So stirbt der Patient
ganz im Stil unserer Zeit inmitten der hektischen Geschäftigkeit einer |
supertechnisierten und
übermedikamentösen Medizin, in sterilen Räumen,abgeschirmt
von der |
nicht keimfreien Außenwelt
nach tagelangem Kampf der Ärzte mit dem Tod. Von jeder |
Kommunikation mit seinen
Angehörigen, Freunden, Bekannten und dem Geistlichen etc. |
abgeschnitten, wird nun
erst das Sterben zur seelischen Qual. Die Intensivmedizin wird hier |
zur Hölle er Einsamkeit,
zum Absturz der Seele ins Nichts, zur wissenschaftlichen |
Versuchsstation und Folterkammer,
sie verhindert, dass der Patient den Sinn seines Sterbens, |
Vollendung bzw. den Abschluss
seines Lebens erkennen und vielleicht bewältigen kann. |
Heiner Geissler,
|
früherer
Bundesgesundheitsminister
|
Die Ärzte sollen
die Leute nicht zwingen, mehr als einmal sterben zu müssen. |
Prof. Burnet,
|
Nobelpreisträger
für Medizin
|
Dem unbefangenen Beobachter
wird schnell klar, dass in der Intensivmedizin alle Schwierigkeiten |
der Medizin kulminieren. |
R. Flöhl,
Journalist
|
Gespräche in
der Intensivmedizin
Standortbestimmung
Die Intensivstation ist der medizinische Bereich
mit dem höchsten Bedarf an Kommunikation und zugleich der Ort,
der jeder Art Kommunikation die größten Hindernisse entgegenstellt.
Die psychischen Belastungen durch die Intensivmedizin lassen sich
in 3 Gruppen einteilen:
-
Kommunikationsprobleme
-
Erschöpfung, Desorientierung und Verwirrung
-
Angst, Panik und Besorgnis
Kommunikationsverlust und Informationsmangel
bilden
die stärkste Belastung für Intensivpatienten. Dies haben insbesondere
die Erfahrungen beim sog. "Wiener Modell" gezeigt (H. THOMA und Mitarbeiter).
Die Qualität der Intensivmedizin
wird
daher in hohem Maße mitbestimmt von der Qualität der Kommunikation
zwischen
den Betroffenen und den Beteiligten: den Patienten, Ärzten, dem Pflegepersonal
und den Angehörigen. Jede dieser Gruppen erlebt und bewertet die Intensivmedizin
aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, genauer gesagt, aus verschiedenen
Wirklichkeiten. Nirgendwo in der Medizin gewinnt das Phänomen unterschiedlicher
Wirklichkeiten
so enorme Bedeutung wie auf der Intensivstation, und
nirgendwo sind auch die Folgen des Verkennens und Nichtbeachtens dieses
Phänomens so schwerwiegend wie hier.
Nur eine vorurteilsfreie, offene, die Perspektive
der anderen miteinbeziehende Kommunikation bietet die Chance, dass langfristig
das Bild der Intensivmedizin in der Öffentlichkeit, das vorwiegend
von den Medien geprägt ist, korrigiert werden kann. Dieses Bild wird
heute noch ganz überwiegend von Begriffen bestimmt wie "Todesstationen",
"Folterkammern", "veranstaltete Depression", "inhumane Medizin" oder "Materialschlachten
gegen den Tod" (s. a. Zitat Heiner GEISSLER):
Intensivmedizin ist zunächst an sich
weder human noch inhuman, ähnlich wie der elektrische Strom, der sowohl
zum Heizen eines Hauses als auch für den elektrischen Stuhl verwendet
werden kann. Entscheidend ist, "dass die Intensivmedizin ihre eigentlichen
Anliegen und Ziele nicht verliert: die Konkretisierung von Humanität
unter den Extrembedingungen vitaler Bedrohung unter Aufbietung sämtlicher
ärztlicher, pflegerischer, technologischer, pharmazeutischer und anderer
Ressourcen für den lebensbedrohten Erkrankten" (B. F. KLAPP).
Kommunikation ist der entscheidende Garant
für eine wirklich "humane" Intensivmedizin, das heißt eine Medizin,
in deren Mittelpunkt der Mensch und nicht die extreme Ausnutzung medizinisch-technischer
Möglichkeiten steht. KLAPP präzisiert dieses Ziel mit folgenden
Worten: "Nur die menschlichen Verhältnisse zwischen den am intensivmedizinischen
Geschehen Beteiligten vermögen dies zu sichern und Verselbständigung
bzw. Eigenleben der Technologie zu verhindern, die zum Terror der apparativen
Möglichkeiten über Team und Patienten führen und damit die
Intensivmedizin zur Apparatemedizin verkommen lassen könnten." Er
geht in seiner Analyse der Ist- und Soll-Zustände der Intensivmedizin
noch einen Schritt weiter und sieht in ihr "nur eine spezielle Konkretisierung
unserer gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Dynamik." Er zeichnet
am Horizont als Schreckensvision eine Gesellschaft, deren Hauptmaxime lautet
"Möglichst allen alles Erdenkliche zukommen zu lassen", das Gespenst
einer Intensivmedizin, die zur "letzten Konsumpflicht Schwerkranker" verkommen
könnte.
Erfolgreiche Kommunikation im weitesten
Sinne wird sich im intensivmedizinischen Bereich nur dann verwirklichen
lassen, wenn das Behandlungsteam von einer realistischen und letztlich
positiven
Ausgangssituation an seine Aufgaben herangeht: Dass 20 - 30% aller
Patienten, die auf eine Intensivstation aufgenommen werden, dort sterben,
ist bedrückend, häufig deprimierend, manchmal entmutigend. Diese
Prozentzahlen werden aber nicht nur akzeptabel, sondern ermutigend und
motivierend, wenn sie aus der Gegenposition gesehen werden: 70 - 80% Schwerstkranker
und vital bedrohter Patienten können dort bei maximalem menschlichem
und technologischem Einsatz gerettet werden oder überleben.
Für das ärztliche Handeln - das
im weitesten Sinne nicht nur das Tun, sondern auch das Lassen umfasst -
kann gerade in der Intensivmedizin eine alte ärztliche Weisheit aus
China als Leitlinie gelten: "Die Behandlung sollte nicht schlimmer sein
als die Krankheit."
Die 4 Wirklichkeiten
Eine Patientin, die nach einer schweren
Operation einige Zeit auf der Intensivstation der Universität Münster
behandelt worden war, schreibt in einem Erfahrungsbericht: "Das Bewusstsein,
dass alles nur Menschenmögliche zu meiner Genesung getan wurde, beruhigte
mich sehr, ich fühlte mich sicher und aufgehoben." Sie berichtet aber
auch über ihre Alpträume: "So träumte ich zum Beispiel davon,
in einem wissenschaftlichen Labor zu sein, in dem Tierversuche durchgeführt
wurden. Die Infusionsständer nahmen dabei die Gestalt von Gorillas
an, Röntgengeräte wurden zu Dinosauriern."
Eine seit 3 Jahren in der gleichen Intensivstation
tätige Krankenschwester berichtet: "Ich lernte zwar,
den vital bedrohten Patienten mit modernen Methoden zu helfen. Dennoch
blieben meine Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht bestehen: Sie
traten vor allem auf, wenn Kinder nach einem schweren Unfall am Hirntod
verstarben bzw. wenn wir Patienten trotz langer Pflege und aufwendiger
Behandlung nicht helfen konnten … Nachts erwachte ich sogar aus Alpträumen."
In einer von der Abteilung für Anästhesiologie
der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen TH Aachen
durchgeführten Befragung vom "ersten Eindruck", den Angehörige
von
ihrem Familienmitglied auf der Intensivstation hatten, wählten 26
von 29 Befragten die Beschreibung: "schrecklich - Entsetzen - grauenvoll".
Ein intensivmedizinisch tätiger Arzt,
der
lange auf einer Spezialeinheit für Verbrennungen gearbeitet hatte,
schilderte mir mit großer Sachlichkeit, bei welchem deutschen Automodell
Verkehrsunfälle besonders häufig zu schwersten Verbrennungen
führen. Die Frage, ob ihn seine Tätigkeit wegen der besonders
ungünstigen Prognose ausgedehnter Verbrennungen sehr belaste, verneinte
er mit dem Hinweis, dass es sich dabei ja um "pathophysiologisch hochinteressante
Bilder" handle.
Diese 4 Schilderungen von Patienten, Pflegekräften,
Angehörigen und Ärzten zeigen, wie unterschiedlich die Wirklichkeiten,
in denen Intensivmedizin erlebt wird, sein können. Der Erfolg jeder
Kommunikation im intensivmedizinischen Bereich steht und fällt mit
dieser Erkenntnis. Wo sie fehlt, können Worte tödlich wirken.
In einer Fallbeschreibung schildern MÜLLER, THYWISSEN und BEHRENDT
(zit. n. HANNICH u. Mitarb.), wie die Angehörigen eines 27jährigen
Motorradfahrers mit schwerem Schädelhirntrauma vor dem neurochirurgischen
Eingriff vom Oberarzt mit der Bemerkung nach Hause geschickt werden: "Machen
Sie sich nicht allzu viel Hoffnung, jetzt schlafen Sie sich erst einmal
richtig aus, wir müssen ja alle sterben, der eine früher, der
andere später."
Die Wirklichkeit des Patienten
Was Patienten auf Intensivstationen erleben,
fühlen, hoffen und leiden, welche Fragen und Ängste sie bewegen,
ist erst in den letzten Jahren durch systematische Befragungen und Studien
zumindest im Ansatz deutlich geworden. Dabei hat sich gezeigt, dass Patienten
die Intensivstation keineswegs regelhaft als apokalyptisches Grauen erfahren.
Die meisten Untersuchungen aus den verschiedenen
intensivmedizinischen Bereichen haben nämlich ergeben, dass die Mehrzahl
der Patienten die Intensivbehandlung positiv erlebt. So betont
LAWIN: "Insofern ist auch die Einschätzung der Intensivtherapie durch
die Patienten weitaus positiver als von seiten der nicht Betroffenen."
Auf der Intensivstation der Klinik für Anästhesiologie und operative
Intensivmedizin der Universität Münster behandelte Langzeitpatienten
bewerteten den Aufenthalt rückblickend zu 96,4% als positiv.
Eine kürzlich publizierte Studie von
S. UNGER und O. BERTEL zeigt beispielsweise, wie anders als das Pflegepersonal
ehemalige Intensivpflegepatienten ihre Behandlung auf der Intensivstation
beurteilen: Es wurden 63 Patienten unter 75 Jahren, die wegen eines akuten
Herzinfarkts auf der Intensivstation behandelt worden waren, mittels eines
Fragebogens über ihre Eindrücke befragt. Gleichzeitig wurde auch
das Personal befragt, wie es die Pflege aus der Sicht des Patienten beurteilen
würde. Während die Infarktpatienten die Ankunft in der Intensivstation,
die Durchführung der ersten Behandlungsmaßnahmen und die apparative
Überwachung eher beruhigend als beängstigend empfanden, beurteilte
das Pflegepersonal diese Maßnahmen genau entgegengesetzt. Es glaubte,
die Patienten würden durch diese technischen Maßnahmen besonders
beunruhigt. Was die Intensivpatienten hingegen als negativ und besonders
belastend empfanden, nämlich die Unfähigkeit, das wirkliche Ausmaß
ihrer Gefährdung zu erkennen, stellte für das Pflegepersonal
kein wesentliches Problem dar.
Eine Gruppe österreichischer Anästhesiologen
und Intensivmediziner (G. PAUSER und Mitarbeiter), die das "Wiener Modell"
zur psychischen Betreuung schwerkranker Patienten entwickelt haben, führte
folgende Untersuchungen durch: In 3 Intensivstationen wurden 50 zufällig
ausgewählte Patienten gebeten, am Tag ihrer Entlassung 52 Items nach
4 Kategorien zu reihen, um herauszufinden, aus welchen Elementen die höchste
Stressbelastung auf der Intensivstation resultiert. Fazit der Untersuchung
war, dass die als am höchsten stressbelastend empfundenen Items sich
unter dem Oberbegriff des Informationsmangels und Kommunikationsmangels
subsummieren
lassen, und zwar folgende:
"Dass ich nicht weiß, wie lange ich
im Krankenhaus liegen muss."
"Dass mir nur oberflächliche Informationen
gegeben werden, was meinen Gesundheitszustand, meine Krankheit betrifft."
"Dass ich nur so wenig und so kurzen Kontakt
mit den Ärzten habe."
"Dass mir keiner sagt, was die Ärzte
als nächsten Schritt mit mir vorhaben."
Wesentlich an diesen Befunden erscheint
die Tatsache, dass sie nicht nur den Informations- und Kommunikationsmangel
als hohen Belastungsfaktor herausstellen, sondern gleichzeitig erkennen
lassen, mit wie einfachen Mitteln dieser Belastungsdruck gemindert werden
könnte.
Kasuistische Erfahrungsberichte von Ärzten,
die selbst Patienten auf einer Intensivstation waren, sind in einem doppelten
Sinne aufschlussreich, weil sie in "zwei Wirklichkeiten" (der des Patienten,
der zugleich Arzt ist) wurzeln und weil die Artikulationsprobleme des medizinischen
Laien entfallen. Ein Professor für innere Medizin, der nach einer
schweren Operation mehrere Tage auf der Intensivstation einer chirurgischen
Klinik lag, schreibt in seinen "Erfahrungen als Patient einer Intensivstation":
"Das für mich ganz vorrangige Gefühl war, dass die eingeübte
Pflegemannschaft unter Zuhilfenahme der Überwachungsgeräte alles
tun würde, mich die Folgen der vorausgegangenen schweren Erkrankung
und der notwendig gewordenen Operation überwinden zu lassen. Daneben
merkte ich, dass Schmerzen und innere Unruhe, wann immer sie auftraten,
gemindert wurden, soweit dies ohne Gefährdung möglich war. Ich
fühle mich auch heute noch den Pflegekräften und den Ärzten
in der Intensivstation zu tiefem Dank verpflichtet." Auch hier dominiert
also das Gefühl der Sicherheit und Dankbarkeit. Der Bericht weist
aber auch kritisch auf typische Belastungspunkte hin: "Den zu lauten Betrieb
auf der Intensivstation durch unnötig lautes Sprechen, Türenwerfen,
Klappern der Holzschuhe, das viel zu häufig unnötig grelle Licht,
die quälende Monotonie, die ein mit geometrischen Figuren versehenes
Gitter an der Decke für Zu- und Abfluss der Luft für den in Rückenlage
Fixierten darstellt, das Gefühl der Vereinsamung, die manchmal kalte
Distanz des Betreuungsteams."
Ein praktischer Arzt (F. RADERMACHER),
der mit einem schwersten stenokardischen Anfall auf der Intensivstation
aufgenommen wurde, schildert, dass er zunächst ebenfalls das Gefühl
hatte, sich "in sicheren Händen" zu befinden. Als er den jungen diensthabenden
Kollegen nach dem EKG-Befund fragte, erhielt er die Antwort: "Sie haben
einen ausgedehnten frischen Vorderwandinfarkt." Wenige Sekunden nach diesem
Satz geriet er ins Kammerflimmern und musste reanimiert werden. Der gleiche
Kollege entwickelte nach seiner Bypassoperation ein schweres Lungenödem,
weshalb er intubiert, tracheobronchial abgesaugt und beatmet werden musste.
Intubation und tracheobronchiale Absaugung bei vollem Bewusstsein zählen
nach allgemeiner Ansicht zu den quälendsten intensivmedizinischen
Behandlungsmaßnahmen. Der Kollege erlebte diese Maßnahmen jedoch
völlig anders: "Nach Intubation, Absaugen und Beatmung fühlte
ich mich im Himmel - denn dadurch verlor ich die unerträgliche Atemnot,
die ich zuvor im Lungenödem hatte."
Unabhängig von dem zunächst dominierenden
Gefühl vieler Patienten, Hilfe zu bekommen, gibt es auf jeder Intensiveinheit
ein Grundmuster situativer Belastungen, das im Laufe der Zeit zermürbende
Effekte entfalten kann (WENDT, zit. n. HANNICH u. Mitarb.) (s. Tabelle).
Hauptbelastungsfaktoren
auf der Intensivstation aus der Sicht des Patienten (M. WENDT)
fehlende Orientierungshilfen |
fehlender Tag-Nacht-Rhythmus |
sensorische Monotonie (konstante
rhythmische Geräusche) |
sensorische Überstimulierung |
chronischer Schlafentzug |
Lichtbelästigung |
Kommunikationsdefizite |
Fehlen von Bezugspersonen |
|
Die Schwierigkeiten, einen konstanten
Bezug zum Behandlungsteam aufzubauen, sind durch Filmanalysen quantitativ
erfasst worden. WENDT und Mitarbeiter stellten bei 6 Patienten, die über
290 Stunden alle 15 Sekunden gefilmt wurden, fest, dass sich durchschnittlich
alle 104 Sekunden im Umfeld des Patienten eine Änderung vollzieht.
Die Kontaktdauer mit dem Pflegepersonal bewegt sich in einer Zeitspanne
von 1 - 3 Minuten. Mit anderen Worten: Der Patient findet einerseits keine
Ruhe, andererseits aber auch keinen richtigen Kontakt. In sog. "Wünsche-
und Beschwerdebüchern" (SYCH und Mitarbeiter, zit. n. HANNICH u. Mitarb.)
monieren Patienten vor allem den zu geringen persönlichen Kontakt
zum Arzt, die unzureichende Beantwortung ihrer Fragen bei den Visitengesprächen
und die Verunsicherung, die durch aufgefangene Wortfragmente ausgelöst
wird.
Die Bedrohung des Menschen durch
die vielzitierte "Apparatemedizin", der er - dem Anschein nach -
gerade im Intensivbereich in monströser Form ausgesetzt ist, scheint
sehr viel mehr in der Wirklichkeit der Angehörigen, der Öffentlichkeit,
aber auch des Behandlungsteams zu existieren als in der des Patienten.
Nach Aussagen vieler Patienten ist die Angst vor den Apparaten (Monitoren,
Beatmungsgeräten, Infusionspumpen usw.) im allgemeinen nicht groß,
oft gar nicht vorhanden. Häufig wird gerade der technische Aufwand
nicht als Bedrohung, sondern als sicherndes Element erlebt. Ein ehemaliger
Intensivpatient (G. HENSEL): " … Der Patient fühlt sich in seinem
Selbstgefühl gehoben, wenn er erkennt, welch ungeheurer technischer
Aufwand mit ihm getrieben wird. Dass dies alles sehr teuer sein muss, das
durchschaut er sofort. Und dass da eine Menge Geld für ihn ausgegeben
wird, das ängstigt ihn nicht; es beruhigt ihn. Nicht die Apparate
erschrecken den Patienten, sondern - manchmal - die Menschen, die die Apparate
bedienen." Angst wird allerdings dann leicht ausgelöst, wenn der Patient
spürt, dass der Umgang mit den Apparaten nicht perfekt beherrscht
wird. Dann kann das Gefühl der Sicherheit rasch in Verunsicherung
und das Gefühl des Ausgeliefertseins umschlagen.
Die Auswirkungen einer intensivmedizinischen
Behandlung auf den Patienten hängen wesentlich von der
Ausgangssituation
ab.
Patienten mit chronischen Vorerkrankungen
(z. B. chronische respiratorische
Insuffizienz) erleben die Dekompensation ihrer Erkrankung als Ausweglosigkeit
und Hoffnungslosigkeit. Gelingt durch intensivmedizinische Behandlungen
immer wieder eine Rekompensation, kann dies allerdings auch zu positiv
gefärbten Reaktionen führen nach dem Motto: "Ich werde es auch
diesmal wieder schaffen."
Patienten, die unvorhergesehen und
unvorbereitet
auf die Intensivstation kommen (Infarktpatienten, Unfallopfer, Patienten
mit postoperativen Komplikationen), weisen anfänglich keine großen
Adaptionsprobleme auf. Dieses Reaktionsmuster ist besonders gut bei Koronarpatienten
zu verfolgen, die nicht selten (unausgesprochen) als "Lieblingspatienten"
beim Pflegepersonal gelten, da die Mehrzahl von ihnen stabilisiert am 2.
oder 3. Tag auf die Normalstation verlegt werden kann. Die zunächst
"neutrale" Reaktion auf die Intensivbehandlung und die positive Haltung
sind jedoch zeitlich begrenzt: Wird eine längerdauernde Intensivtherapie
notwendig (etwa ab dem 3., 4. Tag), entwickelt sich häufig eine zunehmend
kritische Haltung zur Intensivstation.
Bei Patienten mit geplanter Intensivbehandlung,
z. B. nach großen Operationen, dominiert meistens eine positive
Grundeinstellung, und die Intensivbehandlung wird als zusätzlich sicherndes
Moment gut toleriert. Hier handelt es sich allerdings insofern um eine
spezielle Situation, weil der Aspekt der Intensivüberwachung den der
Intensivtherapie
überwiegt.
In aller Regel erlebt der Intensivpatient
seine Situation als Ausnahmezustand. Dazu ein ehemaliger Intensivpatient
(G. HENSEL): "Wie sieht sein Ausnahmezustand aus? Wer auf die Intensivstation
kommt, bei dem geht es um Leben oder Tod. Dies jedenfalls empfindet er,
wie groß in Wahrheit seine Chancen auch sein mögen. ... Auf
der Intensivstation kann der Mensch der Einsicht nicht länger ausweichen,
dass das Leben kein Geschenk ist, sondern eine Leihgabe: Dass man - auf
dieser Erde - überhaupt nichts besitzen, dass man alles nur zeitweilig
nutzen kann. Der Patient muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass
seine Leihfrist abgelaufen sein könnte. Zum erstenmal ist der Tod
für ihn nicht mehr einfach eine entfernte, sondern eine ganz nahe
Möglichkeit, vielleicht sogar eine Wahrscheinlichkeit. Er kann nichts
mehr denken, ohne zugleich an sein Ende zu denken. . . In diesem Ausnahmezustand
hält er nichts für so wichtig wie sich selbst... Doch sollte
man die monströse Ich-Sucht des Patienten nicht verurteilen, sondern
verstehen: Sie gehört zu den Selbstheilungskräften des Patienten;
sie ist ein durch den Lebenswillen geheiligter Egoismus ... Zum Ausnahmezustand
des Patienten gehört, dass er sich seelisch schwer verletzt fühlt."
KLAPP beschreibt diese Störung
des Selbstwertgefühls folgendermaßen: "Das Wesentliche ist
daran die Einschränkung der Ich-Funktionen (im psychoanalytischen
Sinne), die der Patient schmerzlich erfährt, die zudem stark ängstigend
wirkt. Diese Angst ist am ehesten zu verstehen als solche vor Vernichtung
(was nicht mit Todesangst gleichzusetzen ist…)."
Die reale Abhängigkeit, in der sich
der Patient befindet, wird jedoch je nach Krankheitsschwere und Krankheitsphase
unterschiedlich erlebt und muss in die Therapiekonzepte einbezogen werden.
In seiner Reaktion auf diese Störung des Selbstwertgefühls spielt
es eine wesentliche Rolle, inwieweit der Patient "sich selbst anheimgeben,
fallen lassen und regressive Züge zulassen kann, bis hin auf das Niveau,
das der frühkindlichen Versorgungssituation sehr stark ähnelt,
um dann wieder mit zunehmender klinischer Besserung zu progredieren, die
Abhängigkeit wieder schrittweise zu durchlaufen und zu rehabilitieren."
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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