Start  <  Artikelübersicht  <  Linus S. Geisler: ÜBERKREUZ-LEBENDSPENDE - CHIRURGISCHE ALLGEMEINE, November/Dezember 2004
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Aufgrund der Knappheit von Spenderorganen wird derzeit von verschiedenen Seiten eine Ausweitung der Lebendorganspende - und hier auch der sogenannten Überkreuz-Lebendspende - vorgeschlagen. Das Bundessozialgericht hat die notwendigen Voraussetzungen für eine solche Überkreuzspende nun nochmal festgelegt.
Überkreuz-Lebendspende

Sachstand, Rechtssprechung, Hintergründe

Von Linus S. Geisler
Die Überkreuz-Lebendspende - auch Crossover-Spende genannt - stellt quantitativ ein äußerst kleines Problem dar. Nach Einschätzung von Transplantationsmedizinern kommt sie in Deutschland für fünf bis sechs Paare pro Jahr infrage. Gemessen daran nimmt sie in der Lebendspendedebatte einen unverhältnismäßig großen Raum ein. Der Grund ist in der zurzeit durch Transplantationsmediziner und die Bundesärztekammer stark propagierten Ausweitung des Kreises der Lebendspender zu sehen. Die rechtliche Zulassung der Überkreuz-Lebendspende wäre der erste Schritt in diese Richtung.
Vielfach wird eine besondere persönliche Verbundenheit auch mit dem Argument der "Schicksalsverbundenheit" begründet

Die Überkreuz-Lebendspende ist eine besondere Variante der Lebendspende: Dabei fungiert bei zwei (Ehe-)Paaren jeweils ein Partner als Spender und einer als Empfänger für das andere Paar. Die Notwendigkeit zur Überkreuz-Lebendspende ergibt sich aus der Blutgruppeninkompatibilität innerhalb der Paare. Die meisten Nachfragen zur Überkreuz-Lebendspende kommen von Paaren, bei denen der/die Spender(in) die Blutgruppe A und der/die Empfänger(in) die Blutgruppe 0 besitzt. 

Nach § 8 Abs. 1 S. 2 TPG ist eine Überkreuz-Lebendspende unzulässig, weil die vom Gesetzgeber geforderte besondere persönliche Verbundenheit bei dieser Spender-Empfänger-Konstellation nicht vorliegt. Es wird allerdings argumentiert, entgegen dem Gesetzeswortlaut sei es für die Zulässigkeit der Überkreuz-Lebendspende ausreichend, wenn die besondere persönliche Verbundenheit nur zum eigenen Partner besteht. Denn die Spende erfolge nur, um dem eigenen Partner eine Spende von dritter Seite zu ermöglichen. Vielfach wird eine besondere persönliche Verbundenheit auch mit dem Argument der "Schicksalsverbundenheit" begründet. Das Erleiden und Erleben des gleichen, den täglichen Rhythmus prägenden Krankheitsschicksals führe im Regelfall zu einer persönlichen Nähebeziehung, die den gesetzlichen Voraussetzungen entspräche. Noch weiter gefaßt ist das Argument, die "allgemeine mitmenschliche Solidarität" bilde eine ausreichende Legitimation zur Lebendspende.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 10. Dezember 2003 die Überkreuz-Lebendspende nicht generell zugelassen
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 10. Dezember 2003 (Az: B 9 VS 1/01 R) deutlich gemacht, daß sich auch bei der Überkreuz-Lebendspende Spender und Empfänger in besonderer persönlicher Verbundenheit nahe stehen müssen. Die Verbundenheit müsse so stark sein, daß ihr Fortbestehen über die Operation hinaus erwartet werden kann, auch müsse sie auf unbefristete Dauer angelegt sein. Der Umstand, daß sich die Paare erst anläßlich der beabsichtigten Überkreuz-Lebendspende kennengelernt hätten, solle aber ebenso wie eine nur relativ kurze Dauer der Beziehung nicht von vorneherein gegen das Vorliegen eines Näheverhältnisses sprechen. Aus der Krankheitserfahrung könne auf einen "Gleichklang der Lebensverhältnisse" geschlossen werden, der regelmäßig einen starken emotionalen Bezug herstelle. Davon könne aber nicht generell ausgegangen werden, vielmehr seien stets die Einzelfallumstände entscheidend. 

Wörtlich heißt es in dem Urteil: "Allerdings würde es zu weit gehen, aus diesen Gegebenheiten den Schluß zu ziehen, die durch die Spende begründete Beziehung zu dem jeweiligen Partner des anderen Paares sei in der rechtlichen Wertung von vornherein der besonderen persönlichen Verbundenheit zum eigenen Partner gleichzustellen ...". Das Gericht hat die Überkreuz-Lebendspende also nicht generell zugelassen. Es ist bei dem Erfordernis eines besonderen Näheverhältnisses zwischen Spender und Empfänger geblieben, hat allerdings die Anforderungen daran abgeschwächt.

Sollte sich die sogenannte AB0-inkompatible (Blutgruppen-inkompatible) Nierentransplantation in größerem Umfang als klinisch praktikabel bewähren, entfiele ein wesentlicher Grund für die Überkreuz-Lebendspende. Die AB0-inkompatible Nierenlebendspende erlaubt beispielsweise die Transplantation der Niere eines Spenders mit der Blutgruppe A auf einen Empfänger mit Blutgruppe B. Die größten Erfahrungen stammen aus Japan mit rund einhundert publizierten AB0-inkompatiblen Nierenlebend-Transplantationen. Vor der Transplantation müssen beim Empfänger Antikörper gegen die fremde Blutgruppe durch Plasmapherese eliminiert und eventuell die Milz operativ entfernt werden. Ferner ist eine intensivierte medikamentöse Immunsuppression erforderlich. Die Ergebnisse sind also nicht ganz so günstig wie bei blutgruppenverträglicher Transplantation. In einer Studie der Mayo Clinic betrug die 1-Jahres-Überlebensrate für Transplantate von AB0-inkompatiblen Empfängern 89 Prozent im Vergleich zu 96 Prozent bei AB0-kompatiblen Patienten. Das Verfahren wird zum Teil noch als experimentell bewertet. In Deutschland liegen nur ganz vereinzelte Erfahrungen vor.
Lebendspende verstößt gegen das Fundamentalgebot der Schädigungsfreiheit medizinischen Handelns
Gegen eine Ausweitung der Lebendspende spricht generell, daß der Gesetzgeber mit der Subsidiaritätsklausel der Lebendspende ein eindeutiges Ziel verfolgt: Nämlich den Schutz des Spenders, dessen Organentnahme gegen das Fundamentalgebot der Schädigungsfreiheit medizinischen Handelns (primum nihil nocere) verstößt. Dieser Aspekt kommt in der aktuellen Debatte um die Lebendspende nicht selten zu kurz.

Die Frage, ob die Überkreuz-Spende eine Art Handelsverhältnis konstituiert, wird im Allgemeinen verneint, denn die Spendeakte sind, wenn auch indirekt, auf den je eigenen Partner und dessen Gesundheit bezogen. Der zu erwartende "Nutzen" für den Organspender ist kein anderer als bei der sonstigen Lebendspende eines Organs, während beim Organhandel der Nutzen in einer Geldzahlung oder einem geldwerten Vorteil liegt. Man könnte zwar von einem "Geschäft auf Gegenseitigkeit" sprechen, bei dem allerdings keine geldwerte Leistung erbracht wird. Insofern kann dieser Vorgang nicht als Handel klassifiziert werden. Ein erhöhtes Kommerzialisierungsrisiko erscheint wegen der gemeinsamen Problemlage der beteiligten Paare bei der Überkreuz-Lebendspende nicht gegeben.


Geisler, Linus S.: Überkreuz-Lebendspende - Sachstand, Rechtssprechung, Hintergründe
CHIRURGISCHE ALLGEMEINE, 5. Jahrgang, November/Dezember 2004, S. 464-465 
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2004/200412chaz-ueberkreuz-lebendspende.html

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