschließlich am genetischen Design festgemacht wird.
DNA, der "Faden, an dem unser
Leben hängt", suggeriert das Titelblatt eines Forschungsmagazins und
beschwört mythologische Bilder von scherenbewaffneten Parzen, stets
bereit, den Lebensfaden zu cutten. Ein Bild, ebenso schief wie das von
der Wendeltreppe der Doppelhelix, die die DNA "begehbar" macht. Überhaupt
Doppelhelix! Im Rang einer "absoluten Metapher" im Sinne Hans Blumenbergs
lässt sie sich nicht mehr auf den Boden der Logik zurückholen.
Wirft sie die lästige Bindung an die chemische Formelsprache ab, so
wird sie verfügbar für jede beliebige Symbolik und ist schließlich
wiederzufinden als kosmische Schlange auf schamanischen Pfaden (ihr hat
der Ethnologe Jeremy Narby ein ganzes Buch gewidmet) oder für Gräkophile
im Schlangengewirr der Laokoon-Gruppe.
Die Besiegung der Schlange
durch den mythischen Helden war für die mystischen Philosophien ein
Sinnbild der Erkenntnis der Welt. Ein weniger metaphysischer Geist, wie
James Watson, Vater des Doppelhelixmodells, bezeichnete allerdings seine
frühen DNA-Modelle, schlicht als sein "Blechspielzeug".
Personalisierung als metaphorische
explikative Technik ist schon seit langem wissenschaftlich in Gebrauch.
Rudolf Virchow beschrieb 1867 die Entwicklung der roten Blutkörperchen
als deren "Lebensgeschichte", und um den Bedeutungsgehalt von Zellen zu
erklären, sprach er von der Notwendigkeit einer "gewissen Persionification
der Zellen" (1885). Heute gewinnen Moleküle eine Art personalen Status.
1993 ernannte das Wissenschaftsjournal Science das Tumorunterdrückungs-Gen
"p53" zum Molekül des Jahres.
4. Medizin ohne Körper
Die Analyse des menschlichen
Genoms ist die Anatomie des 21. Jahrhunderts. Aber sie enthüllt keine
frischroten Muskelstränge und spiegelnden Sehnen, nicht die dreidimensionale
Ästhetik der Lungenbläschen. Diese Anatomie konstituierte Leiblichkeit
und zwang den Betrachter zur Demut.
Die neue Sicht bewirkt nicht
nur Leiblichkeitsferne (Leib bin ich), sondern bringt auch den Körper
(Körper habe ich) zum Verschwinden. Die neue Anatomie reduziert den
Körper auf Makromoleküle, auf Basenverkettungen. Wo kann der
Mensch sich wiederfinden? Soll er es überhaupt? Ist er nicht besser
aufgehoben in der physiko-chemischen Anonymität? In dem "Buch des
Lebens", von dem allenfalls die Syntax feststeht, aber die Semantik noch
verdunkelt ist?
Im Licht der genetischen
Diagnostik hat die Krankheit keinen Körper mehr. Ihre Beschreibung
als Texturfehler im Genom entkleidet sie ihres kreatürlichen Charakters,
kappt jede Verbindung zu Schmerz oder persönlicher Tragik.
Alles wird zur Suche nach
Defekten und Differenzen. An der genetischen Ausstattung interessiert mehr
die Abweichung als die Regel. Sie wird zum neuen Code für Krankheit,
besser gesagt zum prognostischen Marker im Zwischenreich von noch nicht
krank und nicht mehr gesund. Immer haftet dem genetischen "Defekt" der
Hautgout der Aussonderung, der Selektion an. Genetische Diagnostik erweist
sich auf ihrer Ebene als Rückfall zum Ende des 19. Jahrhunderts, als
aus den Diagnosekünsten klinischer Ärzte so gut wie keine therapeutischen
Optionen ableitbar waren.
Genomische Differenzen der
Lebewesen erscheinen attraktiver als die Lebewesen selbst. Der Unterschied
im genetischen Pattern zwischen Drosophila und Mensch, drängt sich
vor die Frage nach dem Bild des Menschen oder der Kreatur.
Nicht der biologische, sondern
der "molekulare Hund" ist der wirkliche, schreibt der Nobelpreisträger
und Zellgenetiker François Jacob. Der "Alltagshund" ist dagegen
nur ein blasser Widerschein, ist nur der unseren Sinnen zugängliche
Aspekt.
5. Destruktive Metaphern
Destruktive Metaphern zielen
auf die Dekonstruktion von metaphorischen Inhalten. Die Reduktion des Menschen
in seiner frühesten Erscheinungsform auf einen Zellhaufen ist die
radikale Löschung alles Phänotypischen, das noch an den Menschen
erinnern könnte.
Der (Stamm-)Zelle gilt höhere
Aufmerksamkeit als dem zum Achtzeller degradierten Individuum, dem sie
entstammt. Der Pluripotenzbegriff beinhaltet eine Machtzuschreibung von
außerordentlicher Fülle, die Fähigkeit, jedes Gewebe des
Menschen zu bilden (auch wenn sich dies therapeutisch immer mehr als fragwürdig
herausstellt). Als begehrte Früchte am Ende dieser Forschungsmühen
scheinen ganze Organe zu stehen, bereit, geerntet zu werden.
Der Hauch der Unsterblichkeit
wehte schon von Anfang an über den prekären Zelllinien mit ihrem
unendlichen Vermehrungspotenzial. Wer ihrer habhaft werden will, muss als
Marco Polo der Lebenswissenschaften die Welt bereisen. Wer in diesem Zusammenhang
von frühester Grundlagenforschung an Mäusezellen zu sprechen
wagt, landet in der Ecke halbkompetenter Spielverderber.
Hier wird bewusst Anschaulichkeitsdestruktion
betrieben, das Bild vom frühen Leben zum Zerrbild des Zellhaufens
gewendet. Ein Bildersturm, nicht gegen Gott sondern gegen den Menschen
gerichtet. Gegen zum Beispiel den Embryo in der Unbehaustheit der Petrischale,
der nicht das Produkt menschlicher Vereinigung ist, sondern das Resultat
der Entleiblichung von Sexualität und Fortpflanzung. Solche Metaphern
eröffnen sonst schwer durchsetzbare Handlungsoptionen, sie programmieren
den gewalttätigen Zugriff von außen und legitimieren ihn scheinbar.
Die neue Anatomie bedarf
keines beobachtenden
Auges. Es ist ersetzt durch die Software der Sequenzierungsmaschinen,
die eine schier unendliche Abfolge der immer gleichen vier Basen zu Tage
fördert. Die Schluss-Sequenz des Deutschen Humangenomprojekts - G-A-C-T,
immer neu variiert - auf sechs Feuilleton-Seiten dargestellt, strahlte
überwältigende Langeweile aus. Noch nie dürften so viele
Seiten Zeitungs-"Text" in Folge ungelesen geblieben sein. Unanschaulichkeit
pur, ein "Festmahl der Fakten" nennt es Durs Grünbein, bei dem das
Auge hungert.
Der Weg von der Defektsuche
zur gezielten Manipulation ist kurz und direkt. Die manipulative Verhunzung
von Geschöpfen im Experiment (flügellose Taufliegen, ohrtragende
Mäuse) hat eine neue Dimension der Monstrosität erreicht. Vivideformation
als Ablösung von Vivisektion.
Das Lancieren einer Metapher
zur Leitmetapher einer Wissenschaft (Doppelhelix) inszeniert ein ganzes
Bildergefüge, durch das sie sich artikuliert. Die metaphorische Präsentation
ihrer Modelle, ist nicht zu beanstanden. Bedenklich wird es erst, wenn
der unablässige Sprachgebrauch keine scharfe Trennung mehr zwischen
Zielen und Resultaten ermöglicht. Wenn eben dies zur Methode stilisiert
wird. Wenn die Kultivierung von Stammzellen mit dem Sieg über Parkinson
und Alzheimer gleichgesetzt wird. Wenn eine Ankündigungswissenschaft
sich als Ergebniswissenschaft geriert.
6. Lebewesen als Metaphern?
Der querschnittsgelähmte
"Superman" Christopher Reeves lässt vor dem US-amerikanischen Kongress
ein Statement zu den Heilserwartungen embryonaler Stammzellen verlesen,
um die staatliche Förderung der Stammzellforschung voranzutreiben.
Hier handelt es sich nicht um die Stimme eines Schauspielers, sondern um
das schwer erträgliche Bild von Superman, der, an den Rollstuhl gefesselt,
auf das zum Greifen nahe Wunder der Heilung durch jene Zellklümpchen
hinweist, die keiner mit bloßem Auge erkennen kann.
Nancy Reagan meldet sich
mit einem Plädoyer für embryonale Stammzellforschung ausgerechnet
im Wall Street Journal zu Wort. Wenn eine Krankheit wie Alzheimer,
selbst amerikanische Ex-Präsidenten nicht verschont, muss sie in den
Rang eines medizinischen Staatsfeindes Nr. 1 erhoben und bekämpft
werden, um jeden Preis.
Der leidende Mensch wird
zur Werbefläche instrumentalisiert, auf der sich hemmungslos alle
Utopien einer Forschungsrichtung austoben, die weltweit über einige
Dutzend menschlicher embryonaler Stammzelllinien verfügt, ohne die
Gewissheit, dass darin das Potenzial für nur eine einzige Heilung
liegt. Dass die Botschaft ankommt, dafür sorgt als zuverlässiger
Kalkulationsfaktor die untergründig flotierende Angst des Menschen
vor der eigenen Sterblichkeit.
Tiere als Symbolträger
sehen uns an. ANDi, das Rhesusäffchen mit den altklugen Kinderaugen,
dem das Gen einer Qualle eingefügt wurde, das für das Grün-fluoreszierende
Protein (GFP) codiert. Der Affe, der leuchten sollte, als Symbol für
das neue Licht in der Dunkelheit unseres Nichtwissens? Der wahre Hintergrund
des Experimentes, die Keimbahnmanipulation bei Primaten, wird geflissentlich
im Hintergrund gehalten.
7. Unter dem Rubikon?
Nichts hat das ansonsten
mäßige Interesse an der römischen Historie zu Cäsars
Zeiten so aktualisiert wie der Rubikon, die Hit-Metapher der Biotechnologie.
Rubikon, dieses, was Namen
und Verlauf anbetrifft, ungewisse Flüsschen (vielleicht war es der
frühere Fiumicino) zwischen Heil und Unheil, auf dessen anderer Seite
der magische Magnet der Fortschrittssehnsucht zu immer wiederkehrender
Überschreitung anzieht. Ein frustranes Unterfangen, wie die Erfahrung
lehrt, denn hinter dem Rubikon ist immer auch vor dem Rubikon.
Der Verdacht kommt auf, dass
es sogar von niemandem bemerkte Unterquerungen gab. Wie sonst hätte
DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker, wie aus einem schlechten Traum
erwacht, hinsichtlich der verbrauchenden Embryonenforschung zu der Aussage
kommen können, es sei "der Rubikon in dieser Frage mit der Einführung
der künstlichen Befruchtung überschritten" worden (DFG-Empfehlungen
zur Stammzellforschung vom 3. Mai 2001). Wer den Rubikon im Rücken
hat, braucht sich nicht mehr in nostalgischer Anwandlung umzudrehen, denn
von nun an gilt nur noch das absolute "Vorwärts!" Was hilft es da,
wenn Johannes Rau in seiner "Berliner Rede" vom 18. Mai Trost zu spenden
versucht: "Es gibt viel Raum diesseits des Rubikon."
Von mehr bioethischer Flexibilität
spricht es, den Flussverlauf einfach nach Belieben zu variieren. "Ach,
wissen Sie, der Rubikon ist ein mäandernder Fluss", belehrte NRW-Ministerpräsident
Clement seine Kritiker auf dem diesjährigen evangelischen Kirchentag.
Taktisch noch eindrucksvoller ist es, sich der ethischen Bewertung durch
Kategorienwechsel zu entziehen. Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft,
versichert, es sei ihm ein Herzensanliegen zu verdeutlichen, dass der Rubikon
kein Fluss ist, jenseits dessen das Böse lauert, sondern ein Fluss,
dem der Mensch ständig ein neues Flussbett bahnen muss und der das
"Vertraute vom Unerschlossenen" trennt. Der Rubikon jenseits von Gut und
Böse - oder die Aufhebung moralischer Kategorien in der Forschung.
8. Love Parade der Metaphern
Ein gewaltiges Verwirrspiel
mit Symbolen, Bildern und Metaphern ist in Gang gesetzt. Die üblichen
Köder sind ausgeworfen: Mitleid, Ethik des Heilens und der technologische
Imperativ. Die biologische Neusprache in guter Orwellscher Tradition etabliert
unsichtbare Denkrinnen, die sicher zu den neuen Welt- und Menschenbildern
leiten sollen.
Symbolik dient der Akzeptanzbeschaffung
weitaus besser als Logik. Die "Love Parade der Forscher", die dem Vorsitzenden
der Helmholtz-Gesellschaft, Detlev Ganten, vorschwebt, wird zur Love Parade
der Metaphern. Rückblicke sind nicht erwünscht, nur noch visionäre
Vorausschau. Allzu leicht könnte man sonst auf die Systematik praktisch
jeder Etablierung eines neuen Therapieprinzips stoßen: initialer
Enthusiasmus, Ernüchterung und am Ende die Stunde der Wahrheit. So
genannte Königswege in der Medizin haben den fatalen Charakter, sich
zurückzuwinden und als mühselige Trampelpfade einen immer wieder
neuen Anfang zu erzwingen.
Was der Krebs- und Aids-Forschung
nicht erspart blieb, wird auch der Stammzellforschung nicht erspart bleiben.
Ein Glück, dass wir,
dass die Wissenschaft nicht ohne Metaphern auskommt. Denn der Wahrheit
ständig ins Gesicht zu sehen, ist ebenso unmöglich, wie ständig
in die Sonne zu schauen. Ein Metapherntier hat Nietzsche den Menschen genannt,
und die Wahrheit ein "bewegliches Heer aus Metaphern". Sollte für
die Unwahrheit etwas anderes gelten?
Geisler, Linus S.: Herren
der Metaphern. Frankfurter Rundschau, 18.08.2001, Nr. 191/31, S. 7 |
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0108fr_metaphern.html |
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