Start  <  Artikelübersicht  < div. Sachverständige: AUFRUF GEGEN DIE VERROHSTOFFLICHUNG DES MENSCHEN. FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 02.01.2001
Download / Druck: PDF-Version (12 kb) PDF-Version
Bundesregierung soll "therapeutischem Klonen" einen Riegel vorschieben 

Experten der Enquête-Kommission wenden sich gegen "Verrohstofflichung" von Embryonen / Ein Gastbeitrag 

Aufruf gegen die Verroh(stofflich)ung des Menschen

Das britische Unterhaus hat am 19.12.2000 die gesetzlichen Voraussetzungen für das so genannte therapeutische Klonen geschaffen, d. h. für die Herstellung menschlicher Embryonen durch das Übertragen von menschlichen Körperzellen in Eizellen, mit dem Ziel, daraus später genetisch passenden Gewebe- und Organersatz herstellen zu können.

Wir, eine Reihe von Sachverständigen der Enquête-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages, rufen auf diesem Wege die bundesrepublikanische Öffentlichkeit, den Bundestag und die Bundesregierung auf, ihre Missbilligung dieser moralischen Grenzüberschreitung zum Ausdruck zu bringen, einer möglichen Ausweitung des "therapeutischen Klonens" auf die Bundesrepublik einen Riegel vorzuschieben und sich in den Organisationen der Europäischen Union und des Europarates für eine Ächtung des Klonens einzusetzen, und zwar sowohl des "reproduktiven" wie auch des so genannten therapeutischen Klonens.

Gegen das so genannte therapeutische Klonen", das nichts anderes ist als eine Verrohstofflichung menschlicher Embryonen, sprechen u. E. folgende Argumente:
Dieselbe Technologie, die im Falle des so genannten therapeutischen Klonens zum Einsatz kommt, kann auch für das reproduktive Klonen verwendet werden, d. h., um eine genetische Kopie eines Menschen herzustellen. Jede Forschung zur Verbesserung des "therapeutischen Klonens" rückt daher das "reproduktive Klonen", das bisher von niemandem politisch gewollt wird und das ethisch nicht gerechtfertigt werden kann, einen Schritt näher an den Bereich des Machbaren heran.
Die Herstellung und Vernutzung menschlicher Embryonen als Rohstoff überschreitet eine ethische Grenze. Menschliche Embryonen haben das Potenzial, sich zu einem menschlichen Individuum zu entwickeln und sie können dieses Potenzial entfalten, wenn sie von einer Frau ausgetragen werden. Eine gezielte Herstellung menschlicher Embryonen zum Zwecke der Verwertung bedeutet daher nicht nur eine Verrohstofflichung von Embryonen, sondern auch eine weitreichende und folgenschwere Veränderung des Selbstverständnisses des Menschen.
Das so genannte therapeutische Klonen, also die Herstellung menschlicher Embryonen aus Körperzellen, erfordert die "Gewinnung" von menschlichen Eizellen in bisher ungekanntem Ausmaß. Denn die Zellkerne der Körperzellen müssen in "entkernte" menschliche Eizellen transferiert werden, damit ein solcher Embryo entstehen kann. Dazu bedarf es ungezählter Versuche mit einer Vielzahl von Eizellen. Eine Eizellgewinnung ist jedoch ein invasiver, medizinisch keineswegs risikofreier Eingriff, der im Falle der fremdnützigen Verwendung für Dritte nicht mit einem Nutzen für die "Spenderinnen" selbst gerechtfertigt werden kann. Die "Beschaffung" dieser Eizellen würde tiefgreifende institutionelle Umstrukturierungen erfordern; in Deutschland müsste hierzu zunächst ein Verbot der Eizellspende aufgehoben werden. Darüber hinaus müsste womöglich ein System entweder von positiven Anreizen (z. B. Eizellen gegen Geld) oder von negativen Sanktionen (z. B. keine IVF-Behandlung ohne Eizell"spende") geschaffen werden, um Frauen dazu zu bringen, ihre Eizellen zur Verfügung zu stellen - und zwar in großer Zahl. Damit ist die Gefahr verbunden, dass Frauen in die Rolle von Rohstofflieferantinnen gedrängt werden und in erster Linie nicht mehr als Patientin, sondern als Ressourcenproduzentin wahrgenommen werden.
Eine Reihe von Krankheiten, die durch "therapeutisches Klonen" bekämpft werden sollen, werden zum Teil auch durch Umweltschäden oder belastende Lebens- und Arbeitsbedingungen mit hervorgerufen oder verstärkt (z. B. Leberversagen und Alkoholismus oder Hautkrebs und die Zerstörung der Ozonschicht ...). Es stellt sich die Frage, ob die Erforschung von sozialen und psychischen Faktoren sowie die Verbesserung von Umweltbedingungen noch angemessen verfolgt wird, wenn Forschungsmittel und die Hoffnungen von Menschen in erster Linie auf rein technische Lösungen konzentriert werden. Natürlich ist die Weiterentwicklung medizinischer Behandlungsmöglichkeiten zu begrüßen, sofern sie nicht auf unmoralischen Voraussetzungen beruht. Wissenschaft und Politik dürfen sich jedoch nicht auf die Suche nach medizinisch-technischen Lösungen beschränken.
In der Diskussion des "therapeutischen Klonens" wie der übrigen Stammzellforschung wird suggeriert, in absehbarer Zeit neuartige Therapien für konkrete, bislang nicht oder unzureichend behandelbare Krankheiten anbieten zu können. Die in Aussicht gestellten therapeutischen Effekte beim Menschen sind jedoch rein spekulativer Natur; der bisherige Stand der Forschung basiert nahezu ausschließlich auf tierexperimentellen Befunden (Mäuse) und erlaubt keine Voraussagen über konkrete therapeutische Optionen. 
Die wissenschaftliche Grundlage für eine angemessene Nutzen-Risiken-Abwägung ist bislang keineswegs gegeben. Die spärlichen Erkenntnisse aus Tierversuchen reichen hierfür noch lange nicht aus. Niemand kann heute sagen, welche Ansätze für welche Krankheiten erfolgsversprechend sein werden.

Dasselbe gilt für mögliche Gefahren für die betroffenen Patienten. Es widerspricht aber der wissenschaftlichen Redlichkeit, Hoffnungen für schwerkranke Patienten zu wecken, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten werden können, um die Etablierung eines neuen Forschungsfeldes politisch durchzusetzen. Genau das ist aber in England geschehen.

Aus diesen Gründen rufen wir die Öffentlichkeit, die Politik und die Wissenschaft auf, die Etablierung des so genannten therapeutischen Klonens zu verhindern und sich für die Suche nach besseren Wegen der Behandlung, aber auch der Vorbeugung von Krankheiten einzusetzen, die nicht auf der Verrohstofflichung von Menschen basieren.
 

Unterzeichner sind: 

Rainer Beckmann, Richter, Würzburg: PD. Dr. Kathrin Braun, Politikwissenschaftlerin, Universität Hannover; Prof. Dr. Theresia Degener, Juristin, Ev. FH Bochum; Prof. Dr. Linus Geisler, Innere Medizin, Universität Bonn; Dr. Sigrid Graumann, Philosophin und Molekularbiologin, Universität Tübingen; Prof. Dr. Therese Neuer-Miebach, Soziologin, Fachhochschule, Frankfurt a. M.; Prof. Dr. Johannes Reiter, Katholischer Theologe, Universität Mainz; Dr. Ingrid Schneider, Politikwissenschaftlerin, Hamburg; Dr. Michael Wunder, Psychologe, Hamburg.


Beckmann, R., K. Braun, T. Degener, L. Geisler, S. Graumann, T. Neuer-Miebach, J. Reiter, I. Schneider, M. Wunder: Aufruf gegen die Verrohstofflichung des Menschen. Frankfurter Rundschau, 02.01.2001, S. 5
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0101fr_aufruf.html

© bei den Autoren
Start  <  Artikelübersicht  <  dieser Artikel