Warum Embryonen für Forscher tabu
sein müssen
Niemand hat das Recht,
menschliche Embryonen zu töten. Schon gar nicht für Heilsversprechen,
die vielleicht nie einzuhalten sind, sagt Professor Linus Geisler
CONTRA
Herr Professor Geisler, warum
sind Sie gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen?
Humane embryonale Stammzellen
werden aus menschlichen Embryonen gewonnen, die dabei getötet werden.
Der Embryo, auch in diesem frühen Entwicklungsstadium, ist bereits
ein heranwachsendes menschliches Wesen. Er verfügt über das volle
Potential zur Entwicklung einer Person. Er hat Anspruch auf eine eigene
Biographie. Wer könnte befugt sein, dieses Leben auszulöschen?
Diese Frage stellt sich noch drängender, berücksichtig man das
wachsende therapeutische Potential adulter Stammzellen.
Sollte man nicht wenigstens
jene Embryonen für die Forschung freigeben, die bei künstlichen
Befruchtungen "übrig" blieben?
Diese Embryonen unterscheiden
sich in nichts von jenen, die sich im Leib einer Mutter zu einem Kind entwickeln
können. Das Ziel muss sein zu verhindern, dass die so genannten "überzähligen"
Embryonen überhaupt entstehen. Aus guten Gründen verbietet das
deutsche Embryonenschutzgesetz, pro Zyklus mehr als drei Embryonen zu erzeugen
und sie einer Frau einzupflanzen.
Sind Sie auch gegen den
Import bestehender Stammzellen, wie ihn der Bundestag erlaubt hat? Dafür
müssen ja keine Embryonen mehr getötet werden.
Der Import von bestehenden
Stammzellen bedeutet, das Unrecht der Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken
im nachhinein gutzuheißen. Wer sich gegen die Tötung von Embryonen
für die Forschung in Deutschland ausspricht, aber Stammzellen für
die Forschung importiert, die aus getöteten Embryonen stammen, setzt
sich dem Vorwurf der Doppelmoral aus.
Ist es gerechtfertigt,
einen aus etwa hundert Zellen bestehenden Embryo um jeden Preis am Leben
zu halten und damit die Chance auf Therapien für Millionen Menschen
zu verspielen?
Es ist völlig offen,
was die Forschung mit embryonalen Stammzellen jemals für die Behandlung
kranker Menschen wird leisten können. Nicht einmal im Tierexperiment
sind die fundamentalen Probleme des Umgangs mit embryonalen Stammzellen
– wie die Entwicklung bösartiger Tumoren oder die Übertragung
infektiöser Erreger – bisher zu beherrschen. Es steht also das Leben
menschlicher Embryonen gegen hypothetische Heilsversprechen. Sicher würde
niemand der Tötung eines Erwachsenen oder eines Säuglings zu
Behandlungszwecken zustimmen, selbst wenn sich dadurch das Leben eines
Kranken retten ließe. Wo aber ist eine Grenze nach unten zu ziehen?
Und wer darf sie bestimmen?
Könnten Sie einer
vorübergehenden Erlaubnis zur Forschung an embryonalen Stammzellen
zustimmen, wenn diese lediglich Erkenntnisse für eine spätere
Therapie mit "adulten" Stammzellen liefern sollte?
Entweder hält man die
Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken für ethisch verwerflich
oder für zulässig. Diese Haltung gilt dann auch für eine
zeitlich begrenzte "Übergangstechnologie", denn es gibt keine "Übergangsethik".
Müssten Sie nicht
konsequenterweise dafür eintreten, die Verhütung mit der Spirale
zu verbieten, weil dabei die Einnistung lebender Embryonen in die Gebärmutterschleimhaut
verhindert wird?
Neueren Untersuchungen zufolge
verhindern Spiralen möglicherweise durch eine chronische Entzündung
der Gebärmutterschleimhaut bereits die Befruchtung, unterbinden also
nicht erst die Einnistung des Embryos. Hier spielt auch das Selbstbestimmungsrecht
einer Frau, die aus zwingenden Gründen nicht schwanger werden möchte,
eine Rolle. Ob es sinnvoll und kontrollierbar wäre, die Spirale zu
verbieten, ist fraglich. Keinesfalls aber kann die Spirale eine Legitimation
für die aktive Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken sein.
Ist es nicht Doppelmoral,
die Abtreibung menschlicher Föten unter bestimmten Umständen
zu dulden, das Abtöten von Embryonen für die Forschung in einem
viel früheren Entwicklungsstadium aber zu verbieten?
Hier wird oft ein unbegründeter
Wertungswiderspruch konstruiert. Bei einer Schwangerschaft muss zwischen
dem Wohl, möglicherweise der Gesundheit oder sogar dem Leben der Frau
und dem Leben des Embryos abgewogen werden – und dies in einer einzigartigen
Situation von biologischer Verbundenheit. Fast immer liegt eine ernste
Konfliktsituation vor. Bei der Stammzellforschung wird das Leben des Embryos
gegen einen allenfalls hypothetischen Heilungserfolg abgewogen. Hier steht
Lebensschutz gegen Forschungsfreiheit. Eine Konfliktsituation, die nur
durch die Tötung des Embryo zu lösen wäre, besteht dabei
nicht.
Gesetzt den Fall, Forscher
würden eine Therapie mit embryonalen Stammzellen entwickeln. Könnte
die Gesellschaft überhaupt darauf verzichten?
Ich selbst könnte eine
solche Therapieform für mich nicht akzeptieren. In einer pluralistischen
Gesellschaft müsste diese Gewissensentscheidung aber jeder für
sich selbst treffen. Allerdings bin ich mir fast sicher, dass die Therapie
mit Stammzellen in Zukunft für keine Krankheit die einzig wirksame
Behandlung sein wird. Und noch eine Anmerkung: Wie wir mit Embryonen umgehen,
wird zwangsläufig auch den Blick auf den Menschen am Ausklang seines
Lebens bestimmen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass dies zu trennen
ist.
Link:
Apotheken-Magazin
GESUNDHEIT: http://www.gesundheit-pro.de/PGA/pga.htm?line=1&ressort=10900&rubrik=10903&heft=2&akt=1
- Externer
Geisler, Linus: Warum Embryonen
für Forscher tabu sein müssen. Interview
in Apotheken-Magazin GESUNDHEIT, Ausgabe Mai 2002, S. 19f |
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2002/05gp-stammzellen.html |
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