Das Gespräch
vor und während belastender Maßnahmen
Ziel des vorbereitenden ärztlichen
Gesprächs bei belastenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
ist ein möglichst stressarmer und komplikationsloser Verlauf.
Hinzu kommt ein präventiver Aspekt, wenn damit zu rechnen ist,
dass eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode, die mit stärkeren
Belästigungen verbunden ist, wiederholt werden muss. In diesem Fall
soll das Gespräch Ablehnung und Abwehrhaltung verhindern.
Die Reaktionen des Patienten während
einer belastenden medizinischen Maßnahme wirken sich fast unweigerlich
auf den Untersucher aus: Angst-, Abwehr- und Schmerzreaktionen erzeugen
eine Atmosphäre der Spannung und Gereiztheit, die dem Untersucher
ein souveränes und zügiges Vorgehen erschwert. Insofern bestehen
hier Rückkopplungsphänomene im negativen und positiven Sinne.
Der beste Weg, sich in die Erlebniswelt
eines Patienten während einer bestimmten Untersuchung oder Behandlung
einzufühlen, ist, sich einer solchen Maßnahme selbst einmal
zu unterziehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser Weg nicht
häufig beschritten werden kann. Grundvoraussetzung einer wirksamen
Vorbereitung des Patienten ist die Bereitschaft, sich im Sinne der Empathie
mit den Auswirkungen der Maßnahme aus der Sicht des Patienten zu
beschäftigen. Es muss immer bedacht werden, dass eine erhebliche Diskrepanz
zwischen der subjektiven, vom Patienten erlebten Gefährdung
und Belastung und der objektiv gegebenen bestehen kann. Während beispielsweise
aus der Sicht des Nuklearmediziners die Durchführung eines Knochenszintigramms
als harmlose Untersuchungsmethode gilt, kann das längere Liegen auf
harter Unterlage unter der Gammakamera für einen Patienten mit Knochenmetastasen
hochgradig belästigend sein.
F. ANSCHÜTZ hat bei 679 Patienten
eine schematische Befragung zur Quantifizierung des Schmerzerlebnisses
bei
invasiven diagnostischen Maßnahmen (einfache Venenpunktion, Koloskopie,
Koronarangiographie usw.) durchgeführt.
Die Befragungen erfolgten unmittelbar nach
dem jeweiligen Eingriff und wurden 24 Stunden später - meist mit dem
gleichen Ergebnis - wiederholt. Das subjektive Schmerzempfinden wurde in
10 Intensitätsgrade eingeteilt. Zum Beispiel: Grad 1: Schmerz gerade
fühlbar, äußere Ablenkung möglich. Grad 5: mäßiger
bis mittelschwerer Schmerz, der zu unwillkürlichen Unterbrechungen
geistiger und körperlicher Arbeit führt, ausgeprägtes Unbehagen
sowie Abwehr- und Ausweichreaktionen hervorruft. Grad 10: schwerster Schmerz
mit Todesangst und Vernichtungsgefühl.
Die Untersuchung ergab, dass das Schmerzerlebnis
innerhalb der einzelnen Methoden erheblich schwankt und von Arzt und Patient
unterschiedlich
eingestuft
wird. Die geringsten Schmerzen wurden von den Patienten bei unkomplizierten
Venenpunktionen, Nierenpunktionen sowie einfachen Gastroskopien angegeben,
die höchsten bei Koloskopien, Rektoskopien und Sternalpunktionen.
Es kann nicht davon ausgegangen
werden, dass bei Vorbereitungsgesprächen die einfache Formel: "Viel
Information = gute Vorbereitung" generell stimmt. Ausführliche Information
und intensive Vorbereitung müssen nicht grundsätzlich günstigere
Effekte erbringen. Erst die Mitbewertung von Auseinandersetzungsstrategien,
eine Reihe von Persönlichkeitsvariablen sowie frühere Erfahrungen
des Patienten mit ärztlichen Maßnahmen ermöglichen ein
optimales Vorgehen (L. R. SCHMIDT).
"Erfahrenheit" des Patienten scheint sich
auf den Untersuchungsablauf günstig auszuwirken. So konnte SALM (1982)
bei 80 Patienten, die herzkatheterisiert wurden, feststellen, dass Störungen
bei Patienten, die erstmals untersucht wurden und "unerfahren" waren, in
12 von 59 Fällen während der Untersuchung auftraten, bei Patienten
mit Vorerfahrung hingegen nur in einem von 21 Fällen. SALM beschreibt
bei Patienten, die vor einer belastenden Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahme
stehen, 2 typische Grundhaltungen mit polarem Charakter:
"aktive Skepsis" gegenüber "blindem Vertrauen" und "offene Panik"
gegenüber "bewusster Gelassenheit".
Der 1. Typ setzt sich mit der geplanten
Untersuchung oder Behandlung kognitiv-intellektuell auseinander, entweder
indem er eine bewusst kritische Haltung einnimmt oder die Maßnahme
im Sinne der Vermeidung verarbeitet. Das Verhalten des 2. Typs ist überwiegend
durch emotionale Reaktionen gekennzeichnet. Bei der Vorbereitung sollte
daher je nach "Patiententyp" differenziert vorgegangen werden. Dazu führt
SALM (1982) aus:
"So erscheint es offensichtlich, dass Patienten
mit 'offener Panik' vor der Untersuchung diejenigen sind, die eine besondere
Betreuung benötigen; denn sie sind es auch, die den Eingriff am stärksten
als belastend erleben und die auch am meisten gefährdet sind, was
das Auftreten von Störungen bei der Untersuchung angeht. Bei diesen
Patienten spielt die Angst vor dem Ergebnis eine besondere Rolle. Möglicherweise
bezieht sich ihre Panik vor allem auf eine spätere Operation. Dies
muss bei der Vorbereitung dieser Patienten berücksichtigt werden.
Im Gegensatz zu den Patienten mit offener Panik sind die 'bewusst gelassenen'
Patienten diejenigen, die am wenigsten Schwierigkeiten machen. Sie wirken
kooperativ und fallen niemandem mit negativen Gefühlsäußerungen
oder besonderem Wissensdurst und Misstrauen (wie die 'aktiven Skeptiker')
zur Last. Es sind die 'idealen' Patienten, die die an sie gestellten Erwartungen
am besten erfüllen. Hier mag die Gefahr bestehen, dass diese Patienten
sich unter schweren Belastungen mit ihrer Überanpassung überfordern
und überfordert werden. Für Patienten mit 'aktiver Skepsis' scheinen
Informationen besonders wichtig zu sein, weil sie die Sicherheit brauchen,
ihre Situation intellektuell 'im Griff zu haben'. Sie können sich
mit massiv bedrohenden Vorstellungen auseinandersetzen, ohne dabei in Panik
zu geraten. Man braucht bei ihnen nicht die Befürchtung zu haben,
dass sie bedrohliche Informationen nicht vertragen, sondern sollte ihrem
Bedürfnis entgegenkommen, alles genau wissen zu wollen. Mit ihrem
Misstrauen können sie den Arzt kränken und dadurch zu unangenehmen
Patienten werden (während Patienten mit 'blindem Vertrauen' ihn eher
bestätigen). Es ist hier hilfreich zu verstehen, dass auch das Misstrauen
einen Stellenwert in der Angstbewältigung dieser Patienten hat und
nicht den Arzt in seiner persönlichen Kompetenz betrifft."
Konkret gelten folgende Leitlinien für
das Gespräch vor und während belastender Eingriffe und Maßnahmen:
-
Es muss versucht werden, dem Patienten das
Ziel
der Maßnahme klarzumachen. Damit ist ein deutlicher Motivationseffekt
verbunden, der eine günstige Ausgangslage schafft.
-
Der Vorgang der Maßnahme soll
zunächst in groben Zügen erklärt werden, soweit er
für den Patienten relevant ist. Hier muss differentiell vorgegangen
werden, weil große Unterschiede im individuellen Informationswunsch
und Informationsstand bestehen können. Während für den Patienten
mit "aktiver Skepsis" die Information gar nicht umfassend genug sein kann,
wird der Patient mit "blindem Vertrauen" mit relativ wenig Information
auskommen. Der Spielraum wird allerdings durch die von der Rechtsprechung
vorgegebene Pflicht zur Aufklärung deutlich eingeengt.
-
Die voraussichtliche Dauer der Maßnahme
soll genannt werden. Dies erleichtert es dem Patienten, sich innerlich
auf die Untersuchung einzustellen. Denn eine wenig belästigende Maßnahme
die in der Vorstellung des Patienten nur einige Minuten in Anspruch nimmt,
in Wirklichkeit aber eine Dreiviertelstunde dauert, kann einen höheren
Belästigungscharakter gewinnen als eine subjektiv stark belastende
Maßnahme, die sich über längere Zeit hinzieht, von der
Patient jedoch vorher weiß, wie lange sie dauern wird.
-
Dem Patienten soll gesagt werden, welche Begleiterscheinungen
nach
menschlichem Ermessen eintreten und welche nicht eintreten werden,
dass also beispielsweise die Probeexzision aus der Magenschleimhaut schmerzlos
ist oder eine sachgerecht durchgeführte Bronchoskopie nicht mit einem
Erstickungsgefühl einhergeht, andererseits aber, dass die Prämedikation
zu Müdigkeit führen kann und die Instillation des Lokalanästhetikums
in den Tracheobronchialbaum zu Hustenreiz. Dadurch lassen sich Ängste
durch unbegründete Erwartungshaltungen ebenso vermeiden wie Abwehrreaktionen
durch ungenügende Vorbereitung.
-
Es ist sehr wichtig, dem Patienten das Gefühl
zu geben, dass er in den Untersuchungsgang eingreifen kann. Mit
dem Patienten kann z. B. ein Handzeichen ausgemacht werden, durch
das er während einer Untersuchung, die ihm das Sprechen erschwert
(z. B. Bronchoskopie), Luftnot, Schmerzen oder den Wunsch nach einer Untersuchungspause
signalisieren kann. Durch eine gezielte vorbereitende Information können
Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung positiv beeinflusst werden. Dabei
kommt der Vorwarnung besonderes Gewicht zu. Die Vorwarnung sollte
Zeitpunkt, Ausmaß, Qualität und Dauer des Schmerzes möglichst
genau charakterisieren. Natürlich ist auch eine "Entwarnung" erforderlich.
Die Vorwarnung, verbunden mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen
Kontrollierbarkeit des Untersuchungsvorgangs, kann dessen Durchführung
erheblich erleichtern. Vielen Menschen hilft einfach das Gefühl, eine
Maßnahme von sich aus zu wollen, auch wenn sie schmerzhaft oder belästigend
ist, und eingreifen zu können, wenn die Belästigung unerträglich
erscheint.
Das ärztliche Gespräch vor
und während belastender Maßnahmen |
1) Vorbereitungsphase
-
Ziel erklären (Motivation!)
-
Maßnahme in groben
Zügen darstellen
-
Informationsumfang individuell
bemessen ("Skepsis?" "Blindes Vertrauen?")
-
Dauer der Maßnahme
nennen
-
spezifische Ängste eruieren
und abbauen
-
Aufklärung im juristisch
erforderlichen Umfang
-
exakten Termin nennen;
möglichst keine Terminverschiebung
-
Kontakt mit "erfahrenem"
Patienten vermitteln
|
2) Durchführung
-
Gefühl der Kontrollierbarkeit
vermitteln
-
Möglichkeit des
Eingreifens
besprechen
(Handzeichen usw.)
-
bei schmerzhaften Manipulationen:
Vorwarnung
und
Entwarnung
geben
-
sparsamer, aber kontinuierlicher
verbaler
Kontakt; nonverbale Kontakte
-
Patienten nicht "vergessen"
-
Gespräch innerhalb des
Teams auf das notwendige Minimum beschränken
-
keine verunsichernden Äußerungen
-
Angstauslöser minimalisieren
-
Maßnahme nicht unnötig
verlängern oder unterbrechen
-
bei Abwehr- und Panikreaktionen:
ruhiges,
einfühlsames Vorgehen
|
|
-
Spezifische individuelle Ängste sollten
eruiert und gezielt abgebaut werden. Nicht selten haben Patienten irrationale,
häufig durch ein Missverständnis zustande gekommene Befürchtungen,
die besonders stark ängstigend wirken. Solche Ängste ("Kann dabei
nicht die Lunge einreißen?", "Was passiert, wenn Luft an das Herz
kommt?") sollten offen angesprochen und durch einfühlende rationale
Argumente entkräftet werden.
-
Der Termin einer geplanten Maßnahme
sollte dem Patienten rechtzeitig mitgeteilt und wenn irgend möglich
exakt
eingehalten werden. Wartenlassen oder Verschiebungen ohne Grund sind
unnötige zusätzliche Belastungen.
-
Die Faszination der Technik oder aber die
Schwierigkeit des Untersuchungsverfahrens kann leicht dazu verführen,
dass der Patient "vergessen" wird und sich dadurch noch stärker isoliert
und ausgeliefert fühlt. Deshalb sollten kontinuierlich verbale
Kontakte aufrechterhalten werden, die durchaus kurz gehalten sein können:
die Frage nach dem augenblicklichen Befinden, ein kleiner (angebrachter!)
Scherz, der Hinweis, dass die momentane Belästigung rasch abklingen
wird oder die Untersuchung ihrem Ende zugeht. Bei manchen Patienten sind
nonverbale
Kontakte (Berührung, Halten) ebenso wichtig und wirksam.
-
Die Untersucher und ihre Helfer
sollten
während der Maßnahme so wenig wie möglich miteinander
sprechen. Der ständige Austausch medizinischer Informationen ist
eine besonders ergiebige Quelle von Missverständnissen für den
Patienten. Dass der Small talk über den nächsten Urlaub, die
Schikanen der Krankenhausverwaltung oder das neueste Automodell während
einer Maßnahme, die mit starken Belästigungen eines Patienten
einhergeht, ein absolutes Tabu darstellt, dürfte selbstverständlich
sein.
-
Redewendungen, von denen eine verunsichernde
Wirkung ausgehen kann, müssen vermieden werden (z. B. "Wenn
wir Glück haben, klappt es beim ersten Mal. . .", "Dieses Problem
haben wir jedes Mal beim Einführen des Katheters.").
-
Schließlich kann es hilfreich sein,
den Patienten mit einem anderen "erfahrenen Kranken" in Kontakt
zu bringen, falls dieser fähig ist, die Untersuchungsmethode sachlich
und beruhigend darzustellen.
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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