Bundesregierung soll "therapeutischem
Klonen" einen Riegel vorschieben
Experten der Enquête-Kommission
wenden sich gegen "Verrohstofflichung" von Embryonen / Ein Gastbeitrag
Aufruf gegen die Verroh(stofflich)ung
des Menschen
Das britische Unterhaus hat
am 19.12.2000 die gesetzlichen Voraussetzungen für das so genannte
therapeutische Klonen geschaffen, d. h. für die Herstellung menschlicher
Embryonen durch das Übertragen von menschlichen Körperzellen
in Eizellen, mit dem Ziel, daraus später genetisch passenden Gewebe-
und Organersatz herstellen zu können.
Wir, eine Reihe von Sachverständigen
der Enquête-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des
Deutschen Bundestages, rufen auf diesem Wege die bundesrepublikanische
Öffentlichkeit, den Bundestag und die Bundesregierung auf, ihre Missbilligung
dieser moralischen Grenzüberschreitung zum Ausdruck zu bringen, einer
möglichen Ausweitung des "therapeutischen Klonens" auf die Bundesrepublik
einen Riegel vorzuschieben und sich in den Organisationen der Europäischen
Union und des Europarates für eine Ächtung des Klonens einzusetzen,
und zwar sowohl des "reproduktiven" wie auch des so genannten therapeutischen
Klonens.
Gegen das so genannte therapeutische
Klonen", das nichts anderes ist als eine Verrohstofflichung menschlicher
Embryonen, sprechen u. E. folgende Argumente:
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Dieselbe
Technologie, die im Falle des so genannten therapeutischen Klonens zum
Einsatz kommt, kann auch für das reproduktive Klonen verwendet werden,
d. h., um eine genetische Kopie eines Menschen herzustellen. Jede Forschung
zur Verbesserung des "therapeutischen Klonens" rückt daher das "reproduktive
Klonen", das bisher von niemandem politisch gewollt wird und das ethisch
nicht gerechtfertigt werden kann, einen Schritt näher an den Bereich
des Machbaren heran. |
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Die
Herstellung und Vernutzung menschlicher Embryonen als Rohstoff überschreitet
eine ethische Grenze. Menschliche Embryonen haben das Potenzial, sich zu
einem menschlichen Individuum zu entwickeln und sie können dieses
Potenzial entfalten, wenn sie von einer Frau ausgetragen werden. Eine gezielte
Herstellung menschlicher Embryonen zum Zwecke der Verwertung bedeutet daher
nicht nur eine Verrohstofflichung von Embryonen, sondern auch eine weitreichende
und folgenschwere Veränderung des Selbstverständnisses des Menschen. |
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Das
so genannte therapeutische Klonen, also die Herstellung menschlicher Embryonen
aus Körperzellen, erfordert die "Gewinnung" von menschlichen Eizellen
in bisher ungekanntem Ausmaß. Denn die Zellkerne der Körperzellen
müssen in "entkernte" menschliche Eizellen transferiert werden, damit
ein solcher Embryo entstehen kann. Dazu bedarf es ungezählter Versuche
mit einer Vielzahl von Eizellen. Eine Eizellgewinnung ist jedoch ein invasiver,
medizinisch keineswegs risikofreier Eingriff, der im Falle der fremdnützigen
Verwendung für Dritte nicht mit einem Nutzen für die "Spenderinnen"
selbst gerechtfertigt werden kann. Die "Beschaffung" dieser Eizellen würde
tiefgreifende institutionelle Umstrukturierungen erfordern; in Deutschland
müsste hierzu zunächst ein Verbot der Eizellspende aufgehoben
werden. Darüber hinaus müsste womöglich ein System entweder
von positiven Anreizen (z. B. Eizellen gegen Geld) oder von negativen Sanktionen
(z. B. keine IVF-Behandlung ohne Eizell"spende") geschaffen werden, um
Frauen dazu zu bringen, ihre Eizellen zur Verfügung zu stellen - und
zwar in großer Zahl. Damit ist die Gefahr verbunden, dass Frauen
in die Rolle von Rohstofflieferantinnen gedrängt werden und in erster
Linie nicht mehr als Patientin, sondern als Ressourcenproduzentin wahrgenommen
werden. |
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Eine
Reihe von Krankheiten, die durch "therapeutisches Klonen" bekämpft
werden sollen, werden zum Teil auch durch Umweltschäden oder belastende
Lebens- und Arbeitsbedingungen mit hervorgerufen oder verstärkt (z.
B. Leberversagen und Alkoholismus oder Hautkrebs und die Zerstörung
der Ozonschicht ...). Es stellt sich die Frage, ob die Erforschung von
sozialen und psychischen Faktoren sowie die Verbesserung von Umweltbedingungen
noch angemessen verfolgt wird, wenn Forschungsmittel und die Hoffnungen
von Menschen in erster Linie auf rein technische Lösungen konzentriert
werden. Natürlich ist die Weiterentwicklung medizinischer Behandlungsmöglichkeiten
zu begrüßen, sofern sie nicht auf unmoralischen Voraussetzungen
beruht. Wissenschaft und Politik dürfen sich jedoch nicht auf die
Suche nach medizinisch-technischen Lösungen beschränken. |
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In
der Diskussion des "therapeutischen Klonens" wie der übrigen Stammzellforschung
wird suggeriert, in absehbarer Zeit neuartige Therapien für konkrete,
bislang nicht oder unzureichend behandelbare Krankheiten anbieten zu können.
Die in Aussicht gestellten therapeutischen Effekte beim Menschen sind jedoch
rein spekulativer Natur; der bisherige Stand der Forschung basiert nahezu
ausschließlich auf tierexperimentellen Befunden (Mäuse) und
erlaubt keine Voraussagen über konkrete therapeutische Optionen. |
Die wissenschaftliche Grundlage
für eine angemessene Nutzen-Risiken-Abwägung ist bislang keineswegs
gegeben. Die spärlichen Erkenntnisse aus Tierversuchen reichen hierfür
noch lange nicht aus. Niemand kann heute sagen, welche Ansätze für
welche Krankheiten erfolgsversprechend sein werden.
Dasselbe gilt für mögliche
Gefahren für die betroffenen Patienten. Es widerspricht aber der wissenschaftlichen
Redlichkeit, Hoffnungen für schwerkranke Patienten zu wecken, die
mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten werden können,
um die Etablierung eines neuen Forschungsfeldes politisch durchzusetzen.
Genau das ist aber in England geschehen.
Aus diesen Gründen rufen
wir die Öffentlichkeit, die Politik und die Wissenschaft auf, die
Etablierung des so genannten therapeutischen Klonens zu verhindern und
sich für die Suche nach besseren Wegen der Behandlung, aber auch der
Vorbeugung von Krankheiten einzusetzen, die nicht auf der Verrohstofflichung
von Menschen basieren.
Unterzeichner sind:
Rainer Beckmann, Richter,
Würzburg: PD. Dr. Kathrin Braun, Politikwissenschaftlerin, Universität
Hannover; Prof. Dr. Theresia Degener, Juristin, Ev. FH Bochum; Prof. Dr.
Linus Geisler, Innere Medizin, Universität Bonn; Dr. Sigrid Graumann,
Philosophin und Molekularbiologin, Universität Tübingen; Prof.
Dr. Therese Neuer-Miebach, Soziologin, Fachhochschule, Frankfurt a. M.;
Prof. Dr. Johannes Reiter, Katholischer Theologe, Universität Mainz;
Dr. Ingrid Schneider, Politikwissenschaftlerin, Hamburg; Dr. Michael Wunder,
Psychologe, Hamburg.
Beckmann, R., K. Braun,
T. Degener, L. Geisler, S. Graumann, T. Neuer-Miebach, J. Reiter, I. Schneider,
M. Wunder: Aufruf gegen die Verrohstofflichung des Menschen. Frankfurter
Rundschau, 02.01.2001, S. 5 |
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0101fr_aufruf.html |
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