Start  <  Artikelübersicht  <  Linus Geisler: ENQUETE-KOMMISSIONEN UND BIOPOLITIK. ZEITSCHRIFT FÜR BIOPOLITIK, Nr.3/2002
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Enquete-Kommissionen und Biopolitik

Erfahrungen und Überlegungen am Beispiel der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin

von Linus Geisler
Enquete-Kommissionen (EK) zählen heute auf Bundesebene zu den wichtigsten Instrumenten der Politikberatung [1]. Sie stellen eine der entscheidenden Schnittstellen zwischen Politik, Wissenschaft und auch Öffentlichkeit dar. Naturgemäß bilden sie gleichzeitig die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Brennpunkte sowie Streitfragen ab, insbesondere wenn diese durch einen ausgeprägten Dissens bestimmt sind. So standen in den 60er und 70er Jahren "Fragen der Verfassungsreform", "Auswärtige Kulturpolitik" oder "Frau und Gesellschaft" auf den Themenlisten von EK. "Zukünftige Energiepolitik" beschäftigte in der 8. Wahlperiode des Bundestages (1976-1980) eine aus sieben Parlamentariern und acht Sachverständigen gebildete EK. 

Im Zuge der explosiven Entwicklung der Biowissenschaften trat die Auseinandersetzung mit der Gentechnologie und die Abschätzung von Technikfolgen in den Vordergrund des parlamentarischen Beratungsbedarfs (EK "Chancen und Risiken der Gentechnologie" sowie "Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung"). In der vergangenen Legislaturperiode waren neben den dominierenden biopolitischen Fragen Herausforderungen durch den demographischen Wandel und die Globalisierung der Weltwirtschaft Themenstellungen für EK.

EK können nach § 56 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages [2] zur "Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe", die das Parlament zu treffen hat, eingesetzt werden. Als Arbeitsgruppe aus Abgeordneten und Sachverständigen werden sie für jeweils eine Legislaturperiode berufen, sofern mindestens 25 Prozent der Mitglieder des Parlaments dies beantragen. EK stellen also, anders als beispielsweise der Nationale Ethikrat, parlamentarisch legitimierte Gremien dar. Die parlamentarischen Mitglieder werden von den jeweiligen Fraktionen entsandt. Die sachverständigen Kommissionsmitglieder gehören nicht dem Bundestag an. Es sind Wissenschaftler, die von den Fraktionen benannt und vom Bundestagspräsidenten in die Kommission berufen werden.

Die Aufgaben einer EK werden nicht selten in der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen (Wissen, Datenmaterial, Literatur) gesehen, wobei neben dem internen Sachverstand der Mitglieder externer Sachverstand, beispielsweise im Rahmen von Anhörungen oder durch Einholung von Gutachten herangezogen werden kann. Die Gewinnung und Verarbeitung von Informationen für das Parlament stellt jedoch keineswegs das einzige und wahrscheinlich nicht einmal das wichtigste Instrumentarium einer EK dar. Der Abschlussbericht einer EK wäre dann kaum mehr als eine Datensammlung. Viel wichtiger erscheint die Frage, mit welcher Zielrichtung eine EK die von ihr gewonnenen und aufgearbeiteten Informationen an das Parlament heranträgt. 

Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin (EKREM)

Am 24. März 2000 wurde die EKREM vom Deutschen Bundestag eingesetzt. Dies gelang erst nach einem längeren Anlauf. Noch im September 1999 hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen beschlossen, keine EK zur Biomedizin einzusetzen. Unter anderem wurde befürchtet, dies könne die Bioethikkonvention des Europarates stoppen oder den Beschluss nötiger Gesetze verzögern [3]. Auch um den Vorsitz der Kommission, der ursprünglich Wolfgang Wodarg (SPD) zugedacht war, entbrannten Auseinandersetzungen. Die Wahl von Margot von Renesse wurde in der Süddeutschen Zeitung als "Handstreich" im Streit um den Vorsitz der Kommission bezeichnet [4]. Die Kommission setzte sich aus 13 parlamentarischen Mitgliedern sowie 13 sachverständigen Mitgliedern zusammen, die weder dem Bundestag noch der Bundesregierung angehören durften.

Der Einsetzungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP vom 22.03.2000 [5] wurde unter anderem begründet mit der schnell fortschreitenden Entwicklung in Biologie und Medizin sowie mit neuen Ansätzen für Prävention, Diagnostik und Therapie bislang nicht oder nur begrenzt heilbarer Leiden. Diese Entwicklung, so lautete der Antrag, werfe zugleich "grundsätzliche ethische und moralische Fragen auf, die unser Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Behinderung berühren und die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit dem verfassungsmäßig gebotenen Schutz der Würde des Menschen stellen." 

Konkret angesprochen wurden Fragen der Fortpflanzungsmedizin und des Embryonenschutzes, der genetischen Diagnostik und des dazugehörenden Datenschutzes, der Allokation von Organersatz und der Xenotransplantation, des Klonens und des gezielten Eingriffs in die menschlichen Erbanlagen, ferner der Schutz des geistigen Eigentums an biologisch-medizinischen Innovationen sowie Probleme der Medizin an der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Im Einzelnen wurde der Auftrag der Enquete-Kommission folgendermaßen beschrieben:
den Sachstand über wichtige derzeitige und zukünftige Entwicklungen und daraus resultierende Probleme in der modernen medizinischen Forschung, Diagnostik und Therapie unter Einbeziehung ethischer, verfassungsrechtlicher, sozialer, gesetzgeberischer und politischer Aspekte darzustellen; 
die zugehörige Forschungspraxis zu untersuchen und insbesondere auf gesetzlich nur unvollständig geregelte Bereiche hinzuweisen; 
Kriterien für die Grenzen der medizinischen Forschung, Diagnostik und Therapie sowie ihrer Anwendungen zu entwickeln, die das unbedingte Gebot zur Wahrung der Menschenwürde beinhalten.
Darüber hinaus war es der Wunsch des Parlaments, die Kommission solle sich an der Beratung von Gesetzesvorhaben und an der Vorbereitung von Entscheidungen des Deutschen Bundestages beteiligen, die das Arbeitsprogramm der Kommission betrafen. Außerdem sollte sie durch ihre Arbeit zu einer Vertiefung des öffentlichen Diskurses über die mit der Entwicklung und Anwendung der Biotechnologie und der modernen Medizin verbundenen Fragen beitragen.

In diesem Zusammenhang erscheint es erwähnenswert, dass der Auftrag an die EKREM ausdrücklich auch die Entwicklung von Kriterien für die Grenzen der medizinischen Forschung umfasst. Offenbar ohne Kenntnis dieses Auftragsinhaltes hat das Herausarbeiten von Grenzkriterien gelegentlich der Kommission bzw. einzelnen Mitgliedern den Vorwurf fundamentalistischer Tendenzen eingetragen. 

Im Einsetzungsantrag war damit das gesamte Panorama der ethisch und rechtlich problematischen Aspekte der modernen Biomedizin in den Themenbereich der EK  einbezogen worden. Dass die umfassende und sorgfältige Aufarbeitung aller dieser Themen in den verbleibenden zwei Jahren bis zum Ende der 14. Legislaturperiode praktisch nicht geleistet werden konnte, war schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen. Der Untersuchungsauftrag einiger anderer EK nimmt sich dazu vergleichsweise eng gefasst aus. 

Es war daher eine kluge Entscheidung der EKREM deutliche Schwerpunkte zu setzen und den Mut aufzubringen nicht ausführlich und/oder abschließend beratene Themen in einem Kapitel "Desiderate" in ihrem Schlussbericht zu beschreiben [6]. Damit konnte eine umfassende Beratung besonders wichtiger oder politisch brisanter Fragen (z.B. Import embryonaler Stammzellen) erreicht werden. Für die Darstellung und Beratung zeitlich drängender Themenstellungen erfolgte auch die vorgezogene Veröffentlichung als Zwischenbericht vor der Fertigstellung des Schlussberichtes am 29. April 2002.

Im Verlauf ihrer Arbeit hat die Enquete-Kommission zwei solcher Zwischenberichte vorgelegt:
1. Der erste Zwischenbericht trug den Titel "Teilbericht zum Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie" (Bundestagsdrucksache 14/5157) und wurde im Januar 2001 fertig gestellt. Die Kommission nahm die Vorarbeiten zur Umsetzung der Biopatent-Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht zum Anlass, die Ergebnisse ihrer Beratungen über die künftige Entwicklung des Schutzes biotechnologischer Erfindungen vorzustellen.
2. Im November 2001 übergab die Kommission dem Bundestag ihren Zweiten Zwischenbericht mit dem Titel "Teilbericht Stammzellforschung" (Bundestagsdrucksache 14/7546) [7].

Grundlage dieses mehr als zweihundert Seiten umfassenden Berichts war ein Auftrag des Parlaments vom 5. Juli 2001. Damals hatte der Bundestag festgelegt, sich noch im laufenden Jahr mit der Frage der Forschung an importierten humanen embryonalen Stammzellen zu befassen und dabei eine Stellungnahme der Enquete-Kommission zu berücksichtigen (Bundestagsdrucksache 14/6551). Der Bericht enthält im Anhang auch den stenographischen Bericht der 214. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 2002 (Plenarprotokoll 14/214) zu den drei Zusatztagesordnungspunkten, die sich mit Alternativen der rechtlichen Reglung des Imports menschlicher embryonaler Stammzellen beschäftigen. Diese Debatte wurde von politischer Seite und in der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Ein wesentlicher Anteil der Arbeit der EKREM wurde innerhalb ihrer drei Themengruppen geleistet (Reproduktionsmedizin und Embryonenschutz, angewandte medizinische Forschung und neue diagnostische und therapeutische Verfahren sowie Genetische Daten). Die Themengruppen untersuchten ausgewählte Entwicklungen und Verfahren in der Medizin aus ethischer, verfassungsrechtlicher, sozialer, gesetzgeberischer und politischer Sicht und bereiteten die Empfehlungen der EK vor. 

Schwerpunktmäßige Themenfelder des Abschlussberichtes waren:
In-vitro-Fertilisation (IVF) und Präimplantationsdiagnostik (PID) sowie
Genetische Daten.
Der 600 Seiten umfassende Schlussbericht enthält darüber hinaus Beiträge zu Menschenwürde und Menschenrechten, zu individual- und sozialethischen Orientierungspunkten, zum Komplex Diskurs und Partizipation so wie allgemeine Empfehlungen zur Weiterführung der Ethikdebatte.

Biopolitisches Klima

Die EKREM, eingesetzt im Lauf des zweiten Jahres der Legislaturperiode und sozusagen behaftet mit dem Mangel der "späten Geburt", startete ihre Tätigkeit zu einem Zeitpunkt, in dem der Diskurs über Fragen der Biomedizin in einem zuvor kaum gekannten Ausmaß die Themenfelder von Gesellschaft, Politik, Wissenschaften, Medien und Kirchen bewegte. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes im Sommer 2000, die kurz davor gezeigte Möglichkeit menschliche embryonale Stammzellen in Kulturen zu züchten, die rasanten Fortschritte der genetischen Diagnostik durch eine hocheffiziente Chiptechnologie, 
kontrovers diskutierte Patenterteilungen auf "biologische Materialien" durch das Europäische Patentamt u. a. bildeten den Zündstoff für Debatten ebenso in wissenschaftlichen Gremien und kirchlichen Akademien wie in den Feuilletons renommierter Tageszeitungen und in Talkshows. In Dutzenden biomedizinischen und biopolitischen Artikeln, zum Teil auf hohem Niveau, trug insbesondere die Frankfurter Allgemeine Zeitung dazu bei, die Vielfalt und Brisanz dieser Themen in der Öffentlichkeit bewusst zu machen und ständig "am Kochen" zu halten. Die FAZ vom 5. September 2001 sprach vom "heißen Herbst der Biopolitik", in dem weitreichende Entscheidungen zur Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik, grünen Gentechnik und über Biopatente getroffen werden müssten [8]. Erst im Sommer 2000 habe sich in Berlin die Biopolitik als eigenständiges Feld etabliert. 

Fast alle dieser Debatten wiesen als Schwachpunkt eine oft nur ungenaue Trennung zwischen Darlegung des jeweiligen Sachstandes auf der einen und politischer, ethischer und rechtlicher Bewertung auf der anderen Seite auf. Eine Durchtränkung mit weltanschaulichen und emotional gefärbten Argumenten diente nicht eben der Transparenz des Gegenstandes.

Gerade aus dieser Erfahrung heraus bemühte sich die EK um eine streng systematische Aufarbeitung ihrer Themen, getrennt nach Sachstand, ethischer Bewertung mit Blick auf die Ziele und die Mittel und rechtlicher Bewertung, gefolgt von differenzierten Empfehlungen für das Parlament.

Stammzellforschung als biopolitischer Zündstoff

An kaum einer Frage entzündete sich die biopolitische Debatte intensiver als an der Gewinnung, Verarbeitung und dem Import von menschlichen embryonalen Stammzellen. Das Interesse an diesem Forschungszweig wurde schlagartig geweckt, nachdem 1998 erstmals humane embryonale Stammzellen isoliert und kultiviert werden konnten [9].

Stammzellen sind Zellen, die sich durch Zellteilung selbst erneuern und in einzelne oder mehrere Zelltypen ausreifen können. Sie eignen sich deshalb vor allem für den Zell- und Gewebeersatz, nicht aber für die "Züchtung von Organen aus der Retorte" (wie immer wieder in der Laienpresse behauptet wird). Damit verbinden sich langfristig Hoffnungen auf neue therapeutische Maßnahmen bei Krankheiten, die bislang als nur unbefriedigend behandelbar gelten. Die Stammzellforschung strebt zudem ein vertieftes Verständnis der Entwicklung von Zellen, Geweben und Organen an (Entwicklungsbiologie). 

Nach ihrer Herkunft unterscheidet man 
embryonale Stammzellen, gewonnen aus Embryonen, die durch In-vitro-Fertilisation entstanden sind (sog. "überzählige" Embryonen)
durch Zellkerntransfer erzeugte embryonale Stammzellen (sog. "therapeutisches Klonen") 
embryonale Keimzellen aus Schwangerschaftsabbrüchen,
neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut und 
adulte oder somatische Stammzellen, die gewebespezifisch und in jedem Lebensalter zu finden sind. 
Die Herkunft der Stammzellen bestimmt entscheidend das Gewicht der ethischen Problematik. Die Gewinnung von Stammzellen aus sog. überzähligen Embryonen oder durch sog. therapeutisches Klonen [10], die zwangsläufig einen "Embryonenverbrauch" voraussetzen, besitzt naturgemäß die höchste ethische Brisanz.

Für die rechtliche Beurteilung der Forschung an Embryonen und die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen ist das Embryonenschutzgesetz (ESchG) vom 13. Dezember 1990 maßgeblich. Das Embryonenschutzgesetz geht von einer umfassenden Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos in vitro aus. Die gesetzliche Regelung erfasst den Embryo in vitro bis zu seiner Einnistung im Uterus der Frau. Mit dem Embryo darf nichts geschehen, was nicht seiner Erhaltung dient [11]. Die künstliche Befruchtung einer Eizelle und damit die Herstellung eines Embryos in vitro ist nur zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erlaubt [12]. 

Als Embryo im Sinne des Embryonenschutzgesetzes gilt "bereits die einzelne befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag." [13]

Damit ist die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken und die Forschung an Embryonen und einzelnen totipotenten Zellen in Deutschland verboten. Das Verbot erstreckt sich auch auf solche Embryonen, die zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft hergestellt wurden, aber nicht mehr dafür verwendet werden können, etwa wegen nicht nur vorübergehender Erkrankung der Frau. Mit den Verboten, mehr Eizellen zu befruchten als der Frau innerhalb eines Zyklus übertragen werden können und mehr als drei Embryonen innerhalb eines Zyklus zu übertragen (§ 1 Abs. 1 Nrn. 3 und 5), zielt das Embryonenschutzgesetz darauf ab, die Entstehung von sog. "überzähligen" Embryonen, also solchen Embryonen, die auf die Dauer nicht mehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden können, zu vermeiden. [14]

Verbot oder Zulässigkeit eines Imports von humanen embryonalen Stammzellen sind im ESchG nicht geregelt, weil die Idee oder sogar die Möglichkeit der Vernutzung von Embryonen zu Forschungszwecken damals noch nicht konkret zur Debatte stand. In § 2 ESchG sollte umfassend eine Verwendung des extrakorporal verfügbaren Embryos zu anderen als Fortpflanzungszwecken ausgeschlossen werden [15]. Das Fehlen eines ausdrücklichen Verbots des Imports von menschlichen embryonalen Stammzellen wurde später als Regelungslücke interpretiert und der Import daher, insbesondere von seiten der Forschung als nicht rechtswidrig angesehen. Dem wurde entgegen gehalten, dass die Rechtslage zum Import dem Geist des Embryonenschutzgesetzes widerspricht.

Die Perspektive der Forschung geben die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Stammzellimport vom Mai 2001 wieder. In ihnen wurde von der Rechtmäßigkeit des Imports humaner embryonaler Stammzellen ausgegangen:
"Akzeptiert man daher, dass Rechtsunterschiede im internationalen Vergleich nicht per se anstößig sind und Handlungen im Ausland, abgesehen von Fällen weltweit geächteten Unrechts, an den jeweils dort geltenden Rechtsvorstellungen zu messen sind, dann gibt es mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie der Forschungsfreiheit keine Rechtfertigung dafür, die Forschung mit legal im Ausland hergestellten embryonalen Stammzellen grundsätzlich auszuschließen. Die DFG spricht sich daher dafür aus, die bestehende rechtliche Zulässigkeit des Imports menschlicher embryonaler Stammzellen nicht einzuschränken. Allerdings sollen
nach Auffassung der DFG nur Stammzellen importiert werden dürfen, die aus sogenannten "überzähligen" Embryonen gewonnen wurden [16]."

Die Regelungsoptionen und Empfehlungen der EKREM zur Forschung an importierten embryonalen Stammzellen können als modellhaft für das prinzipielle Vorgehen der Kommission angesehen werden. Zunächst wurde der grundsätzliche Konsens der Kommissionsmitglieder formuliert und danach Regelungsalternativen aufgezeigt. Die Kommission ging von folgender gemeinsamer Position aus:

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin" hielt angesichts der ethischen Konflikte die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, wobei menschliches Leben vernichtet wird, auch weiterhin für nicht verantwortbar. Sie war sich darin einig, dass die Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken verhindert werden sollte und sprach sich dafür aus, das hohe Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes beizubehalten. 

Zur Frage des Imports menschlicher embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken wurden in der Enquete-Kommission zwei Argumentationslinien entwickelt, wobei beide Positionen in der Auffassung übereinstimmten, dass die erforderlichen Regelungen gleichermaßen für den öffentlichen wie für den privaten Sektor gelten müssten und deshalb auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden sollten:

Argumentation A:

Die Enquete-Kommission spricht sich in Würdigung aller Argumente gegen den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen aus. Sie ist der Meinung, dass der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten, um den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen zu verhindern. 
Die Enquete-Kommission hält die Verwendung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken, auch wenn diese im Ausland stattfindet, ethisch für nicht vertretbar und wissenschaftlich für nicht ausreichend begründet. Die notwendige Grundlagenforschung kann mit Stammzellen anderer Herkunft (embryonale Stammzellen von Primaten, Nabelschnurblut-Stammzellen, adulte Stammzellen u. a.) in ausreichendem Maße verfolgt werden, ohne das Tor für die Verzweckung von menschlichen Embryonen zu öffnen."

Argumentation B:

Nach den Beratungen der Enquete-Kommission erscheint es zweifelhaft, ob ein vollständiges Verbot des Imports von menschlichen embryonalen Stammzellen, die im Ausland aus Embryonen gewonnen wurden, verfassungs- und europarechtlich begründet werden kann. Der Import von menschlichen embryonalen Stammzellen ist daher unter engen Voraussetzungen zu tolerieren. Die Erfüllung der Voraussetzungen ist von einer transparent arbeitenden staatlich legitimierten Kontrollbehörde zu überwachen.
Als notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit des Imports sieht die Enquete-Kommission insbesondere an: Beschränkungen des Imports auf die derzeit bereits vorhandenen, aus kryokonservierten sog. "überzähligen" Embryonen gewonnenen embryonalen Stammzelllinien (Festlegung eines bestimmten Stichtages entsprechend der "Bush-Regelung" vom 9. August 2001); Darlegung der Geeignetheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Forschungsprojektes, für das der Import beantragt wird; Nachweis eines qualifizierten informed consent.
Ein Import ist unter diesen engen Genehmigungsvoraussetzungen im Rahmen einer ethischen Abwägung tolerierbar, zumal mit der Beschränkung der Zulässigkeit des Imports auf die derzeit bereits vorhandenen Stammzelllinien die Tötung weiterer Embryonen zu Forschungszwecken verhindert wird.
Diese Importregulierung ist an die Gewährleistung des Embryonenschutzes in Deutschland auf seinem bisherigen hohen Niveau zu binden." [17]

Für die Argumentation A sprach sich mit 26 namentlich aufgeführten Stimmen die Mehrheit des Kommissionsmitglieder aus. Für die Argumentation B stimmten 12 Mitglieder, darunter die Vorsitzende.

Die Analyse zeigt, dass sich die beiden Argumentationslinien auf sehr unterschiedliche Voraussetzungen stützen. Position A führt vor allem ethische und wissenschaftliche Argumente ins Feld. Position B argumentiert in erster Linie mit der Schwierigkeit, ein Importverbot verfassungs- und europarechtlich durchzusetzen, weshalb der Import unter engen Voraussetzungen zu tolerieren sei. Sie geht ferner davon aus, dass mit der Beschränkung der Zulässigkeit des Imports auf die derzeit bereits vorhandenen Stammzelllinien (Stichtagsregelung) die Tötung weiterer Embryonen zu Forschungszwecken verhindert werde. 

Mit diesen Regelungsalternativen hat die Kommission einen Kern an konsensfähigen Inhalten dargestellt, aber dann keine einheitliche Empfehlung abgegeben, sondern eine "Gabelung" der Argumentationslinien erarbeitet, allerdings mit unterschiedlichen Mehrheiten. Hier stellt sich die Frage, ob diese unterschiedlichen Mehrheiten als weitere indirekte "Empfehlung" an das Parlament zu verstehen sind. Warum dies zu verneinen ist, wird später begründet.

Das Stammzellgesetz (StZG)

Der Teilbericht Stammzellforschung (Drucksache 14/7546) wurde am 30. Januar 2002 in einer fast vierstündigen Sitzung im Deutschen Bundestag in Form dreier fraktionsübergreifender Anträge beraten. Erwartungsgemäß tauchten die Argumente des Teilberichts in der Debatte in vielfältiger Weise auf. So wurden zum Beispiel die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein totales Importverbot [18] oder das Argument der Schutzwürdigkeit des Embryo von Anfang an [19] in den Debatten immer wieder eingebracht. Von radikalen Verfechtern eines uneingeschränkten Importverbotes wiederum wurde die Stammzellforschung als unverzichtbar angesehen ("menschenfreundliche Basisinnovation des 21. Jahrhunderts") und zwar ebenfalls mit dem Menschenwürdeargument [20].

In der 2. Abstimmung (Schlussabstimmung) wurde der Antrag "Keine verbrauchende Embryonenforschung: Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen" (Drucksache 14/8102) der Abgeordneten Maria Böhmer, Margot von Renesse, Andrea Fischer u.a., der den Import embryonaler Stammzellen unter Auflagen zulässt, mit 339 von 618 Stimmen angenommen. Er entspricht im Kern der Argumentationslinie B. Damit war eine Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse im Vergleich zu den Empfehlungen des Stammzellberichts zu verzeichnen. Dieser Antrag wurde im wesentlichen inhaltlich in das Stammzellgesetz vom 28. Juni 2002 (Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen – StZG) übernommen.

Das StZG verbietet in § 4 zwar grundsätzlich die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen, erlaubt aber unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen doch den Import (§ 5). So müssen hochrangige Forschungsziele oder die Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren beim Menschen angestrebt werden, und der Erkenntnisgewinn soll voraussichtlich nur mit embryonalen Stammzellen erreichbar sein. Diese Prämisse erscheint allerdings fragwürdig, da sie einen nicht unerheblichen Erkenntnisgewinn über embryonale Stammzellen voraussetzt.

Die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken setzt voraus, dass
die embryonalen Stammzellen im Herkunftsland vor dem 1. Januar 2002 gewonnen und in Kultur gehalten wurden (Stichtagsregelung)
die Stammzellen aus Embryonen stammen, die für die künstliche Befruchtung erzeugt wurden und "überzählig" sind und 
kein Entgelt oder geldwerter Vorteil für die Überlassung der Embryonen geleistet wurde.
Die genauere Analyse zeigt, dass das neue StZG nicht nur einseitig einer einzelnen Argumentationslinie folgt. Das hohe Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes wird beibehalten und der Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verboten. Die Ausnahmen vom Importverbot sind enggefasst und nur für hochrangige und alternativlose Forschungsziele zulässig. Nicht zu Unrecht wurde allerdings kritisiert, dass Alternativlosigkeit und Hochrangigkeit in der Forschung normativ nicht unumstrittene Begriffe sind. Hochrangigkeit ist häufig erst a posteriori zu belegen, und Alternativlosigkeit im strikten Sinne äußerst selten gegeben.

Konkret betrachtet hat der Stammzellbericht der EnqueteKREM dem Parlament einen umfassenden Informationsstand über die Stammzellforschung geboten und sich mehrheitlich in einer Argumentationslinie gegen den Import humaner embryonaler Stammzellen ausgesprochen. Die parlamentarische Debatte über diesen Bericht hatte dann jedoch zu einer gesetzlichen Regelung geführt, die den Import grundsätzlich verbietet, in engen Grenzen jedoch für Forschungszwecke zulässt.

Auswirkungen des Stammzellgesetzes

Das Stammzellgesetz ist vielfach als nicht befriedigender Kompromiss zwischen den Wünschen der Forschergemeinde und den Vertretern eines von Anfang an umfassenden Würde- und Lebensschutzes menschlicher Embryonen bewertet worden. Was einerseits als Einengung der Forschungsfreiheit ausgelegt wurde, erschien andererseits als Beginn der Aushöhlung des Embryonenschutzes. Gerade die Hauptintention des Gesetzes, dem Verbrauch von Embryonen insgesamt für die Forschung einen wirksamen Riegel vorzuschieben, erscheint nicht gesichert. Diesen Zweifel habe ich an anderer Stelle begründet [21].

Die Kritik der Forscher richtete sich vor allem gegen die Stichtagsregelung. Sie erlaube lediglich den Import von Stammzelllinien, die nicht nach neuesten Standards etabliert worden und deshalb für bestimmte Fragestellungen a priori nicht aussagefähig seien. Im internationalen Wettbewerb der Stammzellforschung bedeute dies einen gravierenden Nachteil. Auch die mögliche Kontaminierung mit infektiösem Material schließe die Verwendung für therapeutische Ansätze beim Menschen aus. 

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) übte ungewöhnlich deutliche Kritik am Bundestag und dessen forschungspolitischen Entscheidungen. Durch sie drohe die deutsche Wissenschaft international ins Hintertreffen zu geraten. Auf der Jahresversammlung der DFG in Bonn kritisierte der damalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker dabei vor allem das seit Juni 2002 geltende Stammzellgesetz und die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz. Beides seien Beispiele für eine "provinzielle Praxis deutscher Parlamentsarbeit" [22]. Begrüßt wurde die im §15 StZG vorgesehene Regelung, wonach die Bundesregierung dem Bundestag im Abstand von zwei Jahren, erstmals zum Ablauf des Jahres 2003, einen Erfahrungsbericht über die Durchführung des Gesetzes zu übermitteln hat. 

Die Kirchen in Deutschland würdigten hingegen die Arbeit der EKREM und ihre Impulse für die öffentliche Diskussion [23]. Sie habe mitbewirkt, dass in den jüngsten Debatten des Parlaments zu biopolitischen Fragen ethische Aspekte über die Parteigrenzen hinweg erörtert worden seien. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sprach dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin" deutliches Lob aus. Der Bericht sei es "wert, gründlich studiert zu werden und verdient es nicht, in Schubladen zu verschwinden" [24]. 

In der Debatte des Bundestages über die Arbeit der Kommission am 13. Juni überwog ein positives Echo. Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) bewertete die Arbeit der Bundestags-Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin als vorbildlich. Die Kommission habe mit ihrem Abschlussbericht nicht nur eine gute Vorlage für das Parlament gegeben, sagte Däubler-Gmelin. Sie sei mit ihrer Arbeit auch ein Vorbild dafür, wie demokratische Institutionen mit neuen Fragen, wie sie sich etwa aus der Gentechnik ergeben, umgehen können [25]. 

Dass das deutsche Stammzellgesetz möglicherweise auch im europäischen Raum eine gewisse Wirkung entfaltet hat, ist an der Tatsache abzulesen, dass bis Ende 2003 keine EU-Gelder für die Forschung an embryonalen Stammzellen bereitgestellt werden. Im sechsten Forschungsrahmenprogramm der EU wurden praktisch die deutschen Auflagen für die Stammzellforschung übernommen [26]. 

Was sollen und was können Enquetekommissionen für die Politik leisten? 

Eine bemerkenswerte Einschätzung der Auswirkungen der Enquetearbeit auf das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren stammt von der Vorsitzenden der Kommission Margot von Renesse: "Ich denke, dass wir ein Stück weitergekommen sind, wenn wir – wie wir das beim Stammzellgesetz versuchsweise getan haben, wie schlecht und recht auch immer – Wege finden, Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen, ohne letzte Fragen zu entscheiden. Vieles von dem, was wir entscheiden, ist nur scheinbar prinzipiell. Viel von unseren Erfahrungen, Einschätzungen, Sorgen und Ängsten kommt hinzu. Ich denke, das alles gehört mit zur Realität." [27]

Politik, schreibt Volker Gerhardt, sei "als ganze ein riskanter Großversuch mit dem Leben" [28]. Das gilt in noch strengerem Maße für Biopolitik. Sie soll nichts Geringeres als den Umgang der Gesellschaft mit dem Leben regeln und zwar auf Feldern, die eine bisher nie für denkbar gehaltene Einflussnahme auf frühestes menschliches Leben ermöglichen, Verwerfung und Vernutzung menschlicher Embryonen eingeschlossen. Dabei stehen ethisch bedenkliche Eingriffsmöglichkeiten in einem starken Spannungsbogen zu möglicher Linderung oder gar Verhinderung menschlichen Leidens. Dieser Spannungsbogen, dessen Auflösung im öffentlichen Diskurs oftmals als unmöglich erscheint, darf nicht verhindern, dass gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die ein "rechtes Leben" ermöglichen. Einem Parlament kann nicht auch noch die Bürde aufgeladen werden über "letzte Fragen" zu entscheiden. Die Politik wiederum kann einer sie beratenden Kommission, wie z.B der EKREM nicht eine Antwort auf derartige "letzte Fragen" abverlangen. 

EK sollen daher nicht alternativlose Regelungsmodelle anbieten, sondern (auch) Entscheidungsgabelungen, die sorgfältig untermauerte, unterschiedliche Argumentationslinien widerspiegeln. Es geht nicht um eine plakative Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Positionen, sondern um das Aufzeigen von verschiedenen Regelungsalternativen für das Parlament.

Die "Dienstleistung", die eine EK für das Parlament erbringen kann, ist in erster Linie eine sorgfältige Differenzierung und Gewichtung von Problemen und Positionen. Soweit Konsens über unverrückbare ethische Grenzen besteht, hat sie diese aufzuzeigen. Bei abweichenden Meinungen sollte sie für das Parlament Gabelungen für die möglichen Entscheidungen und Regelungsalternativen aufzeigen, wobei Enqueteinterne Mehrheitsverhältnisse eine eher untergeordnete Rolle spielen. Denn EK können aufgrund ihrer Zusammensetzung keine Abbildung der Meinung der Gesellschaft im Maßstab 1:1 sein. 

Was das Parlament von einer EK erwarten kann, ist neben der Darstellung des aktuellen Sachstands das Aufzeigen des Regelungsbedarfs und der Regelungsmöglichkeiten sowie die Unterbreitung von Regelungsvorschlägen - durchaus auch im Sinne von Regelungsalternativen. Es kann jedoch nicht Aufgabe einer EK sein, Entscheidungen des Parlaments zu präformieren, die politische Auseinandersetzung vorwegzunehmen oder Bühne für parlamentarische Auseinandersetzungen zu sein. 

Schlussberichte einer EK, können ebenso wenig wie gesetzliche Entscheidungen in der Biopolitik ein letztes Wort in ethisch-philosophischen Grenzfragen darstellen. Regelungen in der Biopolitik zeitlich zu begrenzen oder eine zeitnahe Rechtsfolgenabschätzung zu bestimmen, erscheint als sinnvoll.

Eine neue Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin?

Von den verschiedensten Seiten wurde auch für die gegenwärtige Legislaturperiode die Einsetzung einer Enquetekommission, die sich mit ethischen und rechtlichen Fragen der Biomedizin beschäftigt, für sinnvoll und notwendig angesehen [29]. Dies einmal mit Hinweis auf die umfangreichen Desiderate der jetzt zu Ende gegangenen EK, vordringlicher jedoch im Hinblick auf die großen Zukunftsprobleme der Biomedizin. Sie reichen von Eingriffen in die Keimbahn mit dem Ziel der Eliminierung "schädlicher" genetischer Faktoren, aber auch der "Optimierung" (enhancement) des Erbgutes bis zu der Frage, ob menschliches Leben für menschliches Leben genutzt werden darf und in wieweit durch solche Eingriffe das normatives Selbstbild des Menschen verändert wird [30]. Hier eine qualifizierte Debatte vorzubereiten und gesetzliche Regelungsmöglichkeiten oder -alternativen zu erarbeiten dürfte sich als besonders verantwortungsvolle Herausforderung erweisen.

In einem eigenen Kapitel zur "Struktur der Ethikdebatte in Deutschland und im Ausland" hat die EKREM in ihrem Schlussbericht dem Deutschen Bundestag empfohlen, sich mit der Frage der Kultur der Ethikdebatte in Deutschland und ihrer adäquaten Förderung und Organisierung zu befassen und eine geeignete Institution zu schaffen, die im Dialog mit der Öffentlichkeit die parlamentarische Debatte und Entscheidung in medizin- und bioethischen Fragen angemessen vorbereitet und begleitet. Dies sollte in der Arbeitsweise einer Enquete-Kommission oder in Form einer ständigen Kommission geschehen, auf der nicht der Zeitdruck der Begrenzung auf eine Legislaturperiode lastet. Es sei darauf zu achten, dass
 
die erforderliche demokratische Legitimation durch Beschluss des Bundestages gewährleistet ist;
die sachliche Kompetenz vorhanden ist;
die Unabhängigkeit der Arbeit gewährleistet ist. Erwägenswert ist eine Ansiedlung beim Bundespräsidenten oder beim Deutschen Bundestag;
die Gefahr einer Delegation der parlamentarisch zu treffenden Entscheidungen vermieden wird (kein Stellvertreter-Gremium für die Volksvertreterinnen und Volksvertreter);
ein angemessener Austausch mit dem Parlament stattfindet;
die Beratungsprozesse, die Positionen der beteiligten Akteure und die Arbeitsergebnisse transparent gemacht werden;
die Vernetzung mit der öffentlichen Debatte und den gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, mit der wissenschaftlichen Entwicklung und den Institutionen
der Wissenschaft, den Gremien der beruflichen Selbstverwaltung und den bereits bestehenden Einrichtungen im Bereich der Medizin- und Bioethik angemessen
hergestellt wird und
die notwendige Partizipation an der europäischen und internationalen Debatte und Entscheidungsfindung erfolgt.

Ebenso hat die Kommission dem Bundestag empfohlen, für den notwendigen Dialog mit der Öffentlichkeit folgende Instrumente aufzugreifen oder auszubauen:
 
die aktuelle Unterrichtung der Öffentlichkeit durch Berichte, Gutachten, Stellungnahmen u.ä. unter Nutzung der Möglichkeiten des Internets;
Dialogveranstaltungen und öffentliche Anhörungen;
Kooperation mit Gremien und Institutionen außerhalb des Parlaments;
Förderung von Möglichkeiten des Dialogs innerhalb der Gesellschaft mit Hilfe des Internets (Online-Foren und -Konferenzen u.ä.);
intensive Zusammenarbeit mit den Medien.

Schlussbemerkungen

Es ist abzusehen, dass die Politik schon in naher Zukunft durch rasante Fortentwicklungen der Biomedizin noch mehr als bisher vor kaum gekannte Herauforderungen gestellt werden wird. Der Bundestag steht gegenüber den Bürgern in der Pflicht, demokratische Kontrolle und parlamentarische Verantwortung in der Biomedizin wahrzunehmen [31]. Die Aufgabe, zwischen dem Möglichen und dem Verantwortbaren, dem Wünschenswerten und dem ökonomisch Leistbaren möglichst eindeutig zu differenzieren, wird er angesichts der Komplexität der Materie alleine nicht zu leisten vermögen. Auf die Beratung durch parlamentarisch legitimierte, sachkundige und unabhängige Gremien wird die Legislative nicht verzichten können. Diese sollen weder die parlamentarische Debatte ersetzen noch gesetzliche Regelungen präformieren. Ihre Aufgabe ist die Darstellung und Gewichtung von Problemen, das Aufzeigen von Grenzen und die Erarbeitung von Regelungsempfehlungen, wobei durchaus mehrere begründete Alternativen entwickelt werden können. Dabei sollte die europäische und internationale Ethikdebatte im Blickfeld behalten werden. Enquete-Kommissionen erfüllen in der Regel diese Voraussetzungen. Der Ort der Entscheidung bleibt auch in Zukunft das Parlament.
 
 

Literatur:

[1] Heyer, Chr., St. Liening: Stichwort Enquete-Kommissionen. Deutscher Bundestag. Referat Öffentlichkeitsarbeit.

[2] Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT)

[3] Emmrich, M.: Der Streit beginnt nach der Einigung. Im Blickpunkt: Weichen für Kommission zu moderner Medizin gestellt. Frankfurter Rundschau, 23.02.2000

[4] Süddeutsche Zeitung vom 25./26. März 2000: "Die SPD-Abgeordnete war ursprünglich eine Gegnerin jener Kommission, für deren Vorsitz sie nun vorgeschlagen wird."

[5] Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Einsetzung einer Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin. Bundestagsdrucksache 14/3011 vom 22.03.2000

[6] Schlussbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin. Desiderate, S. 409-445. Zur Sache 2/2002.

[7] Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin: Stammzellforschung und die Debatte des Deutschen Bundestages zum Import von menschlichen embryonalen Stammzellen. Zur Sache 1/2000.

[8] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2001, Nr. 206 / Seite 5

[9] Thomson, J. A. et al: Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts. Science 282,1145-1147, 1998.

[10] Beim sog. therapeutischen Klonen ergibt sich eine zusätzliche ethische Problematik durch den hohen Bedarf an weiblichen Eizellen.

[11] § 2 Abs. 1 ESchG: "Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Abs. 2: "Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt."

[12] § 1 Abs. 1 Nr. 1 ESchG: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ... es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, ...". 

[13] Vgl. § 8 Abs. 1 ESchG. 

[14] Das Embryonenschutzgesetz hat in diesem Punkt seine Wirkung effektiv entfaltet, da es auch nach elfjähriger Geltung nach Kenntnis der Behörden nur wenige sog. "überzählige" Embryonen in Deutschland gibt. 

[15] Keller, R. et al: Embryonenschutzgesetz – Kommentar zum Embryonenschutzgesetz. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln. 1992.

[16] Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen 3. Mai 2001.

[17] Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin: Stammzellforschung und die Debatte des Deutschen Bundestages zum Import von menschlichen embryonalen Stammzellen. Zur Sache 1/2000. S. 136.

[18] Margot von Renesse (SPD): "Ich meine, dass ein "Nein-Gesetz" an der Klippe der Verfassung scheitern würde. Der "TÜV" in Karlsruhe könnte anderer Meinung sein."

[19] Wolfgang Wodarg (SPD): "Alle Menschen in allen Entwicklungsphasen haben Anteil an der Menschenwürde."

[20] Peter Hintze (CDU/CSU): "Uns geht es um die Menschenwürde, um den Respekt vor der Würde des Menschen, der auch darin seinen Ausdruck findet, dass wir unsere Kraft, unsere Fähigkeit und unseren Willen einsetzen, damit Menschen geholfen wird..."

[21] Geisler, L.: Stammzellen - Rechtliche Aspekte. Vortrag anlässlich der Tagung "Deutscher Arzt Recht Tag 2002" am 9. März 2002 in Frankfurt/Main: "Es gibt gute Gründe zu bezweifeln, dass das geplante Gesetz dem Verbrauch weiterer Embryonen zur Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen tatsächlich entgegenwirken kann. Jede nach Deutschland importierte Stammzelllinie reduziert den Gesamtbestand der Stammzelllinien im Ausland und damit das verfügbare "Angebot". Dadurch entstehen verstärkte Anreize zur Tötung weiterer Embryonen für die Etablierung neuer Stammzelllinien. Das gleiche gilt, wenn sich erweisen sollte, dass die vorhandenen Stammzelllinien qualitativ den Ansprüchen der Forschung nicht genügen. Dieses Gesetz wird allenfalls - zeitlich begrenzt - verhindern können, dass weitere Embryonen für die deutsche Forschung verbraucht werden, nicht aber wegen der Embryonenforschung in Deutschland."

[22] "Deutscher Wissenschaft droht Rückfall", Süddeutsche Zeitung, 04.07.2002

[23] Gemeinsames Schreiben von Kardinal Lehmann und Präses Manfred Kock an die Mitglieder der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin vom 14. Mai 2002.

[24] Die Welt, 05.06.2002 (Politik/Deutschland)

[25] Deutsches Ärzteblatt Online, 14.06.2002

[26] Netzeitung, 30.09.2002: EU übernimmt deutsche Auflagen für Stammzellforschung

[27] 242. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Juni 2002, Tagesordnungspunkt 7.

[28] Gerhardt, V.: Was Biopolitik ist und was gegen sie spricht. Zeitschrift für Biopolitik. Nr. 1, Jahrgang 2002 S. 43-47.

[29] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.2002, Nr. 253 / Seite 1

[30] Honnefelder, L.: Dialogveranstaltung der EKREM am 3. Juni 2002 in Karlsruhe

[31] Hubert Hüppe (MdB), ehemaliger Stellvertretender Vorsitzender der EKREM. Pressemitteilung vom 17. Oktober 2002. "Ein richtiger erster Schritt ist hierbei die zügige Wiedereinsetzung einer Enquete-Kommission, wie sie auch der Schlussbericht der Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" (BT-Drs. 14/9020) empfohlen hat."
 


Geisler, Linus: Enquête-Kommissionen und Biopolitik. Zeitschrift für Biopolitik, Nr. 3, 1. Jahrgang 2002, S. 23-30
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2002/1224zfb-enquete.html

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